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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0094
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I

II

I

Die Kirche des heiligen Botolph zu Boston.

Sorgfalt vollendet. Es empfangt Licht durch acht Fenster; ein schmaler Gang, der in der Dicke der
Mauer ausgesperrt ist und mit den Treppen in Verbindung steht, umlauft dieses Stockwerk. In den
Ecken und an den Fensterpfeilern befinden sich Säulenbündel, auf deren Capitellen sich steinerne Rippen
wölben, die die Glieder eines Gewölbes bilden, welches wahrscheinlich niemals vollendet wurde; der
Bretterbuden in dieser Höhe scheint eben so alt wie der Thurm selber zu sein.

Die Deckplatten des ersten Absatzes der Strebepfeiler trugen ehemals Statuen, die in Mitten einer
Art Thürmchen mit Zinnenkrönungen standen. Diese Statuen, von denen mehrere durch Stürme herab-
geworfen wurden, stellten biblische Personen dar. Die Eingangsthür des Thurmes ist von grosser Schönheit,
aber die Ornamente ihres Giebels sind sehr verdorben. Die Thür ist im Vefhältniss zum ganzen Thurme
so niedrig, dass sie wie gekürzt aussieht.') Das dritte Stockwerk des Thurmes, das die Glockenstube
einnimmt, ist in der Mitte seiner Höhe durch ein mit Blei gedecktes Dach getheilt, das die Glocken
schirmt
Verbindung steht, die den Thurm umgiebt.

An der Westseite befindet sich eine niedrige und breite Thür, die mit einer äusseren Galerie in

an meint, dass diese Thür zur Einbringung der Glocken

angelegt worden sei.

Das vierte Stockwerk des Thurmes, die Laterne, ist achteckig; die Vermittelung seiner Form mit dem

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darunter befindlichen viereckigen wird durch Pendentifs bewirkt. Das Dach dieses vierten Stockwerks ist
eine aus Stein hergestellte Plateform; eben so sind auch die Regenrinnen von Stein. Das constructive
System dieser Dinge ist merkwürdig und verräth viel Kunst. Die ganze Construction dieser Laterne
ist übrigens von wunderbarer Leichtigkeit und Eleganz. Sie hat acht Fenster, deren Motiv eine
Reproduction im Kleinen desjenigen der Fenster des zweiten Stockwerks ist, nur dass die Fenster
der Laterne drei Theilungen statt jener zwei der Höhe nach haben. Die Ecken der Laterne werden
durch doppelte Strebebögen verstärkt, die sich gegen die krönenden Eckthürmchen des dritten Thurm-
stockwerks lehnen, welche letztere selber von den grossen Strebepfeilern, die die Ecken des Thurmes
von Grund auf verstärken, getragen werden. Oben auf dem Thurme befindet sich eine mit Durchbrechungen
versehene Brustwehr; in der Mitte jeder Seite derselben ist ein kleiner Giebel mit einer Wetterfahne
angebracht. Kragsteine und eine Thüre beweisen, dass ehemals in der Höhe des Üntertheils der Fenster
der Laterne sich eine hölzerne Decke befinden musste.

Das Mauerwerk des Thurmes verdient eben so bewundert zu werden wie die Zierlichkeit seiner
Formen, kaum nimmt man an ihm Spuren von Rissen oder von einem ungleichen Sichsetzen der Mauern
wahr. Letzterem Uebelstande kam man durch gute Gründung zuvor, und die ersten Schichten des Funda-
ments reichen bis unter das Bett des Flusses. Ebenso hat der Baumeister die grössten Vorsichts-
maassregeln getroffen, dass der Thurm nicht in irgend einer Weise auf das Schiff der Kirche drücke, und
damit er diese Gefahr besser unmöglich mache, hat er lieber die Symmetrie des unteren Tburmstockwerks
zum Opfer gebracht und demselben einen Supplementsstrebepfeiler hinzugefügt, damit jede Bewegung des
Thurmes vermieden werde. (M. s. den Grundbiss).

Wilson, dem wir die Details dieses Aufsatzes entliehen haben, sagt, dass die Laterne des Kirchthurms
von Boston bestimmt war bei Nacht ein Leuchtfeuer aufzunehmen. Dieser Umstand giebt demselben ein
neues Interesse und wird durch analoge Fälle bestätigt; so war der Glockenthurm der Kirche von Bow
zu London (Bow church, Cheapside) nach Stow's Behauptung, mit fünf Fanals garnirt, und Drake versichert,
indem er von der Allerheiligen-Kirche von York spricht, die eine grosse Aehnlichkeit mit der von Boston
zeigt, dass der Tradition nach in dem Thurme derselben ein Leuchtfeuer angezündet wurde, damit es bei
Nacht den durch den grossen Wald von Galtree zur Stadt Reisenden als Wegweiser diene. Der Haken,
der zum Aufhängen des Feuerbeckens des letzteren Fanals diente, findet sich noch heute vor.

') Ein ähnliches Verhältniss findet auch an der Westfacade des Kölner Domes statt. Die geringe Höhe der Thür wurde
vielleicht deshalb beliebt, um durch den Contrast die Thurme selber um so höher aussehend zu machen.

Literat

1) Leland, Itinerary of Great BritaUi. Oxford, 1710. 9 vol. 8.

2) Wilson, E. J., Architectural antiqnities of Great-Britain. London, 1814.
4 vol. i.

3) Britton, .1., Chronological history and giaphic illustrations of Christian archi
tecture in England. London, 1835. 4.


 
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