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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0137
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455

seitwärts schlanke Tabernakel, in der Mitte ein breiteres mit Giebel eingemauert,
und über diesem, in der ganzen Breite unvermittelt und ganz isolirt, ein dorisches
Gebälk mit Triglyphen 978).
In St.-Martin-atix-Jumeaux, zu Amiens, scheint die Gliederungscomposition frei an eine grössere
glatte Mauer geheftet. Rechts und links von der Thür sind zwei Säulen durch eine Nische verbunden,
in zwei Stockwerken wiederholt. Das untere System stittzt ein durchgehendes dorisches Gebälk; auf dem
oberen erhebt sich eine Archivolte, welche, die Rose umrahmend, hier wie eine Arcade das Hauptmotiv
der Fagade bildet. Tempiettoartige Abschlüsse der Seiten und ein Tabernakel mit Giebel über der Archi-
volte in der Mitte vollenden diese Composition , die dem Charakter nach etwa in die Zeit von 1540 bis
1550979) fallen könnte.
Einige andere Fagadenmotive mögen vielleicht an dieser Stelle am besten Er-
wähnung finden.
Die Schloss-Capelle von Tallard im Dauphine, mit Muschel im Thor-Tympanon, hat einen Giebel,
der, statt spitz auszulaufen, von einem breiten, niedrigen Tabernakel, mit einer Statue als Bekrönung ab-
geschlossen wird, dessen Ecken als 3/4-Säulen mit spiralförmigem Ornament ausgebildet sind.
In der Kirche von Rosnay in der Champagne ist die untere Hälfte noch spätgothischer Anordnung.
Daraus entwickelt sich eine Renaissance-Architektur mit Pilastern an den Ecken, auf deren Gebälk ein
antiker Giebel ruht.

Während in Frankreich diese Uebergangsphase sich entwickelte, in welcher 638.
meistens die oberitalienischen Formen des sog. Stile Bramantesco mit den gothischen Ein^0™sen
vermischt werden, trifft man ausnahmsweise auch Beispiele an, in welchen, statt Hoch-
ersteren, schon Einzelmotive der Bramante {Böen Hoch-Renaissance in eine gothische
Composition eingeführt werden. 511
In dem Theil der Kirche von Magny, den unsere Fig. 151 98°). zeigt, ist das Comp°^tionen

Strebepfeiler-System mittels Pilastern und ^-Säulen in das Gebiet der Säulen-Ordnungen Uebergangszeit.
eingeführt worden. Die Giebel oder Wimperge sind in der Art von abgestuften
Attiken behandelt. Der antike Gedanke des Aufeinandersetzens der Theile, statt

639-
Compositionen
mit
gothischem
Structur-Gerüst
und
Renaissance-
Füllungen.

ihres Herauswachsens, zeigt sich in der Bildung des Masswerkes.
An der Fagade der Kirche zu St.-Calais, die Fig. 152981) zeigt, ist das
Aufstrebende der Gliederung in den Hauptlinien festgehalten, das starke Vortreten
von Strebepfeilern aber in das mässigere Relief von einfachen kräftigen Pilasterformen
übersetzt. Die leichteren Fialenformen sind mit letzteren wenig geschickt verbunden.
Ebenso willkürlich wie in Fig. 150 ist die Gliederung über der Mittelthür, die an
einen zerlegten Giebel erinnern soll. Bemerkenswerth ist hier ferner das Auftreten
eines einzigen Giebels für die ganze Breite der Fagade.
In Dieppe zeigt eine der Capellen von St .-Jacques eine eigenthümliche Mischung von gothischen
Formen mit solchen der Früh-Renaissance. Zu St.-Quentin scheint das Südende des Kreuzschiffs aus der Zeit
Ludwig XII. zu sein und die Fagade der Kirche zu Laneuville in der Picardie aus der der Früh-Renaissance.
An allen bisher angeführten Beispielen ist es im Grunde genommen »System-
losigkeit«, die vorherrscht. Man erfaßt keinen klaren Gedanken der Formenbildung
oder der Compositionsweise. Es ist, als ob man aufs Gerathewohl diejenigen neuen
Formen anwendete, die man in Italien, bei Italienern oder deren französischen
Schülern kennen lernte, oder man hat irgend ein gothisches Princip einfach auf-
gegeben, ohne recht zu wissen, wie es zu ersetzen. Wir kommen jetzt zu Lössingen,
in welchen von einer gewissen Methode in der Formenbildung gesprochen werden
kann. Und zwar beruht sie auf demselben Gedanken, auf den wir schon einmal

978) Abgebildet bei: Nodier & Taylor, a. a. O.: Picardie, Vol. I.
97J) Abgebildet: ebendas. Fol. I.
980) Facs.-Repr. nach: Palustre, L. La Renaiffance en France. Paris seit 1880. Maissn Quantin , edit. , Bd. III.
981) Facs.-Repr. nach dem in voriger Note angeführten Werke.
 
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