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Zwei Schädel.
ihr in heftigen Ausdrücken das Rückgängigmachen des abge-
schlossenen Vertrages und ließ sich sogar dazu verleiten, auf
Rechte zu pochen, die er nicht besaß. Seine Leidenschaftlichkeit
aber bewirkte das gerade Gegentheil von dem, was er zu er-
reichen wünschte. Hätte er gebeten, statt stürmisch zu verlangen,
vielleicht hätte sich die schöne Kozelska daran erinnert, daß sie
durch ihren Entschluß das Lebensglück eines Mannes zerstörte,
dem sie bisher zugcneigt war, vielleicht hätte sie nicht gethan,
was sie nur aus Leichtsinn und Eitelkeit zu thun Willens war;
vielleicht hätte sie bedacht, daß ein bescheidenes aber achtcns-
werthes Loos einem glänzenden aber schimpflichen Leben vor-
zuziehen sei. So aber verdarb Sirsky durch seine leidenschaft-
liche Heftigkeit Alles. — „Geh", rief ihm das erzürnte Mädchen
zu, „Du hast keine Rechte an mich, ich bin Herrin meiner selbst
— ich liebe Dich nicht!"
Dies war zu viel für den unglücklichen Hanswurst. Wie
vernichtet stürzte er aus der Stube und dem Hause. Den ganzen
Tag über irrte er umher in einsamer Gegend, um unbelauscht
seinen Thränen, seiner wilden Verzweistung freien Lauf lassen
zu können. — Abends aber, nachdem Kovachy schon befürchtet
hatte, daß sich sein Hanswurst am Ende gar das Leben ge-
nommen habe, kehrte dieser in den Circus zu der Vorstellung
zurück; todtenbleich zwar, doch äußerlich ruhig, erfuhr er hier,
daß die schöne Kozelska am Nachmittage in einem Wagen nach
Stuttgart abgeholt worden sei. Schweigend legte Sirsky seine
Hanswurstkleidung an und machte wie immer während der
Produktion dem fröhlichen Publikum seine geivohnten Spässe
vor und vollführte mit Verachtung der Gefahr seine halsbrecher-
ischen Sprünge auf dem Rücken seines ungesattelten Pferdes.
Jubel ward ihm für seine Scherze, rauschender Beifall für seine
beispiellosen künstlerischen Leistungen zu Theil, doch wie empfind-
ungslos nahm er Beides hin, kein Zeichen von Freude über
die errungenen Erfolge belebte seine eisernen Züge. —
So trieb er's einige Tage. Niemand hatte ihm bisher
in gerechter Würdigung seines Seelenzustandes mitzutheilen ge-
lvagt, was außer ihm schon alle Welt wußte, — was die
schöne Kozelska mittleriveile in Wahrheit geworden war. Da
endlich sagte ihm Kovachy, welche Verbindung Johanna mit dem
Herzog eingcgangen hatte; er hoffte, daß es Sirsky leichter fallen
würde, seines Schmerzes Herr zu werden, wenn er die Geliebte
verachten könne. Und wie dem Direktor schien, war ihm diese
Absicht ivohl gelungen, denn sein Hanswurst hörte seinen Bericht
ziemlich ruhig an; nur ein plötzliches Feuer hatte in seinen
Angen aufgeleuchtet, als er erfuhr, daß die schöne Kozelska —
blauseidene Schuhe trüge. Kovachy hielt dies für ein Zeichen
der Entrüstung über die Schmach Johannas; er täuschte sich,
das Blitzen in Sirskys Augen war nicht das Lodern zorniger
Verachtung, es war dem Entschlüsse, sich zu rächen, entsprungen.
Noch am Abende des Tages, an welchem er die Mit-
theilung seines Direktors erhalten hatte, schritt er nach der
Stadt, erfrag mit leichter Mühe die Wohnung der neuen
Maitresse des Herzogs — sie befand sich im Schloßgarten,
in einem der zur Orangerie gehörigen Gartenhäuser — und
verbarg sich im Gebüsche in der Nähe der Eingangsthüre.
