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Ein Jrrthum.

gartens promenirte. Obwohl bereits weit vorgerückt in Jahren,
hielt er sich doch kerzengerade. Ein leichter Sommerhut be-
schattete die breite, hohe Stirne und das weiße Haar. Die
Hände hielt er in einandergelegt aus dem Rücken. Sein Schritt
war fest wie der eines vierzigjährigen Mannes, ein Zeichen,
daß das Podagra ihn bis jetzt noch nicht mit seinem Besuche
beehrt hatte.

Sein Begleiter war mindestens um einen Kopf kleiner als
er und hinkte ziemlich merklich auf dem rechten Fuße. Die
äußere Erscheinung bekundete deutlicher uoch als das schwarz-
weiße Bündchen des eisernen Kreuzes im Knopflochc den ehe-
maligen Militär. Der Dialekt verrieth sofort den Preußen.
Was das Alter betrifft, so mochten die beiden Herren sich so
ziemlich gleich stehen.

Obwohl der größere der beiden Spaziergänger kein Band
des eisernen Kreuzes im Knopfloch trug und seine Toilette von
fast gesuchter Einfachheit war, zog er doch überall, wo er sich
zeigte, die Aufmerksamkeit des Badepublikums in weit höherem
Grade auf sich, als der Freiheitskämpfer von 1813. Man
machte ihm ehrfurchtsvoll Platz, die meisten der Herren zogen
vor ihm den Hut und die Damen verbeugten sich, man blickte
ihm nach und flüsterte sich seinen Namen zu. Ein Paar junge
Engländerinnen folgten ihm sogar auf Schritt und Tritt. Man
weiß ja, was junge Engländerinnen auf dem Gebiete zudring-
licher Neugierde zu leisten vermögen.

Wer war der Mann mit der hohen, breiten Stirne und
dem festen Schritte? Irgend ein Fürst? Ein berühmter Staats-
mann? Ein Staatsmann war er in der That, wenn auch ge-
rade kein berühmter. Um so berühmter war er dagegen als
Fürst, und zwar als ei» Fürst des Geistes. Es war Johann
Wolfgang von Goethe und sein Begleiter war der preußische
General von Pfuel.

„Kommen Sie, lassen Sic uns den Seitenweg eiuschlageu,"
sagte Goethe, indem er aus der Hauptallee abbog. „Es wird
mir hier zu voll, und diese fatalen Engländerinnen sind immer
hinter »ns her."

„Ja, sehen Sie, Jeheimrath, das kommt von die Be-
rühmtheit," versetzte Herr von Pfuel lachend. „Mir passirt so
etwas nicht! Es ist zuweilen doch gut, wenn man keinen Faust
jcschrieben hat."

Um Goethc's Lippen spielte ein flüchtiges Lächeln. Er
setzte sich auf eine einsam in einem Bosquet stehende Bank und
begann mit dem Stocke Figuren im Kiese des Weges zu zeichnen.

„Wir sprachen dieser Tage von einer Partie nach Ossegg,"
sagte er nach einer Pause. „Wie wäre es, wenn wir den Aus-
flug morgen machten? Das Wetter ist köstlich, nicht zu heiß
und doch klar, das Gebirg wird sich herrlich ausnehmen."

„Dann dürfen wir aber nicht so lauge wie gestern und
vorgestern im Prince de Ligne sitzen bleiben," meinte der Ge-
neral. „Die Tage fangen bereits an kurz zu werden und der
Weg ist ziemlich weit."

„Den Prince de Ligne müßten wir wohl für morgen
ganz aufgebeu," versetzte Goethe mit seinem feinen Lächeln. „Ich
begreife, daß ein Feinschmecker wie Sie die Table cl'höte des

Prince de Ligne nicht gerne entbehrt. Aber wenn wir von
unserem Ausfluge den rechten Genuß haben wollen, müssen wir
schon in der Frühe aufbrechen, damit wir den ganzen Tag vor
uns haben."

„Hören Sie, Jeheimrath," sagte Herr von Pfuel mit
mißtrauischem Blicke, „ich hoffe, Sie haben doch wohl kein
Attentat auf meine armen Beine im Sinne? Seit mich das
verwünschte Zipperlein heimsucht, habe ich alle Fußparticen ver-
schworen!"

„Beruhigen Sie sich," erwiderte Goethe lachend, „die
Tage des Fußwanderns sind auch für mich vorbei. Wir be-
stellen den Wagen um sieben Uhr früh."

„Jetzt nicht! Da nehme ich mein Bad."

„Mir zu Liebe werden Sie es wohl einmal aussetzen,
nicht wahr?"

„Aber wir könnten ja wohl auch um neun Uhr oder zehn
Uhr fahren," meinte der General, „das ist zeitig genug."

„Nein, nein," versetzte Goethe eifrig, „mir liegt daran,
daß wir so früh als möglich abfahren. Bleiben wir also bei
sieben Uhr."

„Hören Sie, Jeheimrath, dahinter steckt etwas!" rief
Herr von Pfuel, „Sie müssen ganz besondere Absichten haben!"

„Ich habe sie in der That. Uebermorgcn sollen Sie alles
erfahren. Also, cs bleibt dabei: morgen Punkt sieben Uhr hole
ich Sie ab."

„Na meinetwegen," sagte Herr von Pfuel. „Mit Euch,
Herr Doktor, zu spazieren, ist ehrenvoll und bringt Gewinn.
Also fahren wir!"

„Und dann noch Eins. Bleiben wir den ganzen Tag
über iucognito und schließen wir uns Niemanden an, wenn
wir, was vorauszusehen, in Dux oder Ossegg Gesellschaft fin-
den sollten. Unterhalten wir uns ganz entre nous!-<

' „Sie werden immer jeheimnißvoller, lieber Jeheimrath!"
erwiderte der General. „Ich bin nur neugierig, was das Alles
bedeuten soll."

„Betrachten Sie es als eine Grille, nichts weiter. Ueber-
morgen erhalten Sie den Schlüssel des Rüthsels. Also abge-
macht! Wir fahren morgen nach Dux und Ossegg." Damit stand
Goethe auf, legte den Arm in den des Generals und kehrte mit
seinem Begleiter munter plaudernd nach der Stadt zurück.

Am anderen Morgen Schlag sieben Uhr hielt Goethe mit
seinem Wagen vor dem Stadtbade, wo Herr von Pfuel wohnte.
Er fand den General mit militärischer Pünktlichkeit bereits seiner
.wartend. Ein frisches „Guten Morgen", ein herzlicher Hände-
druck wurde gewechselt, und von zwei raschen Pferden gezogen
rollte der Wagen mit den beiden Ausflügler» in die herrliche
Morgenlandschast hinaus.

Goethe war heute außerordentlich aufgeräumt. Er schien
es sich zur Aufgabe gestellt zu haben, seinen Begleiter durch
heitere Laune für die verlorenen Genüsse der Table d’höte im
Prince de Ligne entschädigen z» wollen. In Dux wurde zu-
nächst der prächtige Waldstein'sche Park besucht, dann wurde
ein Gabelfrühstück eingenommen; hierauf ging es zu den Samm-
lungen im Schlosse. Während der General sich mit der inter-
Bildbeschreibung
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