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Friedberg: De finn. inter eccles. et civit.

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bezieht. Es ist ebenso ungerecht, als unbillig, wenn man die kirch-
liche Auffassung des Verhältnisses zum Staate nach abgerissenen
Sätzen beurtheilen will, die vor Jahrhunderten entweder unter ganz
anderen Verhältnissen ausgesprochen oder jener Zeit nur angedich-
tet worden sind. Es ist, um uns der Worte des Bischofs von
Mainz, Frhr. v. Ketteier, in seinem Hirtenbriefe: „Soll die Kirche
allein rechtlos sein?“ (Mainz 1861. 2. Aufl. S. 29}, zu bedienen, „voll-
kommen unwahr, dass die Kirche in der Gegenwart alles Das für ihre
äussere Stellung in Anspruch nimmt, was in irgend einer früheren
Zeit ein Papst gesprochen, als er noch von der ganzen christlichen
Welt als Vater der Christenheit verehrt wurde. Der Einheit im
Glauben des Mittelalters steht jetzt eine grosse Zerklüftung in den
religiösen Ansichten gegenüber und es fällt in der katholischen
Kirche Niemanden ein, dass jene Einheit durch äussere Macht oder
überhaupt anders, als durch freie innere Ueberzeugung wieder ge-
wonnen werden könne.“ So sind die canones nicht mehr gelten-
des Recht, welche wie die Bulle Unam sanctam bloss ein Aus-
fluss des heute nicht mehr existenten damaligen Rechtsverhältnis-
ses zwischen Kirche und Staat sind. Vgl. das Schreiben des Card.
Antonelli d. d. 23. Juni 1791 an den irischen Episcopat beiAffre,
Essai sur la suprdmatie temp. du Pape. 1829 p. 508. Ebenso sind
die canones unpraktisch geworden, welche die in der mittelalterli-
chen Staatsverfassung liegenden Gesetze wegen bürgerlicher Ver-
folgung der Ketzer enthalten. Auch die Häresie als bürgerliches
Verbrechen hatte die Einheit des Glaubens zur Voraussetzung und
ist mit ihr aus den Strafgesetzen verschwunden, und auch der Be-
griff strafbarer Häresie im Sinne der Kirche kann nicht auf jene
angewendet werden, welche sich nicht selbst von der Kirche ge-
trennt haben, sondern von Solchen abstammen, die lange vorher
von der Kirche abgefallen sind, und wo nur Gott, der die Herzen
der Menschen durchforscht, beurtheilen kann, ob und inwiefern sie
sich in schuldvollem Irrthum befinden. Um hier nicht zu weitläu-
fig zu werden, können wir einfach auf die Ausführungen dieser
Gedanken in der bereits in 10,000 Exemplaren verbreiteten und jetzt
auch in einer billigen Volksausgabe (zu 18 kr.) erschienenen Schrift
des oben genannten deutschen Bischofs verweisen:
„Freiheit, Autorität und Kirche.K Mainz 1862, Ka-
pitel 22 ff. S. 130 ff.
Ferner auf die damit übereinstimmenden Aussprüche der kirch-
lichen Rechtsquellen aus alter und neuer Zeit, von den .Kirchenvä-
tern bis auf Pius IX. in der Allokution vom 9. Dezember 1854.
Vgl. Walter Kirchenr. §. 11, Note 13, 14. S. 25 der 13. Aufl.
Archiv für kathol. Kirchenrecht. Bd. VI. S. 330 ff.
Auch noch einen anderen Gesichtspunkt darf man bei der Be-
urtheilung des mittelalterlichen Verhältnisses von Kirche und Staat
nicht aueser Acht lassen. Weil der Klerus im Mittelalter so zu
sagen der einzige Träger der gesummten Wissenschaft und Bildung,
 
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