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Czolbe: Darstellung des Sensualismus.

Schlüsse empirisch sind, indem sie durch Induktion entstehen, ein
schon von Locke her bekanntes Unternehmen, das nur so lange
gelingt, als man sich rein an den Boden der Empirie hält, wo na-
ürlich Alles als Empirisch-Abstraktes des Empirisch - Concreten er-
scheint, das aber sich immer mehr von der Wahrheit entfernt, je
:nehr das Denken aus dem Gebiete des empirischen Reflectirens in
las der eigentlichen Speculation übergeht. Die inductive Methode,
juf die er sich in seinem Sensualismus beruft, ist ganz die Locke’sche,
md gebraucht sogar die Beispiele dieses Philosophen (S. 60). Er
sagt ebendaselbst, „die specicllen Verhältnisse, wie „süss ist nicht
Jitter“ oder „die Unmöglichkeit eines dreieckigen Kreises“ sind nicht
aus einem „allgemeinen, im Gehirne befindlichen Denkgesetze oder
»bersten logischen Principe abgeleitet, sondern umgekehrt dieses aus
.enem.“ Wenn dieses auch der Fall wäre, so bezöge sich jeden-
’alls die Induktion nur auf dasjenige, was durch die unmittelbare
sinnliche Erfahrung Object des Denkens ist. Aber, warum erscheint
ins ein solches Gesetz als ein allgemeines, da doch die Induktion
aur einzelne Fälle kennt, und warum passt ein solches Gesetz auch
auf solche Fälle, die jetzt nicht in unserem Bewusstsein liegen, son-
dern erst später hineinkommen? Jedenfalls müsste auch nach dem
Herrn Verf. das Denkgesetz im Gehirne sein, da es ein Anderes,
als der einzelne Fall, ist. Eine „Vorstellungs- oder Begriffsfigur“
des Gehirnes ist noch lange kein Denkgesetz. Man müsste nach
dieser Theorie zuletzt zur abentheuerlichen Annahme von Denkge-
setzfiguren kommen.
Auch die Bewegungen der Muskeln lassen nach diesem sen-
sualistischen Systeme (S. 78) ebenfalls Spuren in der Hirnmasse zu-
rück, so dass nach der Analogie der Vorstellungs- und Begriffsfigu-
ren auch Muskelbewegungsfiguren im Gehirne angenommen werden.
Es ist nicht abzusehen, wie die Lehre von der moralischen
Freiheit mit der Behauptung zu vereinbaren im Stande ist, dass „der
Verbrecher stets durch das Endresultat seiner angeborenen Natur
und einer unmoralischen Erziehung, zu der auch alle andern Lebens-
verhältnisse zu zählen sind, nämlich durch die Intensität seines Egois-
mus und durch andere moralische Schwächen mit physikalischer Noth-
wendigkeit gezwungen wird“ (S. 92). Schade, dass nicht auch hier
„moralische Freiheitsfiguren“ im Gehirne zur Erklärung eines sittlich
mechanischen Gehirnprocesses aushelfen können 1
Wenn man alle psychischen Thätigkeiten zusammennimmt, so
erhält man den „Collectivnamen“, den der Herr Verf. „Seele, Per-*
son oder Ich“ (S. 98) nennt. Die Seele ist ihm also durchaus
nichts von ihren Erscheinungen, ihren Entwicklungen Verschiedenes;
sie ist im Gegentheile gar nichts Besonderes, als ein Name, erfun-
den, um alle diese Erscheinungen, alle diese Entwicklungen zusam-
men zu bezeichnen.

(Schluss folgt.)
 
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