Zwei Schädel.
ftoft nicht denjenigen getroffen, dem er bestimmt gewesen, —
er den Herzog habe ermorden wollen. Ueber seine Beweg-
griinde zu so schwarzer That verweigerte er jedoch beharrlich
jede Auskunft und als man ihm andeutete, daß man Mittel
und Wege finden würde, ihn zum Gcständuiß zu zwingen,
Zuckte er blos verächtlich mit der Achsel und meinte: es läge
Nlcht im Interesse des Herzogs, wenn diese Beweggründe öffent-
Uch bekannt würden.
Diese Aeußerung veranlaßte die Richter zur Vorlage des
Verhör-Protokolls an Seine Hoheit mit der gehorsamsten An-
züge, was darauf hin geschehen solle. Kurzer Hand kam schon
uach acht weiteren Tagen das herzogliche eigenhändige Rescript
zurück mit der Weisung, alle den Landesherrn betreffenden
[ fragen zu unterlassen, dagegen aber „kurzen Prozeß" mit dem
3»culpaten als überwiesenen und geständigen Mörder des
Safaien Ambros Jttler zu machen. — Der Gerichtshof vollzog
den herzoglichen Befehl, aber das „kurze Prozeßverfahren" dauerte
doch noch vier Wochen. Endlich gaben die Richter das Urtheil
ab: Der Maleficant Roman Sirsky, von Kalisz in Palen ge-
bürtiger Kunstreiter, solle wegen geständiger Weise mit Vor-
bedacht begangenen Mordes an dem herzoglichen Lakaien Ambros
3ttler auf dem gewöhnlichen öffentlichen Richtplatze durch das
Rad vom Leben zum Tode gebracht werden, welches Urtheil am
15- Juli 1763 zu vollziehen sei. — Dieser Urtheilssprnch
ward dem Delinguenten nach erhaltener landesherrlicher Bestätigung
^öffnet. Mit Ruhe hörte ihn der Vcrnrtheilte an und bat
u»r, die Frist, die er noch zu leben habe, möglichst abzukürzen
und ihn so bald wie möglich sterben zu lassen.
Mit weit weniger Ruhe vernahm das fürchterliche Urtheil
— die schöne Kozelska. An der begangenen That hatte sie
den Grad der Verzweiflung und an dieser die Größe der
Liebe ermessen können, die der unglückliche Roman für sie ge-
fühlt; gleichzeitig aber vermochte sie auch die ganze Schwere
ihrer eigenen Schuld, die ganze Abscheulichkeit ihrer Handlungs-
weise zu erkennen, die allein die entschliche That hervorgerufen
und den ehrlichen treuen Roman zum Verbrecher gemacht hatte.
Mit der Reue über ihren unverzeihlichen Leichtsinn erwachte aber
uuch die nie entschwundene, im Rausche ihrer Sinne nur betäubte
Liebe für ben Unglücklichen in ihrer vollen ihr selbst unbekannten
Kraft, und verzweifelnd, mit gerungenen Händen und mit Thränen
überströmten Augen warf sie sich am Abende des Tages, an
welchem der Herzog das Todesnrtheil unterzeichnet hatte, ihrem
fürstlichen Liebhaber zu Füßen und flehte in Tönen der gräß-
lichsten Angst uni das Leben des Verbrechers. Der Herzog sah
sie finster an: „Dieser Sirsky", sprach er heftig, „war Dein
beliebter und wollte mich, weil Du ihn um meinetwillen auf-
gäbst, ermorden. Er wäre deßhälb dem gerechten Tode schon
verfallen, auch wenn sein Dolch statt meiner nicht den unglück-
lichen Jttler getroffen hätte. — Er muß sterben; doch Dir zu
Gefallen" fügte er mit grausamen Lächeln bei, „will ich das
Urtheil dahin abändern, daß er nicht gerädert, sondern — gehängt
wird. — Dabei bleibt's", rief er unmuthig, als Johanna
feine Kniee umklammerte und ihre Bitten erneuern wollte, „kein
Wort weiter — bei meiner Ungnade!"
83
Zornig ging er hinweg und überließ die Unglückliche ihren
Thränen, ihrem Jammer, ihrer Verzweiflung.
Johanna aber erhob sich todtenbleich und stürzte ans dem
Hause der Schande, um es uie mehr zu betreten. Spurlos ver-
schwaud sie und obschon der Herzog Nachforschungen in der Stadt
und Umgebung nach ihr austellen ließ, so vermochte er doch keine
Kunde über den Verbleib seiner schönen Geliebten zu erhalten.
