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Die Weihnachtsglocken.

da oder dort, nur daß die Dunkelheit ihn vor dem häßlichen
Anblick schütze. Heilsfroh war er b’rum, als im Hause das
j Geräusch und das Hin- und Hcrgehen der aufstehenden Knechte
! und Mägde, die sich zum Gang nach der Stadt zur Christmcsse
rüsteten, ihm den entschwundenen Math zurückgaben, daß er
I schwcißgebadet aufspringen konnte, um sich beim rasch ange-
I zündeten Lichte zum nächtlichen Kirchgang vorzuberciten. Seitdem
hatte er es vorgezogen, Jahr für Jahr schon Nachmittags zur
- Stadt zu gehen, dort mancherlei Geschäfte abzuthun und dann
des Abends einzutretcn in die Stube am Rathhause, wo er
j beim Weine die Zeit der Christmesse abwartcte. Dort im Hellen
1 Gemach, wo hie und da Andere beim Glase saßen, hatte kein
Schrecken und keine Angst ihn angefochtcn und die häßlichen
I Erinnerungsstundcn waren ohne Aufregung vorübergegangen.

I So wollte er auch dießmäl alsbald wieder den Gang nach der
Stadt antreten; es warteten aber mancherlei unvorhergesehene
> Dinge auf den Heimgckehrten: Justine hatte Vielerlei zu fragen,

! ein Schwein war krank geworden und mußte besehen werden,
ans dein Dorfe kam Einer und der Andere mit einer Anfrage,
und so ging die Zeit hin und die frühzeitige Abenddämmerung
war hcrangckvmmcn, als er endlich seine Wanderung antreten
konnte. Indessen bis zur Stadt war es ja nicht weit und er
konnte vor völligem Dunkelwerden noch recht wohl hineinkommen.

Raschen Schrittes wunderte er durch das Tors, der Schnee
! knirschte unter seinen Füßen, sein Athem stieg wie ein Nebel vor
i ihm auf und setzte sich als weißer Reif an den Pelzkragen fest;
j drüben »ach der Stadt zu hing ein röthlich Grau in der Luft,

I der letzte Schimmer der Sonne, die hinter den Wolkenschleiern
! niedergcgangen war. Er kam nun an des Schmicd's Jürgen
j Hütte, dort bog ein Fußpfad ab; die Torfstraße zog sich, dem

; Laufe des Baches folgend, in weiter Krümmung der Stadt zu,

! jener Fußpfad führte mitten durch den Wald in geraderer Richt-
| ung, den Weg wohl um eine Viertelstunde verkürzend. Der Erb-
richter schlug den Fußpfad ein, er lag freilich tief unter dem Schnee
! begraben, aber wie viel hundert Male hatte Klaus jenen Weg
! nicht schon gemacht — wußte er doch hier ebenso gut Bescheid, als
i int cig'ncn Hause. Als er in den Wald cintrat, fand er es
finsterer, als er gedacht hatte, und überall lag die einförmige
Schneedecke hingebrcitet — aber was hatte das zu sagen! raschen
Schrittes watete er durch den tiefen Schnee. Bald indessen

mußte er gewähr werde», daß er doch von dem Fußpfade ab-

gekommen sei, die Stämme der Bäume standen ihm oft mitten
im Wege. Was that dies aber, wenn er nur immer in der
Richtung fortging, mußte er ja zum Ziele kommen. Immer
rascher schritt er aus . . . jetzt aber mußte er ja den Wald-
saum längst erreicht haben und noch immer war dieselbe Finsterniß
um ihn und das überall gleiche Wirrsal der Stämme. „Zum
Teufel!" rief er ärgerlich lachend, „bin ich denn verhext! Wie
kann man sich denn hier verirren! Nun, es hilft nichts, jetzt
geh' ich geradwcgs links ab, dann muß ich bald auf's Torf
zu hinaus kommen, werde freilich auf solche Weise iticht viel
profitirt haben!" Er wendete sich litiks und schritt hastiger und
nicht ohne eine leise Unruhe in seinem Innern zwischen den
Stämmen hin. Ter Schnee stäubte von den gestreiften Acstcn

dicht auf ihn nieder, er achtete cs nicht. Jetzt war er lange,
lange hingegangcn, und noch war kein Ende des Waldes da.

