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Nr. 20.

HEIDELBERGER

1856.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
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Gerhardt: Die Geschichte der hohem Analysis.
(Schluss.)

Und überhaupt wird durch diese mechanische oder phoronomi-
sche Darstellung die völlige Allgemeinheit der Principien der höhern
Analysis vernichtet! — Die höhere Analysis beschäftigt sich mit den allge-
meinen Gesetzen der stetigen Aenderung voneinander abhängiger steti-
ger Grössen — und muss desshalb der Mechanik oder Phoronomie,
welche bloss die von der Zeit abhängigen Aenderungen betrachtet — vor-
angehen, also muss die Letzte auf Erstere, und nicht umgekehrt, basirt
werden! —
Auch die „Grenzmethode“ darf die Incrementc nicht = o setzen, wenn
sie nicht sinnlos werden soll, sondern sie müssen als unendlich klein ge-
dacht werden; aber alsdann besteht der „G r en ziib er ga n g“, wie schon ge-
sagt, eben darin: dass man unendlich kleine Grössen gegen endliche,
oder diese gegen unendlich grosse unbeachtet lässt, wodurch jedoch kein
angebbarer, noch so kleiner, also überhaupt kein Fehler, entstehen kann.
— Gewöhnlich begnügt man sich mit dem Worte „Grenze oder Grenz-
übergang“, ohne zu sagen, worin letzterer besteht, welchen Zweck er hat,
wesshalb er erlaubt und nothwendig ist. — Auch wenn man Ungleichhei-
ten anwendet, wie der Verf. ä la Archimedes fordert, wird nichts gewon-
nen — das Argument bleibt dasselbe — die Darstellung nur wird complicir-
ter und unklarer, wie wenn man z. B. aus:
r I a v , (x 4" A XJU — x" i
n (x+ A x)n-' > -—l—-------)> n xn_1
A x
d,xu
schliesst: —= nx"_1. u. d. gl.
dx
Solche unnütze formelle Weitläufigkeiten lieben aber viele Mathematiker
*— sie nennen sie „Gründlichkeit“, suchen sich selbst und Andere damit
zu täuschen — und verfallen trotz, oder vielmehr, wegen solcher Formel-
macherei in die gröbsten Trugschlüsse! —
Kurz: die Leibniz’sche Infinitesinialmethode ist die allein directe,
naturgemässe, allgemeine Methode der hölrern Analysis, auf deren:
Principien jede andere Methode offen oder verhüllt zurückkommen muss —
und welche allein bei allen complicirten und schwierigen Untersuchungen an-
wendbar ist — und factisch auch angewandt wird! —
Der Verf. theilt nun noch 6 Beilagen mit, nämlich eine über die Ent-
stehung und Ausbreitung des dekadischen Zahlensystemes,
welche füglich hier hätte wegbleiben können, weil sie wohl in eine allge-
meine Geschichte der Mathematik; aber offenbar nicht in eine spe-
XLIX. Jahrg. 4. Heft. 20
 
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