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Der Uhrmacher vo

„Lesen," antwortete der Ammeister.

„Hoher Herr verzeiht," sprach da Mathias, „Lesen und
Schreiben sind Künste, die ein schlichter Geselle, wie ich, nicht
treibt."

„Kennst Dn den Zettel nicht?"

„Nein, hoher Herr, mir kommt selten etwas Geschriebenes
unter die Hände, doch meine ich den Zettel noch nie gesehen
zu haben!"

Der Ammeister befahl Frau Margareth vorzuführen.

„Euer Enkel soll dieß Protokoll unterschreiben, er behauptet
nicht schreiben zu können; ist dieß der Wahrheit gemäß?"

„Ja, Herr," antwortete Frau Margareth, „er ist weder
des Lesens noch des Schreibens kundig!"

Der Ammeister lächelte über seine eigene Schlauheit; es
war klar, der Zettel war gefälscht, denn cs war doch nicht an-
zunehmcn, daß ein des Lesens unkundiger Geselle sich ein der-
artiges Schreiben habe ansstellen lassen.

Er befahl hierauf mit Zustimmung der Rathsglieder den
Gefangenen wieder in seine Zelle zu verbringen und entließ nun
Kläger und Zeugen. Jetzt erst begannen von Seiten des Rathcs
die eigentlichen Richter-Funktionen.

Der Ammeister ließ durch den ersten Stcttmeister noch ein-
mal die gesammelten Protokolle vorlesen und legte dann dem
Rathe die Frage vor, ob nach den vorliegenden Judicien Isaak
Habrecht schuldig sei, den Junker Hans von Zettlitz aus Eifer-
sucht mit „fürsorglicher Bedachtsamkeit" ermordet zu haben.

Jeder einzelne Rath hatte durch Abgabe einer weißen oder
schwarzen Kugel abzustimmen. Die weiße war die freisprechende,
die schwarze dagegen die verdammende. Der zweite Stcttmei-
ster sammelte die Kugeln in einem Behälter, den er dem Am-
meister überbrachte.

Dieser öffnete jetzt denselben und zählte die Kugeln; es
waren einundzwanzig schwarze.

Isaak war einstimmig des vorsätzlichen Mordes für schuldig
erkannt. Nun galt cs nur noch das Strafmaß des Schuldigen
zu bestimmen.

Der erste Stettmcistcr las jetzt aus dem „Recht-Buch" den
bezüglichen Paragraphen der „hochnothpeinlichen Halsgerichts-
Qrdnung" vor, der überschrieben war: „Mord und Vertodti-
gung" und also lautete:

„So Eyner Eyneqib an's Leben gehet und ihnc mit für-
sorglicher Bedachtsamkeite nf hinterlystig Wyse vertodtct, ohne
daß er in rechtschaffener Noth-Wchre gegen ihnc geweßt, der
soll nachfolgend Straff erlydcn:

1. den Tot durch das Behl oder aber das Rat.

2. (bei weniger schweren Füllen) Vcrlurst deß Augenliechts
"epst Aphacken der rechten Hand.

I. Vcrlurst deß Augenliechts ohne Aphacken der Hand.

Der Stettmeister beantragte hierauf, in Anbetracht, daß
der Ermordete den Mörder durch Verführung von dessen Braut
schwer beleidigt und zur That gereizt habe und in Anbetracht
sanier, daß der Thäter durch die Anfertigung einer der Stadt
Straßburg zur höchsten Zierde gereichenden Uhr sich um Stadt
und Einwohner hoch verdient gemacht habe, die geringste der

n Straßburg.

auszuwählenden Strafen, nämlich: „Vcrlurst deß Augenliechts

ohne Aphacken der Hand."

Einstimmig traten die Räthe der Ansicht ihres rechtskun-
digen Stettmeistcrs bei und — Isaaks Schicksal war entschieden.

(Schluß folgt.)

Spiegel oder Stiefelknecht.

Poetisch-historisch-philosophische Abhandlung des Studenten Habakuk
Habenichts.

Hier steh' ich nun mit trauernden Gedanken,

Betrachtend stumm die Trümmer meiner Habe.

Von allen Dingen, die in's Leihhaus sanken.

Blieb mir nur treu die Pfeife, meine Labe,

Ein Spiegel und ein Stiefelknecht — ohn' Wanken.

Nun sitz' ich hier betrachtend, was ich habe,

Und plage mich mit Grübeln höchst beschwerlich:

Was von den Drei'n am meisten sei entbehrlich.

Die Pfeife? Nein! Gefährtin meiner Tage!

Von dir will ich die Trennung nicht erleiden!

Du hast gestillt den Jammer und die Klage,

Du hast getröstet mich zu allen Zeiten.

Ob Spiegel oder Stiefelknecht?! — Die Frage,

Die gilt es jetzt mit Weisheit zu entscheiden.

Drum spann' ich auf den Stiefelknecht die Saiten
Auf dieser Leier will ich für ihn streiten.

Man nennt den Spiegel ein Symbol der Wahrheit,

Doch Niemand liebt die Wahrheit je zu hören.

Was hilft's? Die Welt in ihrer ew'gen Narrheit,

Sic weiß sich selber künstlich zu bethören;

Und zeigte auch in seiner vollsten Klarheit

Der Spiegel Wahrheit an — ich will's beschwören:

Ein Jeder sieht nur, was dem Nächsten fehlet,

Und nimmer Jenes, was ihn selbst entstellet.

Was nützt der Spiegel denn? Nur eitles Wesen
Erschafft er; Weiber, die der Männer Qual.

Nie hat man das vom Stiefelknecht gelesen,

Bescheid'nem Veilchen gleichet er im Thal.

Der Anspruchslose wird gar leicht vergessen
Und ist doch bieder, standhaft, treu wie Stahl,

Ein rechter Freund in bitt'rem Schmerz und Noth,

Die uns durch Hühneraugen oder Blasen droht.

Schneewittchen, kündet uns die Märchensage,

Wird durch den Spiegel großes Leid gegeben,

Und dreimal Huben kleine Zwerge Klage,

Weil sie ob einem Spiegel ward vergeben.

Schuf je ein Stiefelknecht des Neides Plage?

Zu Demuth mahnt er, Dulden und Vergeben;

Tritt man mit Füßen ihn Tag ein. Tag aus —
Geduldig zieht er uns die Stiefel aus.

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