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Aus dem Tagebuche

strömt mir entgegen — alle Blicke sind auf mich gerichtet —
der Professor tritt auf mich zu; plötzlich packt er mich krampf-
haft am Arm, aber nicht um mich der Gesellschaft vorznsteücn,
sondern vielmehr, um mich mit Gewalt durch die offen gebliebene
Thüre wieder hinauszuziehen.

„Aber, bester Professor," interpellirte ich.

Inzwischen hatte derselbe mich in ein Hinterzimmer trans-
portirt und mir einen Spiegel in die Hand gedrückt — ich
betrachte mich — ein Ausruf des Entsetzens; in durchaus nicht
classisch-antiken Falten hing mein weiter, zerrissener Schlafrock
um meine langen Glieder — ein Paar unzulängliche, abge-
schabte Sommerbeintleider trauerten an meinen unteren Extre-
mitäten und zwei sogenannte Schlurfen, ein brauner und ein
gelber, vollendeten diesen Fcstanzug.

Nur den vereinten Bemühungen des Professors und des
hinzukommcnden Universitäts-Rectors gelang es, mich davon ab-
zuhalten, daß ich nicht an die nächste Brücke lief und mich in's
Wasser stürzte, welchen Entschluß ich, unter obligatem Hin- und
Herrcuuen, als bei mir unumstößlich feststehend verkündete.

Da keine Trostsprüche helfen wollten, fuhr endlich Rector
magnificiis mit der Batterie eines triftigen Grundes ans mich
j los: „Nun, so gehen Sie in's . . . in Gottes Namen! und
springen Sie, aber nicht in's Wasser, sondern jedenfalls auf's
Eis; denn das werden Sie doch zugeben, daß Sie bei 15 Grad
Kälte, die heute Abend das Thermometer zeigt, vergebens nach
einer offenen Stelle im Fluß suchen würden."

Ich sank bei dieser durchaus wahrheitsgetreuen Anmerkung
vernichtet auf einen Stuhl.

„Und nun," fuhr der Rector fort, „wollen wir ihn mit
einem Glase Punsch erst vollständig und in integrum restituiren,
denn der arme Kerl muß ja bei der heutigen Witterung in
seinem Spinnengewebe-Costüm mehr als erlaubt gefroren haben."

Wirklich begann nach dem Genuß des heißen Getränkes
! nicht nur mein äußerer, sondern auch mein innerer Mensch all-
mählig auszuthaucu; ich fügte mich sogar nach einigen stärkeren
und schwächeren Renionstrationen der Anordnung der beiden alten
Herren, d. h. ich zwängte mich in ein Paar alte, aber immer-
hin noch brauchbare Beinkleider meines zukünftigen Schwieger-
onkels, hing mir den Frack des Rectors um (welcher seinerseits
j sich aus des Professors Garderobe mit einem langen Gchrock
versorgte) und schritt zwischen den beiden Würdenträgern ängstlich
j und beklommen zu der harrenden Gesellschaft zurück.

Parenthetisch will ich hier noch bemerken, daß mir der
Ausdruck: „ich hing mir den Frack um" nicht etwa irrthüm-
licher Weise entschlüpft ist, sondern daß ich selbigen für den vor-
liegenden Fall absichtlich gewählt; wie soll auch wohl eine schlanke
Bohnenstange von beinahe sechs Fuß Länge ein Kleidungsstück
! benutzen können, das für einen Mann unter Mittelgröße be-
! rechnet ist.

Freilich flog bei meinem Eintritt über manches Antlitz ein
unverkennbares Lächeln; freilich rümpfte mancher modisch aus-
staffirte Jüngling die Nase, und manches Backfischlein kicherte
laut genug in die vorgehaltene Schutzwehr des Taschentuches
j hinein — aber mein Auge suchte zuerst den Blick der Geliebten

: eines Zerstreuten. 99

und der war so innig-liebevoll, so ermuthigend, daß sich meine
Befangenheit bald verlor und ich sogar der bei Tische sich ent-
wickelnden Ceremonie des Ringeaufsteckens, Anstoßens, Händc-
drückens und Bedankens ohne übermäßige Fehlgriffe assistirte.

— Mein Dämon schien sich für heute beruhigt zu haben; aber
er schien es auch nur. Er hatte die ganze Fülle seiner Bos- j
heit zum Abschied verspart, bei welchem ich, liorribile dictu!
eine Verwechslung beging, die aber nur mir passircn kann. Um
es kurz zu machen — ich drückte meiner anverlobten Braut einen -
Thaler Trinkgeld in die Hand und schloß des Professors Dienst-
mädchen, Karoline, mit Inbrunst an mein Herz!! -

Wahrscheinlich wird Born nach dieser Schreckenssccnc die
Verlobung wieder auflösen.

Es ist fünf Uhr Morgens, da ich dieß schreibe; um neun !
schicke ich einen Brief an Louise, und wenn mir darauf hin
keine Verzeihung wird (und wer könnte so etwas vergeben?), !
so schieße ich mir eine Kugel durch den Kopf — das Pistol
wird hoffentlich nicht zugefroren sein!

Louise ist ein Engel — sie hat mir vergeben! Zu ihr

— um auch mündlich noch von meiner Schuld losgefprochen
zu werden!

-je *

*

Ich bin Ehemann — seit drei Tagen erst. Aber ich muß
gestehen, daß sich schon eine merkwürdige Veränderung in meinem
ganzen Dasein zeigt. Die Jrrthümer und Mißgriffe, Böcke und
Jnconvenienzen, die mich wie eine Schaar Teufel bisher be-
sessen hielten, scheinen vor meiner kleinen Frau in die fernsten
Fernen zu fliehen. Allerdings muß ich der Wahrheit gemäß
bekennen, daß ich noch an meinem Hochzeitstage einen recht
artigen Fehler beging, indem ich statt nach dem Hause meiner i
Braut mich direkt nach der Kirche fahren ließ und obenein nach
der Synagoge — aber dieß war vor der Trauung. — Jetzt i
soll mir Aehnliches so bald nicht mehr passircn; im Gcgentheil
bin ich überzeugt, daß ich hier

„Das Tagebuch eines Zerstreuten"
für immer schließen kann, um statt dessen ein schöneres zu bc- s
ginnen:

„Das Tagebuch eines glücklichen Gatten!"

Wink.

„Guten Abend, Mariechen, nun wie ist es Ihnen während
des Krieges ergangen, sind Sie noch bei Ihrer alten Herr-
schaft?" — „Ja, ich diene noch immer bei Geheim-Rath's,
wir wohnen auch noch immer in demselben Hause und ergangen
ist mir's so weit ganz gut, aber künftigen Montag führt meine
Herrschaft auf vier Wochen in's Bad und läßt mich ganz
allein zu Hause, da kann ich mich jetzt schon vor den ein-

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