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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0273

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Polen. Litauen.

Kleinman uf a k t u r e n

f) Horochöw (Wolhynien).

Die Tatsache, daß ein Wirkereiatelier in Horochöw bestanden hat, ist nicht anzuzweifeln.
Ein umfangreicher Behang (H. 4,50 m, L. 3,50 m) hängt oder hing als Plafondeinlage (!)
auf Schloß Dzj'göwka (Ukraine); die Signatur Horochöw klärt einwandfrei die Herkunft*4).
Als Erzeuger kommen aller Wahrscheinlichkeit nach französische Wirker in Frage. Stili-
sierte Akanthusblätter füllen das langgestreckte Mitteloval; Füllhörner mit Früchten und
Blumen decken seitlich den Grund, der in seinem hellen Tone lebhaft absticht von der Bor-
düre mit dem farbenprächtigen Blumengerank. Der Behang war zweifellos nicht als Dek-
kenschmuck gedacht; seine stilistische und technische Verwandtschaft mit den gewirkten
Fußteppichen — tapis ras — von Aubusson ist unverkennbar. Die Arbeit dürfte um 1790
entstanden sein, zu einem Zeitpunkt (1785—1794) als Horochöw im Besitze des Finanz-
ministers von Litauen Stanislaus Poniatowski war. Seit 1794 bis um etwa 1850 eignete
Horochöw der Familie Stroynowski45). Das Stück steht über dem gewöhnlichen Durch-
schnitt. Es ist zu hoffen, daß weitere Arbeiten der Manufaktur im Laufe der Zeit zum Vor-
schein kommen.

g) Januszpol.

Die einzige Nachricht, die auf eine Wirkereimanufaktur in Januszpol (Bezirk Zytomierz)
weist, datiert aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Ein in Januszpol tätiger Wirker, Opanas,
überreicht 1787 dem kunstsinnigen König Stanislas August eine in der Darstellung nicht
näher erläuterte „wunderschöne" Tafelwirkerei. Die Arbeit erscheint im Inventar von 1795
(Sammlungen des letzten Polenkönigs Stanislas Augustus Poniatowski): „Un tapis de
table, facon de hautelice, sans envers, fait par Opana Polonois ä Wianuspole (d. h. in
Januszpol), de quatre aunes de long sur trois aunes et un quart de large"48). Schon die
ungewöhnlich hohe Bewertung des Stückes mit 30 Dukaten deutet auf eine erstklassige
Arbeit. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand auch die Werkstatt von Januszpol unter dem
Schutze der kunstsinnigen Fürsten Badziwill47), vielleicht sogar in Verbindung mit den
Ausläufern der Manufaktur Korelicze.

Eine zweite Arbeit des Meisters war für den Nationalhelden Polens Th. Kosciusko be-
stimmt. Die Frau des Großgrundbesitzers Bukar zeichnet die ornamentale Rahmung,
Kosciusko selbst wählt die Farbe des Grundes (Fond). Erhalten hat sich keines der beiden
Stücke.

Zu den ungeklärten polnischen Wirkereien aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
gehört schließlich ein ziemlich grob in Wolle durchgeführter kleiner heraldischer Behang
im Besitze des Grafen Rajnold Przezdziecki zu Warschau: zwei gewappnete Ritter flan-
kieren das Wappenschild der Familie Günther.

h) Manufakturen nach 1800.

Die Behandlung der Wirkereiateliers des 19. Jahrhunderts fällt aus dem Rahmen des vor-
liegenden Teiles. Ich darf mich auf den kurzen Hinweis beschränken, daß noch im zwei-
ten Viertel des verflossenen Säkulums die den polnischen Grundherrn — namentlich
auch den Damen — eigene Vorliebe für Textilien nicht erlischt48). In erster Linie ist die
Manufaktur der Herren von Bulhak in Ostaszyn (Woiewodschaft Nowogradskie) zu er-
wähnen, die vorzügliche Arbeiten in den vierziger und fünfziger Jahren des 19. Jahrhun-
derts lieferte: Hirsche im Wald usw. Die Enkelin der textilfrohen Familie, Fräulein Marie
von Bulhak, leitet noch heute in Warschau ein Atelier, das sich in erster Linie mit Instand-
setzungen notleidender Wandteppiche befaßt.

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