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jy®. 14. HEIDELBERGER i84Q
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Prokesch von Osten, Denkwürdigkeiten und Erinnerungen
aus dem Orient.
(Fort Setzung,)
Nur Bürgerkrieg* und Tartarenjoch verschafften den Byzanti-
nern von dieser Seite endlich Ruhe. Aber kaum waren diese Hin-
dernisse überwunden, als sich der eingeborne, unwiderstehliche
Hang am Bosporus niederzulassen, an diesem Volke mit erneuter
Kraft sich olfenbarte, und wie in den Zeiten der Grossfürsten
Oleg, Igor, Swätoslaw und Jaroslaw, Herz und Mittel-
punkt seines politischen Lebens wurde.
Warum sind einst die germanischen Gothen unter Alarich nicht
in der byzantinischen Halbinsel sitzen geblieben, da sic doch von
der Donau bis an die Südspitze des Peloponneses alles Land un-
terjocht und dessen religiöse Verwandlung bereits mit Schwert
und Brandfackel begonnen hatten? Trieb sie das Verhängniss,
oder eine unmittelbare Lenkung der Vorsehung, oder ein inwoh-
nendes Gefühl ihrer Zerstörungsrolle in das Abendland? Sie hät-
ten das griechische Reich germanisirt, germanisches Blut und bild-
sambewegliches Wesen in den Schoos der anatolischen Kirche ge-
legt. Warum sind aber nach ihnen auch ihre Brüder, die helden-
müthigen Ostgothen, unter Theodorich daselbst mitten auf der
Siegesbahn stille gestanden, und warum hat am Ende noch das
deutsche Kernvolk der Longobarden, nach langem Verweilen am
Rande des byzantinischen Reiches, seinen Lauf abendwärts ge-
lenkt? Sollte man nicht glauben, der griechische Boden sey von
jeher und durch höhere Verfügung ein für unsere Race verbotenes
Land, und dagegen jenem Volke freundlich zugesagt, welches seit
dem Beginn der historischen Zeit in Europa allzeit als Dränger
an den Fersen des Germanen hing!
Und wenn nun Daseyn und Fortbestand der anatolischen Kir-
che im Gegensätze der abendländischen als nothwendiges Glied in
der Kette menschlicher Gesittung figüriren soll, wie es nach den
Ereignissen der letzten fünfzehnhundert Jahre den Anschein hat,
so dürften alle Versuche des Abendlandes diese durch höhere
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