Trotz der geschlossenen Läden des oberen Stockwerkes bemerkte
er, daß dasselbe glänzend beleuchtet war; er hörte munteres
Lachen, •— er vermochte sogar deutlich Johannas wohlbekannte
Stimme zu unterscheiden, ohne Zweifel war der Herzog bei ihr.
Mit vor Wuth übereinander gebissenen Zähnen stand Roman
im Dickicht und seine Rechte umklammerte den Griff des scharfen
Dolches, den er im Gürtel trug, mit dem festen Entschlüsse,
den Mörder seines Glücks, den fürstlichen Verführer seiner,
Geliebten zu tobten, sobald er das Haus verlassen würde.
Wohl zwei Stunden stand er so; es war völlig dunkel
geworden. Da fuhr ein Wagen vor; die Thüre des Hauses
öffnete sich, Sirsky sah bei dem matten Schimmer der Wagen-
laternen einen Mann heraustreten, nach dem Schlage schreiten
und — wie ein Tiger auf seine Beute stürzte er sich aus ihn
und mit gewaltigem Stoß vergrub er seinen Dolch in des
Mannes Brust. Mit einem Schrei sank dieser zu Boden und
— im nämlichen Augenblicke ward Sirsky von zwanzig Armen
gepackt und entwaffnet. Er versuchte keinen Widerstand zu leisten;
schweigend ließ er sich die Hände auf den Rücken binden, —
seine Rache war ja gelungen, der Mörder seines Glückes lag
todt zu seinen Füßen.
Da traten Lakaien mit Lichtern aus der Thüre, ein Mann
mit einem Ordcnstern an der Brust folgte und — der Mörder
zuckte zusammen; er erkannte den Mann, es war der Herzog,
den er vermeint hatte, getödtet zu haben. Sein Dolch hatte
einen unglücklichen Lakaien getroffen, der seinem Herrn voran-
eilend den Wagcnschlag hatte öffnen wollen. Mit einem Geheule
der Wuth versuchte Sirsky da sich loszureißen, aber sein Bemühen,
die Bande zu sprengen, war vergeblich, er ward zu Boden ge-
zerrt und — der Herzog fuhr hinweg, nachdem er noch den
Befehl gegeben hatte, den Mörder in's Gefängniß zu verbringen.
Es war eine furchtbare Nacht, die der unglückliche Roman
Sirsky in seiner dumpfen, unterirdischen Zelle zubrachte. In
Anbetracht der Größe seines begangenen Verbrechens war er
an Händen und Füßen mit schweren Ketten belastet und über-
dieß noch an die Wand angeschlossen worden, so daß er keiner
freien Bewegung fähig war. Auf einem Haufen fauligen, übel-
riechenden Stroh's kauerte er in der Ecke, in welche er durch
die Kette gebannt war, und stierte vor sich hin in das ihn um-
gebende undurchdringliche Dunkel. — Kein Schlaf kam in sein
Auge; der Tag brach an, der Gefangene erkannte ihn an einem
matten Schimmer, der durch ein an der Decke befindliches ver-
gittertes Loch sich hereinstahl und der kaum hinreichte, den kleinen
Raum seiner Zelle soweit zu erhellen, daß er von einem Ende
zum andern zu sehen vermochte. — Der unglückliche Hanswurst
schlug die Hände vor sein Gesicht und weinte bitterlich.
In diesem Raume schmachtete der arme Gefangene zwei
Monate lang, denn der Gang der Justiz war zu jener Zeit
noch ein sehr schleppender. Die Präliminarien über die Fest-
stellung des Thatbestandes des begangenen Verbrechens nahmen
allein acht volle Tage in Anspruch; nach Ablauf dieser Zeit
erst ward Sirsky das erstemal seinen ihm bestellten Richtern ■
vor geführt.
