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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0119

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Lüneburg

schmalen Streifen (1579, 6 Kettfäden auf einen Zentimeter) zu einer nur unvollständig er-
haltenen Garnitur. Grün-gelbes Frucht- und Blattwerk deckt, ganz in der Art der Kissen-
zeichnung, den wiederum schwarzen Grund, unterbrochen von schmalen, pfeilerähnlichen
Feldern, die dem Lüneburger Wappenträger, dem nackten Manne, vorbehalten sind.

Erst im 17. Jahrhundert (1606) sind die 12 Kissen gewirkt — in der Mitte das Stadt-
wappen im bunten Kranz mit der Jahreszahl 1606, von naturalistisch ausgeführtem farbi-
gem Ornament umgeben —, die die Lüneburger Johanniskirche zu ihrem Bestände zählt.

Alle Arbeiten zeigen niederländisches Gepräge. Die Tatsache stimmt insofern mit den ur-
kundlichen Berichten nicht überein, als neben flämischen Wirkern auch Frauen tätig ge-
wesen sind (1449, 1520), die gewissermaßen die alteingesessene Wirkerschaft verkörperten.
Ob diese Hypothese das Richtige trifft, erscheint zum mindesten zweifelhaft, viel näher
liegt, für das endende 15. und das 16. Jahrhundert, die Annahme, daß es sich um Familien-
mitglieder eingewanderter Niederländer handelt, die, ähnlich wie in Italien, mangels geeig-
neter Gesellen, mitarbeiteten, wohl nach dem Tode des Atelierinhabers auch die Werkstatt
weiterführten.

Großwirkereien mit Wappen Lüneburger Patriziergeschlechter sind uns mehrfach über-
kommen. In erster Linie ist ein prächtiges, in Wolle gewirktes, um 1500 entstandenes Stück
(Abb. 77, H. 1,37 m, L. 1,18 m, 6 bis 7 Kettfäden auf einen Zentimeter) in der Pfarrkirche
zu Alt-Jeßnitz33) zu erwähnen, das die Allianz wappen derStöteroggen undStoketo trägt und
nach J. H. Büthners Genealogia (17 04)34) auf den Lüneburger Bürgermeister Hartvuicus
von Stöteroggen zurückgeht, der 1500 als „Patronus Vic. III. S. Mariani ad S. Joh." geführt
wird, 1486 Margarethe Stoketo als Gattin heimführt, 1499 das Bürgermeisteramt bekleidet
und am 13. Februar 1539 verstirbt. Zur Darstellung gelangte die Anbetung des Kindes30).
Engel wachen an dem Lager, die „weise Frau" der Legende hält die Laterne, Maria kniet
im Granatapfelgewand vor dem göttlichen Sohn, anbetend nahen die Hirten, denen der
Engel die Heilsmär gekündet hat. Entwurf und Technik sind gleichermaßen stark von der
Schule Tournais' beeinflußt. Abgesehen von gewissen Details — dem flatternden Engel mit
dem zerknitterten Gewand, der typisch deutschen Stadt im Hintergrund (rechts) — könnte
der Teppich ohne weiteres in Tournai selbst entstanden sein; die Technik zum mindesten
ist noch vollkommen frei von dem Niedergange, der sich fast stets bei deutschen Niederlas-
sungen niederländischer Wirker bemerkbar macht. Trotzdem neige ich dazu, die Arbeit als
Lüneburger Erzeugnis anzusprechen. Der Teppich steht in stilistischer Bindung zu einem
etwas späteren Antependium (H. 1,10 m, L. 2,50 m) der ehemaligen Sammlung E. Molinier
(Paris, 21. bis 27. Juni 1906, Nr. 674), das neben die beherrschende Geburtsszene links die
Verkündigung, rechts die Flucht der Heiligen Familie setzt und mit einer gleichfalls nieder-
deutsch anmutenden, nachträglich angefügten Ranken- bzw. Brokatmusterbordüre faßt.
Übereinstimmend ist die Technik der Köpfe, der Haare, die Musterung der Gewänder usw.
An der Anbetung waren übrigens verschiedene Hände beteiligt. Der Unterschied in der
Qualität der Köpfe, die zum Teil mäßig wiedergegebenen Hände (kniende Engel) sprechen
besser als längere Ausführungen. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind gewisse, dem Wirker
minder wichtig erscheinende Details von einheimischen, angelernten Kräften durchgeführt
worden.

In Technik und Farbengebung vollkommen abweichend erzählt ein langes Dorsale die
Geschichte des Tobias (Abb. 78, H. 0,90 m, L. 9,00 m) in zehn Episoden. Am Anfang steht
das Wappenschild des Lüneburger Patriziers und Ratsherrn Ditericus III. von Döring
(gest. 1570), am Ende das seiner Gattin Ilsabe von Witzendorff (geb. 1518, vermählt 1536),
das eingewirkte Datum 1559 nennt das Jahr der Entstehung. Der Behang eignet dem Kest-
nermuseum zu Hannover, das Stück wurde im Zwischenhandel aus einer französischen
Kirche erworben, wohin die Wirkerei wahrscheinlich zu Anfang des 19. Jahrhunderts —

14 Qöbel, Wandteppiche III, 2.

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