Am 15. Juli aber, am Hiurichtungstage des unglücklichen
Roman Sirsky, drängte sich in dem Augenblicke, da der Ver-
urtheilte den vor dem Gefängnisse haltenden „Armensünderkarrcu"
bestieg, ein verzweifelndes bildschönes Weib, das lange schwarze
Haar aufgelöst und verworren im Winde flatternd, durch die
zahllose, gaffende Menge nnd ungeachtet der Stöße und Püffe
der Sicherheitsmannschaften stürzte es, die Kniee des Delinquenten
umfassend, zu seinen Füßen. — Es war die schöne Kozelska.
„Roman!" rief sie im Tone des herbsten Jammers, „ver-
gicb — o vergieb!"
Da reichte ihr Sirsky stumm die Hand, die sic mit
Thränen und Küssen bedeckte und wandte sich tief erschüttert ab von
der Reuigen, die er im Leben nicht wiederzusehen gehofft hatte.
„Ich folge Dir, Du mein einzig Geliebter, dorthin —
wo nichts mehr uns trennt!" rief sie schluchzend.
Da lächelte Roman wehmüthig und wies schweigend mit
der Hand gen Himmel. Johanna aber stürzte hinweg und
verschwand unter der Menge.
Eine Stunde später hatte Roman Sirsky sein Verbrechen
gebüßt.
Tags darauf aber ward am Nekar-Wehr zu Cannstadt
die Leiche eines jungen Mädchens gekündet, das — blauseidcnc
Schuhe trug. — Es war die schöne Kozelska.
Die Körper des Gerichteten und der Selbstmörderin kamen
den gesetzlichen Bestimmungen gemäß in die Anatomie nach
Tübingen; von dort wurden später die beiden Schädel in die
Naturalien-Sammlung zu Stuttgart abgeliefert, wo sie — wie
Eingangs dieser Erzählung mitgethcilt wurde — nebeneinander
stehen als stumme Zeugen geopferten und vernichteten Menschen-
glückes. —
11*
ftoft nicht denjenigen getroffen, dem er bestimmt gewesen, —
er den Herzog habe ermorden wollen. Ueber seine Beweg-
griinde zu so schwarzer That verweigerte er jedoch beharrlich
jede Auskunft und als man ihm andeutete, daß man Mittel
und Wege finden würde, ihn zum Gcständuiß zu zwingen,
Zuckte er blos verächtlich mit der Achsel und meinte: es läge
Nlcht im Interesse des Herzogs, wenn diese Beweggründe öffent-
Uch bekannt würden.
Diese Aeußerung veranlaßte die Richter zur Vorlage des
Verhör-Protokolls an Seine Hoheit mit der gehorsamsten An-
züge, was darauf hin geschehen solle. Kurzer Hand kam schon
uach acht weiteren Tagen das herzogliche eigenhändige Rescript
zurück mit der Weisung, alle den Landesherrn betreffenden
[ fragen zu unterlassen, dagegen aber „kurzen Prozeß" mit dem
3»culpaten als überwiesenen und geständigen Mörder des
Safaien Ambros Jttler zu machen. — Der Gerichtshof vollzog
den herzoglichen Befehl, aber das „kurze Prozeßverfahren" dauerte
doch noch vier Wochen. Endlich gaben die Richter das Urtheil
ab: Der Maleficant Roman Sirsky, von Kalisz in Palen ge-
bürtiger Kunstreiter, solle wegen geständiger Weise mit Vor-
bedacht begangenen Mordes an dem herzoglichen Lakaien Ambros
3ttler auf dem gewöhnlichen öffentlichen Richtplatze durch das
Rad vom Leben zum Tode gebracht werden, welches Urtheil am
15- Juli 1763 zu vollziehen sei. — Dieser Urtheilssprnch
ward dem Delinguenten nach erhaltener landesherrlicher Bestätigung
^öffnet. Mit Ruhe hörte ihn der Vcrnrtheilte an und bat
u»r, die Frist, die er noch zu leben habe, möglichst abzukürzen
und ihn so bald wie möglich sterben zu lassen.
