Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0169
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
487

beide Massstäbe der Composition, ohne gemeinsame Verschmelzung, nebeneinander
zu verwenden. Man sah, dass das Ideal des alten Rom nicht mit der gallo-ger-
manischen Individualisirung jedes Einzelgliedes vereinbar sei.
Die Antwort auf die dort versochten Probleme war die Fagade no\\ St.-Gervais.
Hier gab Salomon de Brofse das Programm der Stilrichtung des neuen Jahrhunderts:
Klarheit, Einheit, Grösse.
Nach den Errungenschaften des XVI. Jahrhunderts empfand der französische
Geist und die Raifon fran^aife das Bedürfniss, Klarheit in die neu erworbenen Schätze
zu bringen, ihren inneren Werth zu kennen und sie nach dem ihnen innewohnenden
Gesetze methodisch anzuwenden. Es war dies ein grosser Theil des Programms
des XVII. Jahrhunderts und der zweiten Periode der Renaissance.
Wer mit Aufmerksamkeit unterer Besprechung der Fagade von St.-Gervais
folgen will, wird erkennen, dass wir uns in unterem Urtheile über die Stellung
Salomons de Brofse nicht geirrt haben und dass er mit der Architektur zuerst die
Bahn betrat, auf welcher in anderen Gebieten Corneille und Pouf/in und die grossen
Franzosen des Grand Siede folgen süllten 1032). Und dass Salomon de Brofse der
Schöpfer des »Grand Style«, war, wird durch die sofortige und Jahrhunderte währende
Bewunderung seiner Landsleute bestätigt. Die Begeisterung, die diese Fagade hervor-
rief, gleicht jener, welche sofort der »Cid« Corneille s erregte. Der hugenottische
Architekt hatte an einer katholischen Kirchenfront zuerst jene Klarheit und Grösse
vereint, wonach die Raifon francaife verlangte.
Während der zweiten Periode der Architektur der Renaissance in Frankreich
(ca. 1610—1745) treffen wir in chronologischer Reihenfolge folgende Typen an:
1) Fagaden mit I Ordnung (nur seiten).
2) Fagaden mit 3 Ordnungen.
3) Fagaden mit 2 Ordnungen.
4) Fagaden mit Thürmen.

2) Formen des Ueberganges.
a) Zunehmen des Massstabs der Ordnungen.
Die Bewegung zu Gunsten der Anwendung einer grossen Säulenordnung gegen
Ende des XVI. Jahrhunderts und zur Zeit Heinrich IV., von der schon die Rede
war 1033), scheint am Kirchenbau, in dieser Form, wenig vertreten. Ich wüsste nur
das schöne Seitenportal von 1581, an St.-Nicolas-des-Champs zu Paris und das Innere
des ehemaligen Temple zu Charenton (siehe Fig. 209) zu nennen, an welchem eine
grösse Ordnung, wenn auch in ersterem Falle nicht von sehr grossem Massstabe,
vorkäme.
Etwas von dieser Richtung ist immerhin vorhanden und äussert sich in zwei
Formen. Man trachtet, den Ordnungen ein grosses Relief, einen möglichst be-
deutenden Massstab 1034) zu geben und sie mit dem einfachen antiken Spitzgiebel
in Verbindung zu bringen, wie wir ihn am eben erwähnten Portale sehen, und
an der Fagade von St.-Etienne-du-Mont zu Paris antreffen werden. An St.- Gervais
werden wir die Anwendung dieses Reliefs und Massstabs an der ganzen Fagade
durchgeführt sehen. Schon bei De l'Orme treffen wir einmal den reinen antiken

677.
Charakter
dieser
Richtung.

1032) Siehe: Art. 407, S. 298.
1033) Siehe: Kapitel u, S. 396 ff.
1034) Siehe Art. 403 bis 409, S. 296 bis 300.
 
Annotationen