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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0294
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ÖI2

853.
Grabmal
der Kinder
Karl VIII.

einen fast ausschliesslich italienischen Stil zeigen, selbst da, wo Werke entstanden sind,
deren Gedanke und Gesammtanordnung in Italien seiten oder gar nicht vorkommt,
oder nicht in diesem Massstabe zum Ausdruck gelangt ist. Das angeblich älteste
Grabmal der Renaissance, dasjenige von Charles d'Anjou, 1475 errichtet, wurde
bereits erwähnt 1256). Trotz dieses frühen Datums zeigt es keine einzige jener so
charakteristischen Formen für die französische Uebergangszeit und Früh-Renaissance,
sondern bereits antike.
Es erklärt sich dies leicht. In solchen Aufgaben hatten die Wünsche des
Bauherrn und der Künstler einen freieren, höheren Horizont, den des christlichen
Glaubens. Man war etwas weniger beeinssusst durch die Verschiedenheit der Auf-
fassung der Cultur, sowie durch die Gewohnheiten und die Lebensweise, die aus den
Bedingungen des Klimas, der Natur, der Geschmackrichtung verschiedener Völker
und Racen hervorgehen. Man konnte sich in vollsländigerer Weise den Formen
einer neuen Kunst hingeben, nach der man sich mit Begeisterung sehnte.
Hieraus ergiebt sich, dass die Grabmäler einen Theil der »architektonischen
Ideenwelt« und der Wünsche der Architekten offenbaren, den wir an den Profan-
gebäuden und Kirchen selbst nicht herausfinden würden. Sie bilden daher eine
werthvolle Ergänzung der letzteren.
Oft wurden, auch in Frankreich, die Grabdenkmäler noch zu Lebzeiten der betreffenden bestellt
und zwar so häufig, sagt De Montaiglon, dass es unnütz sei, ein einziges Beispiel zu nennen 1257). In der
Kirche der Celeßins zu Paris gab es zu Milliris Zeit (um 1790) eine solche Menge Denkmäler, dass man,
wie er sich ausdrückt, in einem Bildhaueratelier zu sein glaubte.
Anthyme Saint-Paul1^®) erwähnt besonders die Grabmäler Ludwig XII., Franzi.
und Heinrich II. in St.-Denis, die der beiden Cardinale von Amboife in Rouen,
das Franz II. von der Bretagne in Nantes, als eine Gattung, für welche in keiner
Zeit die französische Renaissance Rivalen gehabt habe. In dieser Ansicht liegt eine
gewisse Richtigkeit, aber man muss zugleich daran erinnern, dass dasselbe von einer
noch grösseren Anzahl italienischer Grabmäler gesagt werden muss.
A. de Montaiglon hebt hervor, dass, im Gegensatz zu Italien, die Mehrzahl der Grabmäler in Frank-
reich in den Kirchen freistehende sind.

a) Grabmäler der Früh-Renaissance.
1) Typus der freistehenden Tumba.
Zu den frühesten Grabmälern des neuen Stils gehört dasjenige der beiden
Kinder Karl VIII.1259), jetzt in der Kathedrale zu Tours aufgestellt.
Auf einen freistehenden, postamentartigen Sarkophag folgt eine hohe, rück-
wärtstretende Kehle, auf deren Platte die kleinen Prinzen in königlichen Gewändern
mit dem reizenden Ausdruck kindlicher Unschuld liegen. Zu deren Füssen sind
zwei knieende, wappenhaltende Engelchen, zwei andere stützen die Kissen. Die
Löwentatzen, mit Flügeln und Akanthusblatt an den Ecken des Sarkophags, die von
einem Kranz umgebene Inschriftstafel an der Vorderseite, das Seil mit verschieden-
artigen Knoten, welches oberhalb der Kehle rings herum läuft, sind offenbar Re-
miniscenzen an den Sarkophag Verrocchid’s in S. Lorenzo zu Florenz. An den
1256) Siehe: Art. go, S. 89.
1257) Montaiglon, A. de et G. Milanesi, La Familie des Julies, a. a. O., S. 41.
1258) Siehe bei Planat, a. a. O., S. 380.
1259) Der Dauphin Charles Orlend gestorben zu Amboise 16. December 1495 im Alter von 3 Jahren und 3 Monaten
und der zweite Dauphin Charles, gestorben 2. October 1496, 25 Tage alt.
 
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