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Die Weihnachtsglocken.

gerettet werden!" Und wie er wieder krähte und grub mit ohn-
mächtigen Fingern. Voll Grünen stand ein entsetzlich Bild vor
! seiner angstgepcitschten Seele. Vor Jahren war mitten im
Winter der Nikel Kunith verloren gegangen, endlich fand man
ihn verhungert oder erfroren in einer Wolfsgrube; er hatte ihn
damals gesehen, den Leichnam, mit den bis auf die Knochen
zcrschundenen Fingern! Wenn's soweit mit ihm käme! dachte er
und wußte cs nicht, daß schon jetzt das Blut herniederrann von
den wunden Händen, er fühlte es nicht in der Todesangst.
Jetzt schrie er laut hinaus um Hülfe, und im selben Augen-
blick fuhr ihm der entsetzliche Gedanke durch den Sinn, wie er
durch sein Schreien keinen Menschen, wohl aber die lauernden
Wölfe herbeirufen könnte. Wenn sic kämen, wenn sie in ihrem
wilden Hunger sich hinabstürzten — und er hier in der engen
i Grube wehrlos von den Bestien umringt, überall das gierige
Schnaufen, überall die heißhungrigen Zähne in sein Fleisch cin-
beißcnd! Jesus Maria! Waren Augenblicke, Stunden vergangen,
er wußte cs nicht, bis er nach unablässigem Ringen wider die
entsetzliche Gewißheit eines qualvollen Todes ermattet zusammen-
brach, die ganze Hoffnungslosigkeit seiner Lage ihn starren Auges
anschaute, und er verzweifelnd die Hände vor die Stirne schlug.

„Heilige Mutter Gottes! erbarme Dich, hilf! hilf!" jam-
j inerte er nun; der Reihe nach rief er alle Heiligen an und ge-
labte Kerzen zu stiflcn auf allen Altären des Klosters drüben und
in allen Kirchen der Stadt. Endlich kauerte er erschöpft und in
! Schweiß gebadet, eine Beute maßloser Verzweiflung, in der Grube
! und durch die angstgehetzte Seele zogen unzählige Bilder und Ge-
danken. Er sah sein Haus drüben im Dorfe, jedes Gemach,
er sah die verschiedenen Dinge an den Wänden hängen, er sah
die Justine, die Knechte und Mägde ruhig und gelassen hin-
j gehen — und er — er sollte hier sterben . . . verhungern
oder erfrieren. Er sah die Gassen der Stadt, wie die Leute
ruhig ihres Weges gingen, und er ihnen so nahe und doch
rettungslos verloren, denn Niemand kam hierher! Heut' Nacht,

^ vielleicht bald (denn was wußte er von Zeit und Stunde!)
zogen sie das Dorf entlang, Groß imb Klein, mit Fackeln her-
über zur Christmette; kaum eine halbe Stunde waren sie von
ihm entfernt und doch . . . keine Rettung und Erlösung! Dann
werden sie stehen in der lichterhellen Kirche, wo die Orgel tönt
und die Priester und die Chorknaben singen, und er indessen
hier dem Tode preisgcgeben, dem entsetzlichen! Vor morgen
Mittag vermißte ihn Niemand; auch dann wird cs noch lange
währen, ehe sie daheim besorgt um ihn würden, und wen» sie
dann endlich nach ihm fragten und ihn suchten . . . hier wird
man erst hinkommen, wenn cs längst zu spät, sic werden ihn
finden, aber wie damals den Nikel Kunith!

Da erklang, während er hinbrütend tief unten in der
Grube saß, dumpf herüber durch den Wald der Schall der
Glocken; drinnen in der Stadt läuteten sie den heiligen Abend
ein. Wenn diese Glocken früher erklungen wären! Jetzt wußte
er genau, wie er zu gehen hätte, aber nun war's zu spät. Der
Glocken Klang aber ward dem Verzweifelnden zu Worten, die
deutlich zu seiner Seele sprachen: „Klaus! Klaus!" so tönte
es, „die Stunden verrinnen, des Lebens letzte Stunden und

das Ende ist nahe! Sie werden Dich endlich finden, aber als
Leiche. Bcrndt wird Dein Erbe. Alles, was Du erworben,
füllt ihm zu, denn Du hast noch nicht ausgeführt, was Du
vorhattest, Hab und Gut Anderen zu verschreiben, damit nur
er cs nicht bekomme. Er wird Alles haben, aber Deinen Tod
muß er für ein Glück ansehen! Er hätte um Dich getrauert,
denn sein Herz ist fromm und weich, aber Dn selbst hast's
dahin gebracht, daß er sich freuen muß Deines Todes! erwirb
Deine Gebeine stattlich begraben lassen, und Dir einen Stein
setzen auf's Grab, auf dem wird Dein Name stehen und da- l
runter: Dem Gott gnade! Klans! Klaus: dem Gott gnade?
Hast Du die Gnade nicht nöthig? Aber wie magst Du hoffen
auf Gnade und Erbarmen, da Dn selbst nichts weißt von
Gnade? Vor wenigen Stunden standest Du vor Denen, so ;
Dir Gott gegeben-, als die, welche Deiner Liebe und Deinem
Erbarmen die Nächsten sein feilten, standest vor ihnen, um
Dich zu erlaben an ihrer Angst und ihrer Noth, die Du selbst
über sie gebracht, in rachsüchtiger Bosheit. Wenn des Procu- '
rators Ohr taub ist gegen das Flehen der Rathlosen und sein j
Herz meint, nicht länger Geduld haben zu dürfen mit den
säumigen Ziuszahlern, wer hat das Ohr kaub gemacht und das
Herz hart als Du? Hast Du ihn nicht gestachelt nnt heim-
tückischen Worten, daß der Berndt nur lüderlich sei und zahlen j
könnte, wenn er nur ernstlich wollte, und wie endlich ein streng
Beispiel nöthig sei? Klaus! Klaus! erforsche Dein Herz und
siehe, wie es so hart ist und liebeleer! So war's nicht vor
langen, langen Jahren, als Du in der heiligen Nacht mit den i
Eltern und Geschwistern hinübergingst zur frohen lichterhellen j
Christmesse in der Sladt!"

Aber des Gescholtenen Herz antwortete: „Ja, mein Herz
ist hart, ich fühle cs jetzt, aber wer trügt daran die Schuld? :
Sie! sie! Hätte Christine mich damals nicht nbgewiescn, ich
wäre anders geworden! Mein Herz ist hart, aber die Hölle,
die ich bei der Ursel hatte und all' die Noth und der Aerger
mit ihr hat mich hart und bös gemacht, und wer ist daran
Schuld,' als die Christine und der Berndt!"

Und wiederum klang es in dem Ton der Glocken: „Sind
sie Schuld? Hatte Christine nicht freie Wahl? Sollte sie ihr
Herz brechen, sollte sich dem entziehen, den sie liebte und mit
Dir traurige liebeleere Tage verleben, damit Du nur nicht
schlimmer würdest in Deines Herzens Härtigkeit? War sie es,
die Dich geheißen, darnach einzig Hab und Gut zu erheirathen,
und um die zu freien, deren bösen Sinn Du kanntest? Deine
eigene Schuld ist es, die Du getragen! Nun willst Du es
ihnen aufbürden und willst damit all' Deine Unbarmherzigkeit
rechtfertigen? Klaus, Klaus! Dein Herz ist ohne Erbarmen,
ohne Gnade! Die Stunden rinnen dahin, Gnade ist Dir noth!
suche sie, suche sic in Neu und Leid!"

(Schluß folgt.)
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