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210 Prokesch von Osten. Benkwtirdigkk. u. Erinnerungen aus <1. Orient.
besetze bestellte Weltordnung zu stören , auch in Zukunft ohne
Wirkung bleiben.
Was Hr. Prokescli an den Cäsaren und am Clerus von By-
zanz so bitter tadelt, war und ist eben das Kleinod der anatoli-
schen Kirche und Politik, der Kern ihres Gesetzbuches und die
Grundlage alles geistigen Lebens, deren Umwandlung dem byzan-
tinischen Volke — so weit man seine Geschichte kennt — niemals
in den Sinn gekommen ist. Unterhaltend — wenn man die Bege-
benheiten auch von diesem Standpunkte aus betrachtet — werden
seine Annalen für uns wohl niemals seyn, weil die morgenlän-
dische Binde, unter welcher daselbst das öffentliche Leben schlum-
mert, dem beweglichen Gemüth der Abendländer von vorneherein
verhasst und langweilig erscheint. Auch wird man uns nicht leicht
überreden, dass tausendjähriges Mönchsgezänke über Gegenstände
christlicher Dogmatik „für die ganze Menschheit wichtig und heil-
bringend44 war, wohl aber kann das Corpus Byzantinum eine po-
litische Schule werden, und einem der beiden grossen Principien,
die sich um die Herrschaft der Welt befehden, als frische Grund-
lage dienen und zugleich eine traditionelle, und in ihrem Sinne
elassische Benennung liefern. - Der liberalen, der germanischen
Schule stelle man die byzantinische entgegen. Und wenn übri-
gens auch Hrn. ProkescKs Schlussbemerkung über oströmisches
Staats- und Kirchenwesen nicht empfehlend ist, wird man gleich-
wohl nicht läugnen, dass ein die schönsten und merkwürdigsten
Länder des alten Kontinents umfassendes Beich, in welchem nach
dem Codex Jesus Christus als Imperator regiert, und in seinem
Namen geistliche und weltliche Theologen die Geschäfte verwal-
ten, ein merkwürdiges und lehrreiches Schauspiel sey.
In Byzanz hat man zuerst im Grossen die Probe gemacht,
wie und wie weit sich das Evangelium auf Einrichtung und Le-
bensprozess der bürgerlichen Gesellschaft anwenden lasse; oder
vielmehr, die Menschen daselbst haben gezeigt, wie sie mit dem
himmlischen Geschenke zu wirthsehaften verstehen. Hätte Hr. Pro-
keseh die Frage von dieser Seite betrachtet, so wäre er mit sei-
nem Urtheile, mit Verdammung und Brandmarkung in Masse viel-
leicht zurückhaltender gewesen.
Historisch kennen wir von dieser grossen Monarchie bisher
nur die wichtigeren Lehensakte der Hauptstadt, die Scenen des
kaiserlichen Palastes, die theologischen Provinzial- und Beichs-
versammlungen, und im Allgemeinen das Getriebe der beiden ober-
sten Funktionäre von Anatolien und Europa in einigem Zusam-
 
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