Mit weit weniger Ruhe vernahm das fürchterliche Urtheil
— die schöne Kozelska. An der begangenen That hatte sie
den Grad der Verzweiflung und an dieser die Größe der
Liebe ermessen können, die der unglückliche Roman für sie ge-
fühlt; gleichzeitig aber vermochte sie auch die ganze Schwere
ihrer eigenen Schuld, die ganze Abscheulichkeit ihrer Handlungs-
weise zu erkennen, die allein die entschliche That hervorgerufen
und den ehrlichen treuen Roman zum Verbrecher gemacht hatte.
Mit der Reue über ihren unverzeihlichen Leichtsinn erwachte aber
uuch die nie entschwundene, im Rausche ihrer Sinne nur betäubte
Liebe für ben Unglücklichen in ihrer vollen ihr selbst unbekannten
Kraft, und verzweifelnd, mit gerungenen Händen und mit Thränen
überströmten Augen warf sie sich am Abende des Tages, an
welchem der Herzog das Todesnrtheil unterzeichnet hatte, ihrem
fürstlichen Liebhaber zu Füßen und flehte in Tönen der gräß-
lichsten Angst uni das Leben des Verbrechers. Der Herzog sah
sie finster an: „Dieser Sirsky", sprach er heftig, „war Dein
beliebter und wollte mich, weil Du ihn um meinetwillen auf-
gäbst, ermorden. Er wäre deßhälb dem gerechten Tode schon
verfallen, auch wenn sein Dolch statt meiner nicht den unglück-
lichen Jttler getroffen hätte. — Er muß sterben; doch Dir zu
Gefallen" fügte er mit grausamen Lächeln bei, „will ich das
Urtheil dahin abändern, daß er nicht gerädert, sondern — gehängt
wird. — Dabei bleibt's", rief er unmuthig, als Johanna
feine Kniee umklammerte und ihre Bitten erneuern wollte, „kein
Wort weiter — bei meiner Ungnade!"
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Zornig ging er hinweg und überließ die Unglückliche ihren
Thränen, ihrem Jammer, ihrer Verzweiflung.
Johanna aber erhob sich todtenbleich und stürzte ans dem
Hause der Schande, um es uie mehr zu betreten. Spurlos ver-
schwaud sie und obschon der Herzog Nachforschungen in der Stadt
und Umgebung nach ihr austellen ließ, so vermochte er doch keine
Kunde über den Verbleib seiner schönen Geliebten zu erhalten.
Am 15. Juli aber, am Hiurichtungstage des unglücklichen
Roman Sirsky, drängte sich in dem Augenblicke, da der Ver-
urtheilte den vor dem Gefängnisse haltenden „Armensünderkarrcu"
bestieg, ein verzweifelndes bildschönes Weib, das lange schwarze
Haar aufgelöst und verworren im Winde flatternd, durch die
zahllose, gaffende Menge nnd ungeachtet der Stöße und Püffe
der Sicherheitsmannschaften stürzte es, die Kniee des Delinquenten
umfassend, zu seinen Füßen. — Es war die schöne Kozelska.
„Roman!" rief sie im Tone des herbsten Jammers, „ver-
gicb — o vergieb!"
Da reichte ihr Sirsky stumm die Hand, die sic mit
Thränen und Küssen bedeckte und wandte sich tief erschüttert ab von
der Reuigen, die er im Leben nicht wiederzusehen gehofft hatte.
„Ich folge Dir, Du mein einzig Geliebter, dorthin —
wo nichts mehr uns trennt!" rief sie schluchzend.
Da lächelte Roman wehmüthig und wies schweigend mit
der Hand gen Himmel. Johanna aber stürzte hinweg und
verschwand unter der Menge.
Eine Stunde später hatte Roman Sirsky sein Verbrechen
gebüßt.
Tags darauf aber ward am Nekar-Wehr zu Cannstadt
die Leiche eines jungen Mädchens gekündet, das — blauseidcnc
Schuhe trug. — Es war die schöne Kozelska.
Die Körper des Gerichteten und der Selbstmörderin kamen
den gesetzlichen Bestimmungen gemäß in die Anatomie nach
Tübingen; von dort wurden später die beiden Schädel in die
Naturalien-Sammlung zu Stuttgart abgeliefert, wo sie — wie
Eingangs dieser Erzählung mitgethcilt wurde — nebeneinander
stehen als stumme Zeugen geopferten und vernichteten Menschen-
glückes. —
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Zwei Schädel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 65.1876, Nr. 1625, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg