Metadaten

Adenstedt, Ingrid; Krinzinger, Friedrich [Hrsg.]
Hanghaus 2 in Ephesos, die Wohneinheiten 1 und 2: Baubefund, Ausstattung, Funde (Textband 1): Textband Wohneinheit 1 — Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 2010

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47151#0409
Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Keine Bearbeitung
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
A.XVII Tierreste

1 Einleitung
Die breite Vielfalt von Faktoren, durch welche die taphonomische Geschichte1 einer Abfalldeponierung von ihrer Entstehung bis zur
möglichst kompetenten Analyse geprägt wird, verhindert so gut wie immer eine auch nur annähernd vollständige Bergung. Meistens
werden die Rückstände von Konsumaktivitäten schon vor ihrer Einbettung in den Boden während der so genannten biostratinomischen
Phase in ihrer Zusammensetzung verändert, unterliegen selektiven Auslese- oder Konzentrationsprozessen und werden oft auch mit
Abfällen anderer Genese vermengt. Eine Reihe dieser Faktoren, die auf das Ausgangssubstrat, nämlich das gestorbene oder auch zum
Zweck der Nutzung getötete Tier (oder die Pflanze), einwirken, können aber erkannt und interpretiert werden und stellen im Fall einer
anthropogenen Deponierung als „Kulturfilter“2 ihrerseits aussagekräftige Befunde dar, auf deren Grundlage verschiedenartigste Tradi-
tionen der abfallverantwortlichen Verbrauchergruppen erschlossen werden können. In der Realität vermag der Ausgräber nur sehr selten
einen archäologischen Befund aufgrund außergewöhnlicher Einbettungsumstände einem zeitlich wie funktionell klar abgrenzbaren
Konsumvorgang zuzuordnen, gerade deshalb stellen aber derartige Fundkomplexe eine bemerkenswerte Herausforderung an den ver-
antwortlichen Archäologen dar, den Informationsgehalt solcher Vergesellschaftungen möglichst vollständig zu erschließen und in inte-
grativer Weise zu interpretieren.
In den WE 1 und 23 des H 2 in Ephesos konnten aus drei außergewöhnlich exakt datierbaren Ablagerungsschichten gut erhaltene Tier-
und Pflanzenreste geborgen werden. Besonders erwähnenswert ist die Fundsituation eines wirtschaftlich genutzten Raumes - mögli-
cherweise einer Küche -, in dem der Laufhorizont aus der Zeit um 230 n. Chr. mit allem darauf befindlichen Inventar in der Folge
eines katastrophalen Erdbebens, kombiniert mit einer Brandkatastrophe, durch massive Versturzschichten bedeckt und für ein höheres
Bodenniveau einplaniert wurde4. Allen untersuchten Fundkomplexen gemeinsam ist ein durch den keramischen und numismatischen
Befund gut abgrenzbarer, sehr kurzer Zeitraum nachweisbarer Abfallproduktion. Diese nur selten anzutreffende archäologische Aus-
gangslage wurde zum Anlaß genommen, eine - über die konventionelle archäozoologische Befunderhebung hinausgehende - verglei-
chende Analyse der Ernährungsgewohnheiten dreier ephesischer Verbrauchergruppen vorzulegen. Klar abgrenzbare Unterschiede, die
nicht nur in der chronologischen Distanz der untersuchten Nutzungsphasen, sondern auch im Wandel von Lebensstandard und sozialem
Status ihre Ursache finden, waren ebenso herauszuarbeiten wie unübersehbare Gemeinsamkeiten, in denen sich die spezifischen Gege-
benheiten des ephesischen Wirtschaftsraumes nicht weniger als der „spiritus loci“ einer über mehrere Jahrhunderte kontinuierlich be-
legten Wohnanlage manifestieren.
2 Forschungsstand und methodische Grundlagen
2.1 Referenzdaten
Die Zahl aussagekräftiger, auf archäozoologischen Analysen basierender Untersuchungen zur Nutzung tierischer Ressourcen in der
Antike des küstennahen Westkleinasien und angrenzender Gebiete ist nach wie vor überschaubar. Darüber hinaus sind die zur Verfügung
stehenden Datensätze nicht ohne weiteres vergleichbar, da nicht nur erhebliche chronologische Unterschiede bestehen, sondern auch
funktionell mehrere Kategorien zu differenzieren sind.
Eine Reihe von Materialvorlagen behandelt tierische Reste aus Heiligtümern, die ihrer Herkunft nach zwar den gleichen wirtschaftlichen
Produktions- und Verteilungssystemen wie die Abfälle aus mehr oder weniger unspezifischen Siedlungsschichten zuzuordnen sind,
immer aber charakteristische Selektions- und Deponierungsmuster erkennen lassen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den je-
weiligen, ortstypischen rituellen Traditionen zu sehen sind. Der chronologische Zeitrahmen dieser Befunde erstreckt sich von der geo-
metrischen Zeit (Artemision von Ephesos5) über das Archaikum (Heraion auf Samos, Aphroditeheiligtum in Milet6) bis in hellenistisch-
römische Zeit („Unteres Heiligtum“ in Troja, Apollon/Artemistempel in Didyma7). Ähnlich differenziert sind dementsprechend auch
andere, aus Gräbern, Höhlen oder sogar Brunnenschächten8 geborgene Deponierungen in kultischem Kontext zu interpretieren.
Archäozoologische Referenzdaten aus Siedlungsabfällen, die auf gesicherten archäologischen Datierungen basieren, sind für die Kü-
stenregion Westkleinasiens nur aus dem archaischen Milet und dem hellenistischen Troja faßbar9. Aus Pergamon liegen darüber hinaus

1 Grundlegende Angaben zur Taphonomie biogener Deponierungen bei Lyman, Ta-
phonomy, 12-69.
2 „cultural filter“, vgl. C. A. Reed, Osteo-archaeology, in: D. Brothwell - E. Higgs
(Hrsg.), Science in Archaeology (1963) 204-216, bes. 210 f.
Aufgrund ihrer offensichtlichen, vor allem durch gemeinsame natur- und wirtschafts-
räumliche Gegebenheiten bedingten Vergleichbarkeit werden die drei archäozoolo-
gischen Befunde aus dem H 2 in der Folge zusammenfassend präsentiert und disku-
tiert. Die Analyse der Tierknochen findet sich allerdings auch in Kap. B.XV11.
4 Vgl. dazu Wiplinger - Rathmayr Kap. A.1.8-10; Rathmayr Kap. A.XIX.l; Lad-
stätter Kap. A.XIX.2.
G. Forstenpointner, Demeter im Artemision? — Archäozoologische Überlegungen
zu den Schweineknochenfunden aus dem Artemision, in: U. Muss (Hrsg.), Der
Kosmos der Artemis von Ephesos (SoSchrÖAI 37, 2001), 49-71.

6 Samos: Boessneck - Von den Driesch, Samos; Milet: Peters - Von den Driesch,
Milet, 19-25.
Troja: M. Fabi$, Archaeofaunal remains from the Lower Sanctuary. A preliminary
report on the 1994 excavations. StTroica 6, 1996, 217-227; Didyma: J. Boessneck
- A. Von den Driesch, Tierknochenfunde aus Didyma, AA 1983, 611-651; J.
Boessneck - J. Schäffer, Tierknochenfunde aus Didyma II, AA 1986, 249-301.
8 Deponierung in Gräbern: z. B. K. Aaris-Sorensen, A Zoological Analysis of the
Osteological Material from the Sacrificial Layer at the Maussolleion at Halikarnas-
sos, in: K. Jeppesen - F. Hojlund - K. Aaris-Sorensen, The Maussolleion at Hali-
karnassos (1981) 91-110; Höhlen: P. Amandry, Os et coquilles (L’antre corycien II,
BCH Suppl. 9, 1984) 347-380; Brunnenschächte: Forstenpointner et al., Brunnen.
9 Milet: Peters - Von den Driesch, Milet, 117-119; Zimmermann, Milet; Troja:
Fabi$, Ilion; Van Neer - Uerpmann, Troy.

357
 
Annotationen