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178

Merkwürdig!!

und rief in einem für Lehmann durchaus nicht schmeichelhaften
Tone: „Bin ich wirklich nicht Eure Tochter?"

„Nein, meine Tochter, Du bist nicht meine Tochter!"
antwortete Lehmann mit einem Accent, dem man es anhörte,
daß ihm eine Parthie Seife von der Oberlippe in den Schlund
gerutscht war. „Höre mich weiter an," fuhr er fort, „wie Du mich
hier siehst, war ich in meinen früheren Jahren ein hochangesehener
Bretzelträger. Es sind nun sechzehn Jahre her — ich erinnere
mich noch an den Tag, als wenn cs erst fünfzehn Jahre wären —
da stand ich mit meiner Waare an einer Straßenecke, da kam
ein hübsches, junges Dienstmädchen, das ein kleines Wurm vou
vielleicht siebzehn Monaten auf dem Arme trug und kaufte für
ein Nickclstück, das damals noch Kupfer war, Zimmt-Bretzeln.
Plötzlich sieht sie von der andern Seite einen Menschen in
zweifarbigem Tuch gehen und bittet mich, ihr das kleine schreiende
Packet auf fünf Minuten abzunehmen, sie würde in einem Augen-
blicke wieder hier sein, sie habe nur ihrem Bruder dort einen
Gruß auszurichten. Ich Schaf that es, aber wer bis heute
nicht gekommen ist, das ist die freche Person; und das arme
Wurm, das mir über dem Hals geblieben ist, das bist Du.
Wer Du aber bist, das weiß ich nicht. Ich habe Dich zu
einem anständigen Menschen erzogen und Deinen Verdienst aus
der Nähmaschine mit Dir gctheilt, als wenn Du meine Tochter
wärest — mehr kann der eigene Vater nicht thun." Hier schwieg
Lehmann, weil Emma die Frage an ihn gerichtet hatte, warum
er Fabi äbgewiescn habe. — „Weil ich Dich selbst heirathen

will."-

12. Kapitel.

®in Stfiriff ins Jenseits.

Der gefühlvolle Leser (worunter in erster Linie die gefühl-
volle Leserin gemeint ist) wird hoffentlich die 12 Gedankenstriche
am Ausgang des letzten Kapitels zu würdigen wissen. Denn
war Emma's Lage, nachdem Lehmann in's Wirthshaus gegangen
war und sie allein zurückgeblieben war, nicht von der größten,
ja ungeheuersten Entsetzlichkeit?!!! Auf der einen Seite durfte
sie den Geliebten ihrer Seele nicht heirathen, erstens weil Leh-
mann, als ihr Viccvater, die Einwilligung nicht gab, und
zweitens, weil Fabi wahrscheinlich ein gräßlich zerstückelter
Leichnam war, der sich als Gatte kaum mehr eignete. Auf
der andern Seite aber, sich an die Seite eines Menschen, von
der Beschaffenheit Lehmann's, zu denken — da war der Tod
noch Zucker dagegen. Und die Unglückliche beschloß auch, den
Letzteren zu wählen; aber in nicht gewöhnlicher Form, sondern,
als Pendant zu dem dynamitlichen Jenseitssprung ihres Geliebten,
wollte sic zwar wegen ihres angegriffenen Nervensystems keinen
so lürmmachenden, doch immerhin außerordentlichen Tod sterben.
Zu diesem Behufe strich sie ihre Bettstelle mit Petroleum an,
löste ihr prächtiges Haar, welches jedem Raben die Schamröthe
des Neides in's Gesicht getrieben hätte — so rabenschwarz war
es — auf, bei welcher Gelegenheit sich auch zeigte, daß keine
Ahnung von einer Einlage in demselben enthalten war und
salbte es reichlich mit Roscnpomade; hierauf zog sie weiße Wäsche
und gesteifte Untcrröcke an und wand um ihren Kopf einen
Blumenkranz; „denn," sagte die. reizende Petrolcrin, „ich war

stets eine anständige Jungfrau, und als anständige Jungfrau
soll man auch meine Asche in anständiger Kleidung finden!"
Hierauf nahm sie ein schwedisches LLIcorllots-l'ünclstiekor-Streich-
holz, zündete es an der richtigen Stelle an und näherte sich,
glücklicherweise sehr langsam, dem Bette, da — — — —

13. Kapitel.

Dom QToifc in’s Kelim zum Tmle.

Der große Weltweise Oxikrates hat in seinem hochberühmten,
bisher noch unbekannten Werke: „Die Kaldauncn, ihr Charakter,
ihr Wesen und ihre Bedeutung" den tiefsinnigen, von be-
wunderungswürdiger Geistesschärfe zeugenden Ausspruch gethan:
„So lange der Mensch lebt, ist er nicht todt!" Diese goldenen
Worte sollten sich auch im vorliegenden Kapitel bewähren, denn
es klopfte, und ohne das „Herein" abzuwarten, kam durch die
Thüre, welche die angehende Mörderin ihres Selbstes unglück-
oder vielmehr glücklicher Weise zu schließen vergessen hatte, ein
kohlrabennachtschwarzer Kopf, dann der dazu gehörige sonstige
Mensch zum Vorschein. Bei diesem etwas ungewöhnlichen An-
blick, der mit ihrem weißen Kostüme zu sehr kontrastirte, ließ
Emma vor Schreck das brennende schwedische Streichholz aus
die Erde fallen, doch blieb ihr so viel Gegenwart des Geistes,
um zu sagen: „Entschuldigen Sie, habe ich nicht das Vergnügen,
einen Herrn Mohren zu sprechen?" worauf der Schwarze höf-
lich antwortete: „Jawohl, Sie seien wohl die Hemdennäherin;
mich schickt die Frau Prinzessin —" hier sah er Emma in's
Antlitz, betrachtete den schon im 5. Kapitel beschriebenen Sommer-
sproß auf der linken Wange der Jungfrau, wechselte seine Original-
farbe in die des Regenbogens um und stieß einen Schrei aus,
der nichts Europäisches an sich hatte, so daß Emma sofort in
eine todtengleiche Ohnmacht fiel. —

14. Kapitel.

Nus >lem Toiie in’s Traumleben.

Als Emma aus ihrer noch tieferen Ohnmacht als im
10. Kapitel erwachte, glaubte sic es nicht, >vas ihr auch nicht
zu verdenken war; denn ihre Augen fielen auf einen vergoldeten
Plafond, und als sie weiter herumblickte, sah sie ein wunder-
Bildbeschreibung

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"Merkwürdig!!"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Selbstmordversuch
Bett <Motiv>
Umkleiden
Blume <Motiv>
Zündholz
Karikatur
Trauer
Junge Frau <Motiv>
Kranz <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 65.1876, Nr. 1637, S. 178
 
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