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Nr. 30. HEIDELBERGER 1856.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Frauenstädt: Der Materialismus.
(Schluss.)
1) „Gegen den Standpunkt des Dogmatismus bringt Frauenstädt Folgendes vor:
a. Im Allgemeinen: „In so entschiedenem Gegensätze auch der Materialismus
zur Theologie, sowohl zur theistischen als zur pantheistischen steht, sagt er
p. 43, so haben doch beide dieses mit einander gemein, dass sie beide Realis-
mus sind und als solcher beide unter die Kategorie des Dogmatismus fallen, den
für immer zu zerstören das grosse, unsterbliche Verdienst Kants war.“ „Der
Realismus unterscheidet nämlich nicht zwischen der Welt als Erscheinung und
der Welt als Ding an sich, sondern setzt stillschweigend voraus, dass die vor-
gestellte, erscheinende Welt an sich, unabhängig vom erkennenden Subjekt,
so besteht, wie sie ihm erscheint.“ — „Der Realismus ist also in dieser Hinsicht,
so ungläubig und antidogmatisch er auch sonst sein mag, gläubig, dogmatisch;
er glaubt an die Realität der vorgestellten Welt. Und da nun der Materialis-
mus diesen Glauben mit der Theologie, sei sie nun Theismus oder Pantheismus,
theilt; so steht er, ohne es zu wissen, mit seiner Gegnerin auf gleichem Grunds
und Boden.“ — Das nennt Frauenstädt „eitel Dogmatismus.“ Dieser besteht
ihm darin, dass „er mittels der menschlichen Anschauungs- und Denkformen
über das Wesen der Dinge abspricht und nicht bedenkt, wie höchst relativ und
bedingt alle solche Aussagen sind“ p. 44. Frauenstädt erinnert, von nominali-
stischem Standpunkte aus, daran, dass alle Begriffe durch das Subjekt bedingt
seien und ermahnt uns, die psychologischen Voraussetzungen unserer Erkenntnisse
zu nntersuchen. Der Dogmatismus, und als solcher der Materialismus, versäume
dies. Dadurch, dass Frauenstädt diesen Dogmatismus Realismus nennt, wird die
Begriffsverwirrung noch vermehrt, welche dieses Wort schon veranlasst hat,
wie ich in meiner Kritik Schopenhauers §. 1. p. 3 und 4 nachgewiesen habe.
b. Eine richtige Erkenntnisstheorie, welche der Materialismus nach Fr. nicht
besitzt, würde diesen Dogmatismus heben; sie würde ihn in dem Satze Schopen-
hauers „kein Objekt ohne Subjekt“, darauf führen, dass wir in unserer For-
schung von einer Untersuchung des Bewusstseins äusgehen müssen p. 45. Frauen-
städt meint daher, es sei leichter, das Cartesianische: „cogito ergo sum“, wie
Büchner, mit einem „faden Witz abzufertigen“, als in ihm „den richtigen Aus-
gangspunkt für eine besonnene Weltbetrachtung“ zu erkennen, welche mit einer
Analyse des „Ich empfinde, schaue an, denke“ beginne p. 47. Und darauf be-
kämpft er die Ansicht des Materialismus, dass alle Wahrheit aus den Sinnen
stamme, und zeigt, dass die blosse Empfindung (sensus) noch keine Erkennt-
niss der Aussenwelt gebe; „erst wenn der Vorstand, eine Gehirnfunktion, in
Thätigkeit gerathe und das Gesetz der Causalität in Anwendung bringe, gehe
eine mächtige Verwandlung vor, indem (durch apriorische Schlüsse) aus der
subjektiven Empfindung die objektive Anschauung werde“ p. 51; „die Sinne
XLIX. Jahrg. 6. Heft. 30
 
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