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Sänger, Falk-Reimar [Hrsg.]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 21): Landkreis Lüchow-Dannenberg — Braunschweig, 1986

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https://doi.org/10.11588/diglit.44260#0016
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Wirtschaftsgeschichte

Handel und Verkehr spielen und spielten im heutigen Kreisgebiet nie eine wirtschaftlich
bedeutende Rolle. Handwerk, Bergbau oder Industrie waren und sind nur von nebenge-
ordneter Bedeutung. Für die wirtschaftliche Entwicklung des Kreisgebietes war und ist
die Landwirtschaft von größtem Gewicht. Zwei Teilaspekte - die Agrarreformen des 19.
Jh. und die hier als Nebenerwerb betriebene Leineweberei — sind von besonderem In-
teresse, da sie in jüngerer und jüngster Zeit das Baugeschehen im Kreisgebiet entschei-
dend mit beeinflußt haben.
Bis ins 18. Jh. hinein galt in Mitteleuropa eine fast 1000-jährige Agrarverfassung, die
durch genossenschaftliche Wirtschaftsformen gekennzeichnet war. Die so organisierte
Landwirtschaft brachte Getreide als einzige Verkaufsfrucht hervor. Da zusätzlich seit
Mitte des 18. Jh. die Getreidepreise langfristig zu steigen begannen, führte dies zu einer
Intensivierung des Ackerbaues zu ungunsten der Grünlandwirtschaft und Viehhaltung.
Letztere war aber der einzige Düngerlieferant. Der somit auftretende Mangel an Dünger
ließ eine Steigerung des Getreidebaus nicht mehr zu. Laut Siegfried Wrase war Dünger-
mangel das größte Hindernis dieser Landwirtschaft, geringe Futtererzeugung ihre Ur-
sache.
Nachdem Mängel und sogar Hungersnöte aufgetreten waren, setzte sich schließlich in
Europa eine positive Agrarpolitik durch, die - nach Wilhelm Abel - nicht nur die fiskali-
sche Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft, sondern deren Förderung selbst zum Ziele
hatte. Sie sollte für das rein landwirtschaftlich orientierte Gebiet Lüchow-Dannenbergs
größte Bedeutung erhalten. Der Landesherr Georg III., der sich gern „Farmer Georg“
nannte ergriff mit seiner Verordnung vom 22.11.1768 die Initiative, indem er die Aufhe-
bung der Gemeinheiten forderte. Es folgten alsbald Versuche erster Gemeinheitsteilun-
gen und Verkoppelungen innerhalb des heutigen Kreisgebietes (Quickborn 1774, Sam-
matz 1776, Saaße 1780, Breese i. d. Marsch, Dambeck, Gümse 1792). Die dabei ge-
machten Erfahrungen dienten u.a. zur Vorbereitung der „Gemeinheitsteilungsordnung
für das Fürstentum Lüneburg von 1802“, einem Gesetzeswerk, das - laut Rudolf Gol-
kowsky - wegbereitend und vorbildlich für Deutschland war. Wichtigster Bestandteil
dieses Gesetzes war die endgültige Festlegung eines verbindlichen Teilungsfußes, der
das zentrale Problem aller bis dahin erfolgten Gemeinheitsteilungen war. Mit der Teilung
der Gemeinschaftsflächen war die Voraussetzung für die Verkoppelung geschaffen, die
- nach Wrase - die Zusammenlegung der einzelnen Acker- und Wiesengrundstücke
sowie die Aufhebung der darauf lastenden Weiderechte zum Inhalt hatte. Eine Verkop-
pelungsordnung wurde allerdings erst im Jahre 1842 erlassen, denn die Lasten, Pflich-
ten, Dienstleistungen und Berechtigungen, die zugunsten der Grund- und Gutsherr-
schaften auf den einzelnen Hofstellen und Grundstücken lagen, mußten noch abgelöst
werden.
Dies wurde mittels der Ablösungsverordnung von 1833 geregelt, die im Normalfall die
Umwandlung einer Natural- oder Dienstleistung in einen jährlich fälligen Geldbetrag vor-
sah, der dann durch die einmalige Zahlung der 25-fachen Summe für immer abgelöst
wurde. Die Durchführung dieser unter dem Begriff „Agrarreform des 19. Jh.“ zusam-
mengefaßten Umwandlungen in der Landwirtschaft zog sich bis in die zweite Hälfte des
19. Jh. hin und war während der Franzosenzeit infolge Geldmangels stark einge-
schränkt. Ein Nebenprodukt waren die Verkoppelungskarten, die erstmalige grundbuch-
liche Erfassung der landwirtschaftlich genutzten Flächen und der Ortslagen. Durch
Gemeinheitsteilung und Verkoppelung war der Landwirt von den Zwängen des genos-
senschaftlichen Wirtschaftssystems (Fruchtfolgesysteme, Flurzwang, etc.) befreit und
konnte sein eigenes Land individuell bewirtschaften. Die Ablösung brachte ihm auch die
freie Verfügungsgewalt über seine Arbeitskraft und seine Betriebsmittel. Die Grundla-
gen der modernen Landwirtschaft waren damit gelegt. Die Aufgaben, die sich dem ein-
zelnen Bauern stellten, waren - mit Bernd Wachters Worten gesagt - nicht leicht:
Fruchtwechsel, Stallviehhaltung, intensivere Düngung und neue Maschinen sollten
sinnvoll eingesetzt werden. Zur Unterstützung dienten flankierende Maßnahmen wie
landwirtschaftliche Vereine oder Landeskreditanstalten zur Aufbringung der Ablösungs-
summen. Die Folge dieser Reform war ein beispielloser Aufschwung in der Landwirt-
schaft, der bis in die zweite Hälfte des 19. Jh. anhielt und sich im Baugeschehen und
damit in den Siedlungsbildern zahlreicher Dörfer niederschlug.
Ein bereits seit dem 15. und 16. Jh. nachweisbarer Nebenerwerb, die Leinenherstellung,
erlangte im Gebiet des Landkreises eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Der An-
bau des Flachses konnte dabei auf relativ kleinen Flächen erfolgen und wurde teilweise
auch gartenmäßig betrieben. Das Gewinnen der Faser, das Verspinnen zum Faden und
das Verweben stellt eine mehrstufige Veredelung eines wertvollen landwirtschaftlichen
Produktes dar, die eine große Zahl von Arbeitskräften beschäftigte und auch ernährte.
Durch die Leinenherstellung waren auch kleinere landwirtschaftliche Anwesen lebens-

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