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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 3): Denkmäler des Mittelalters, sechste Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3503#0192
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Der Altar der Kirche Or-San-Michele in Florenz.

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mit Statuetten der Propheten, deren im Ganzen zwölf und die etwa 3 Fuss hoch sind. In den Zwickeln, die
sich zwischen den Bogen, Eckpfeilern und deren Friese bilden, hat der Künstler Engel mit reizenden
Köpfchen angebracht. Der Fries besteht aus einer Art Metopen, in denen abwechselnd Engel und Kirchen-
väter dargestellt sind. Auf der Spitze des Giebels steht eine Figur mit einem Schilde, dessen nacktes
Feld durch ein schräges Band mit dem Worte Libertas getheilt ist; es war dies das Wappenschild der
frommen Brüderschaft, die den Tabernakel ausführen liess.

Dieses prächtige Werk des Andrea di Cione steht isolirt, wie man wohl aus unserer Beschreibung
desselben merken konnte, es hat seinen Platz in der südöstlichen Ecke der Kirche an einem sehr dunkeln
Orte. Man muss seine Geschichte kennen, um zu begreifen, wie es zu diesem für dasselbe so unvor-
theilhaften Platze gekommen ist. Das Gebäude, in dem es sich befindet, die heutige Kirche San-Michele,
wurde im Jahre 1284 von Arnolfo da Cambio zu einem Getreide-Magazin erbaut. Das ebenerdige Stock-
werk desselben war eine offene Halle, die von Spitzbogen-Arcaden, von viereckigen Pfeilern getragen,
gebildet wurde. In dieser .,loggiau befand sich ein wunderthätiges Marienbild, das Gegenstand grosser
Verehrung wurde. Um das Jahr 1337 beschloss man den Theil der Halle, in dem sich das Marienbild
befand, kirchlich zu weihen, und man umschloss dasselbe durch eine kleine Kapelle. Aber die Schaar
der Gläubigen, die vor der Jungfrau von San-Michele zu beten kam, behinderte die Getreidehändler, die
in der Loge ihre Geschäfte besprachen. Die Signorie beschloss daher das ganze ebenerdige Geschoss
zu einer Kirche zu machen. Taddeo Gaddi wandelte das profane Gebäude in ein kirchliches um; die
offenen Arcaden der Halle wurden geschlossen und durch Fenster mit ausserordentlich reichem und zier-
lichem Spitzbogenstabwerk ersetzt und die Aussenwände der Kirche mit Nischen und sehr werthvollen
Statuen geschmückt.

Wir kennen in Italien kein Monument dieser Art, das mit dem in Rede stehenden in Vergleich
gestellt werden könnte. Es ist einzig in der Zartheit seiner Composition und in der Pracht seiner Aus-
führung. Der Tabernakel des Andrea di Cione hat nicht seines Gleichen und nur ein Monument giebt
es, das ihm in gewisser Hinsicht an die Seite gesetzt werden könnte: es ist dies das Grabmal des Scaliger
Can-Signore zu Verona, das im Jahre 1375 durch Boninio da Campilione ausgeführt wurde. Dieses sehr
reiche und elegante Monument ist ebenfalls in weissem Marmor ausgeführt, und Can-Signore liess es noch
bei seinen Lebzeiten-arbeiten. Aber man sieht es den Gräbern der Scaliger an, dass sie im Norden von
Italien stehen, und dass die Kunst hier von der der transalpinischen Künstler sehr stark influenzirt wurde.
Der geschickte Baumeister und Bildhauer Boninio arbeitete auch am Mailänder Dome, an dem man an einigen
Theilen den Styl und den Character des Grabmals des Can-Signore wiederfindet.

Die Composition des' Altars von San-Michele hat den Character der Festigkeit, ernster Würde und
Zierlichkeit zugleich. Es herrscht Bewegung darin, eine solche, die ein grosser Architect seinem Werke zu
geben weiss. Es zeigt sich in ihr ein feines Gefühl für architectonische Verhältnisse, und Grossartigkeit
der Erfindung ist hier mit Zartheit gepaart. Die Simswerke sind mit gutem Geschmack profilirt und da das
Werk vor dem Wetter geschützt stand, so sieht man hier keine weit ausladenden Platten, sondern nur
Simswerke von massigem Vorsprang. Letztere erinnern häufig an antik-römische. Die gewundenen Säulchen
unseres Monumentes sehen originell aus; ein dickes Band umschlingt ein dünnes Säulchen als Spindel.
Das bronzene Einfriedungsgitter des Altars ist gut erfunden und des Meisters des Uebrigen würdig.

Wenn man die Basreliefs des Denkmals genauer betrachtet, so erkennt man, dass ihr Meister der
Schule des Giotto folgte, der bekanntlich die alterthümliche Strenge des traditionell-priesterlichen Styles
verliess, und seinen Werken mehr Individualität und Leben zu geben wusste. Andrea di Cione arbeitete
in demselben Geiste und verstand seinen Werken den Stempel der ihm eigenen grossartigen Originalität
aufzudrücken. In dem grossen Belief,, an der Ostseite unseres Altares hat er sich selber dargestellt als
einer der zwölf Apostel mit breitem ausdrucksvollem Gesicht, geschorenem Bart und mit einer Kapuzze
über dem Kopf. An dieser Seite Messt man folgende Inchrift:

ANDREAS CIONIS PICTOR FLORETIN' ORATORLI ARCH1MAGISTER EXT1TIT HUF 1359.

Wenn das schöne Gemälde unseres Altares von Ugolino da Sienna ist, dem es zugeschrieben wird,
so muss man zugestehen, dass dieser Maler in seinen Werken imposante Würde und grosse Pracht mit
einer seltenen Vollendung in den Details und mit einem edlen Ausdruck der Empfindung zu verbinden
wusste. Ugolino gehört der Schaar der besseren mit Cimabue gleichzeitigen Meister an. Er starb 1339.


 
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