Mit Freimuth erklärte er beim Verhör, daß sein Dolch-
Zwei Schädel.
ihr in heftigen Ausdrücken das Rückgängigmachen des abge-
schlossenen Vertrages und ließ sich sogar dazu verleiten, auf
Rechte zu pochen, die er nicht besaß. Seine Leidenschaftlichkeit
aber bewirkte das gerade Gegentheil von dem, was er zu er-
reichen wünschte. Hätte er gebeten, statt stürmisch zu verlangen,
vielleicht hätte sich die schöne Kozelska daran erinnert, daß sie
durch ihren Entschluß das Lebensglück eines Mannes zerstörte,
dem sie bisher zugcneigt war, vielleicht hätte sie nicht gethan,
was sie nur aus Leichtsinn und Eitelkeit zu thun Willens war;
vielleicht hätte sie bedacht, daß ein bescheidenes aber achtcns-
werthes Loos einem glänzenden aber schimpflichen Leben vor-
zuziehen sei. So aber verdarb Sirsky durch seine leidenschaft-
liche Heftigkeit Alles. — „Geh", rief ihm das erzürnte Mädchen
zu, „Du hast keine Rechte an mich, ich bin Herrin meiner selbst
— ich liebe Dich nicht!"
Dies war zu viel für den unglücklichen Hanswurst. Wie
vernichtet stürzte er aus der Stube und dem Hause. Den ganzen
Tag über irrte er umher in einsamer Gegend, um unbelauscht
seinen Thränen, seiner wilden Verzweistung freien Lauf lassen
zu können. — Abends aber, nachdem Kovachy schon befürchtet
hatte, daß sich sein Hanswurst am Ende gar das Leben ge-
nommen habe, kehrte dieser in den Circus zu der Vorstellung
zurück; todtenbleich zwar, doch äußerlich ruhig, erfuhr er hier,
daß die schöne Kozelska am Nachmittage in einem Wagen nach
Stuttgart abgeholt worden sei. Schweigend legte Sirsky seine
Hanswurstkleidung an und machte wie immer während der
Produktion dem fröhlichen Publikum seine geivohnten Spässe
vor und vollführte mit Verachtung der Gefahr seine halsbrecher-
ischen Sprünge auf dem Rücken seines ungesattelten Pferdes.
Jubel ward ihm für seine Scherze, rauschender Beifall für seine
beispiellosen künstlerischen Leistungen zu Theil, doch wie empfind-
ungslos nahm er Beides hin, kein Zeichen von Freude über
die errungenen Erfolge belebte seine eisernen Züge. —
So trieb er's einige Tage. Niemand hatte ihm bisher
in gerechter Würdigung seines Seelenzustandes mitzutheilen ge-
lvagt, was außer ihm schon alle Welt wußte, — was die
schöne Kozelska mittleriveile in Wahrheit geworden war. Da
endlich sagte ihm Kovachy, welche Verbindung Johanna mit dem
Herzog eingcgangen hatte; er hoffte, daß es Sirsky leichter fallen
würde, seines Schmerzes Herr zu werden, wenn er die Geliebte
verachten könne. Und wie dem Direktor schien, war ihm diese
Absicht ivohl gelungen, denn sein Hanswurst hörte seinen Bericht
ziemlich ruhig an; nur ein plötzliches Feuer hatte in seinen
Angen aufgeleuchtet, als er erfuhr, daß die schöne Kozelska —
blauseidene Schuhe trüge. Kovachy hielt dies für ein Zeichen
der Entrüstung über die Schmach Johannas; er täuschte sich,
das Blitzen in Sirskys Augen war nicht das Lodern zorniger
Verachtung, es war dem Entschlüsse, sich zu rächen, entsprungen.
Noch am Abende des Tages, an welchem er die Mit-
theilung seines Direktors erhalten hatte, schritt er nach der
Stadt, erfrag mit leichter Mühe die Wohnung der neuen
Maitresse des Herzogs — sie befand sich im Schloßgarten,
in einem der zur Orangerie gehörigen Gartenhäuser — und
verbarg sich im Gebüsche in der Nähe der Eingangsthüre.