„Zum Teufel auch, was ist denn das?" rief er, „bin
ich denn ganz verhext?" Er stand still, und nun kam es ihm j
mit einem Mal zum Bewußtsein, daß er wirklich jede Richtung |
verloren habe.

„ Wenn nur in des Kukuks Namen sich irgend etwas hören !
ließe, ich kann doch unmöglich so weit vom Dorfe ab sein!
Dummes Zeug!" setzte er mit einem unruhigen Lachen hinzu, !
„man wird mir's nicht glauben wollen, wenn ich's erzähle, daß l
ich mich hier verirrt habe. Hätte doch besser gcthan, ich wär'
im Dorfe geblieben!" Es stand tief in seiner Seele ein Ge-
danke, so unheimlich und grauenvoll, daß er ihn nicht zu denken
wagte, und doch war er da mit all' seiner Furchtbarkeit, cs war
der ängstliche schaurige Gedanke, der Geist der jählings dahin-
geschiedenen Ursel sei um ihn her und habe ihn verblendet und
irre geführt. „Das ist ja eine ganz grause Geschichte. Es

wird's Niemand glauben wollen!" wiederholte er und versuchte
abermals zu lachen, aber mit immer schlechterem Erfolg. —
Jetzt stand er wieder und lauschte und horchte, aber nirgends,
nirgends ein Ton. „Jst's doch, als ob die ganze Welt aus-
gestorben wäre!" murrte er. Aber was half cs: stehen bleiben !
konnte er nicht in der Kälte. Unbehagliche Gedanken an die j
Wölfe stiegen in seiner Seele auf, wie sie in gierigem Hunger !
in dichten Rudeln dahinzichcnd einen einzelnen Manu leicht über-
wältigen könnten. Jetzt eilte er weiter. Vorwärts, vorwärts! !
er mußte doch endlich irgendwo herauskommen. Da — ein
wilder Angstschrei, der Boden unter ihm wich, Zweige schlugen
ihm in's Gesicht, Schnee stäubte ihm in die Augen, ein Brechen j
und Knistern, ein Sturz tief, tief hinab in unsägliche Finster- !
niß. Einen Augenblick lag er betäubt, dann sprang er auf — er
greift um sich her, harte kalte Wände neben ihm, er tappt !
angstvoll weiter, überall harte kalte Wände ... er weiß cs
— er mußt' es sogleich, aber er konnte, er wollte cs nicht j
glauben — aber jetzt ist kein Verhehlen möglich, er war in
eilte Wolfsgrube gestürzt! Jetzt wußte er, wie er weil, weit ab
vom Wege gewesen, denn die Wolfsgruben lagen tief im Krumm-
holze. Welch' ein namenlos Erschrecken, welche unsägliche Angst!
Wie das vorüberjagte dnxch seine Seele, entsetzliche Schreckcns-
bildcr, immer neue und neue, und waren alle fortwährend da, j
und starrten ihn an. Wie er aufschrie: „Hülfe! Hülfe!" und j
wußte cs doch mit grauenvoller Gewißheit, daß der Wald rings-
um seine Stimme verschlinge, und sein Angstruf zu keines Men-
schen Ohr dringen könne. Wie er die Hände einkrallte in die
harte eiskalte Waitd, um heraufzuklimmen, und ringsum war
es wie harter Stein, wie er das Messer herauszog und grub
und bohrte in der Hast wilder Todesangst, und der hartgefrorene
Boden widerstand allem Graben und Stemnien, und das Messer
zerbrach. Wie er kämpfte und rang wider die furchtbare Ge-
wißheit, verloren und dem Tode verfallen zu sein, wie er meinte,
er müsse sich noch irgendwie retten können, und immer lauter
flüsterte ein unsägliches Grauen: Es ist umsonst! cs ist keine
Rettung. „Es kann nicht sein!" schrie er in angstooller Wuth.
„Rein, nein! ich kann, ich will nicht umkommcn hier! ich muß
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