Trotz der geschlossenen Läden des oberen Stockwerkes bemerkte
er, daß dasselbe glänzend beleuchtet war; er hörte munteres
Lachen, •— er vermochte sogar deutlich Johannas wohlbekannte
Stimme zu unterscheiden, ohne Zweifel war der Herzog bei ihr.
Mit vor Wuth übereinander gebissenen Zähnen stand Roman
im Dickicht und seine Rechte umklammerte den Griff des scharfen
Dolches, den er im Gürtel trug, mit dem festen Entschlüsse,
den Mörder seines Glücks, den fürstlichen Verführer seiner,
Geliebten zu tobten, sobald er das Haus verlassen würde.
Wohl zwei Stunden stand er so; es war völlig dunkel
geworden. Da fuhr ein Wagen vor; die Thüre des Hauses
öffnete sich, Sirsky sah bei dem matten Schimmer der Wagen-
laternen einen Mann heraustreten, nach dem Schlage schreiten
und — wie ein Tiger auf seine Beute stürzte er sich aus ihn
und mit gewaltigem Stoß vergrub er seinen Dolch in des
Mannes Brust. Mit einem Schrei sank dieser zu Boden und
— im nämlichen Augenblicke ward Sirsky von zwanzig Armen
gepackt und entwaffnet. Er versuchte keinen Widerstand zu leisten;
schweigend ließ er sich die Hände auf den Rücken binden, —
seine Rache war ja gelungen, der Mörder seines Glückes lag
todt zu seinen Füßen.
Da traten Lakaien mit Lichtern aus der Thüre, ein Mann
mit einem Ordcnstern an der Brust folgte und — der Mörder
zuckte zusammen; er erkannte den Mann, es war der Herzog,
den er vermeint hatte, getödtet zu haben. Sein Dolch hatte
einen unglücklichen Lakaien getroffen, der seinem Herrn voran-
eilend den Wagcnschlag hatte öffnen wollen. Mit einem Geheule
der Wuth versuchte Sirsky da sich loszureißen, aber sein Bemühen,
die Bande zu sprengen, war vergeblich, er ward zu Boden ge-
zerrt und — der Herzog fuhr hinweg, nachdem er noch den
Befehl gegeben hatte, den Mörder in's Gefängniß zu verbringen.
Es war eine furchtbare Nacht, die der unglückliche Roman
Sirsky in seiner dumpfen, unterirdischen Zelle zubrachte. In
Anbetracht der Größe seines begangenen Verbrechens war er
an Händen und Füßen mit schweren Ketten belastet und über-
dieß noch an die Wand angeschlossen worden, so daß er keiner
freien Bewegung fähig war. Auf einem Haufen fauligen, übel-
riechenden Stroh's kauerte er in der Ecke, in welche er durch
die Kette gebannt war, und stierte vor sich hin in das ihn um-
gebende undurchdringliche Dunkel. — Kein Schlaf kam in sein
Auge; der Tag brach an, der Gefangene erkannte ihn an einem
matten Schimmer, der durch ein an der Decke befindliches ver-
gittertes Loch sich hereinstahl und der kaum hinreichte, den kleinen
Raum seiner Zelle soweit zu erhellen, daß er von einem Ende
zum andern zu sehen vermochte. — Der unglückliche Hanswurst
schlug die Hände vor sein Gesicht und weinte bitterlich.
In diesem Raume schmachtete der arme Gefangene zwei
Monate lang, denn der Gang der Justiz war zu jener Zeit
noch ein sehr schleppender. Die Präliminarien über die Fest-
stellung des Thatbestandes des begangenen Verbrechens nahmen
allein acht volle Tage in Anspruch; nach Ablauf dieser Zeit
erst ward Sirsky das erstemal seinen ihm bestellten Richtern ■
vor geführt.
Mit Freimuth erklärte er beim Verhör, daß sein Dolch-