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Historische Vierteljahrsschrift — Leipzig, Dresden: von Baensch-Stiftung, Band 4.1901

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Kritiken
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https://doi.org/10.11588/diglit.60746#0385
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371

Kritiken.

Fr. Ratzel. Politische Geographie. Mit dreiunddreissig in den
Text gedruckten Abbildungen. München und Leipzig, R. Olden-
bourg, 1897. 8°. 71558.

Dieses gedankenreiche Werk wendet sich ebensowohl an den
Historiker wie an den Geographen. Giebt es doch eine systematische
Lehre über die Raumbeziehungen der Staaten, über ihr Verwachsensein
mit ihrem Boden, der nicht bloss ihre Schaubühne, sondern recht
eigentlich ihr Entwicklungsfundament darstellt. Wie sollte das den
Geschichtsforscher nicht angehen!

Der Zufall hat es gefügt, dass ungefähr zur gleichen Zeit mit
diesem Werk Treitschkes „Vorlesungen über Politik“ der Oeffentlich-
keit übergeben wurden. Vergleicht man die beiden Bücher, so staunt
man, wie von Grund aus verschieden über das Staatenleben gehandelt
werden kann. Das aber geht klar aus dem Vergleich hervor, dass
selbst bei einem so hervorragenden Historiker wie 'Treitschke der
Boden in seiner grundlegenden Bedeutung für den Staat viel zu
nebensächlich geschätzt wird, und dass man, um gemeingiltige Gesetze
über Staatenbildung und Staatsleistung zu finden, nicht bloss die
wenigen für ihre Zeit machtvollsten Staaten berücksichtigen darf,
sondern dass hierfür alle Staatsgebiete aller Zeiten in möglichster
Vollzähligkeit berücksichtigt sein wollen. Denn auch die Lehre vom
Staat ist eine Erfahrungswissenschaft, folglich straft sich auch bei
ihr eine unzureichende Induktion durch Fehlschlüsse.

Ratzel untersucht nicht wie Treitschke das Staatsleben in seinem
Gesamtumfang, jedoch die geographische Grundlage desselben erforscht
er auf dem Boden aller Erdteile und bis hinab zu den Kleinstaaten
innerafrikanischer Naturvölker, in denen gerade so mancher funda-
mentale Zug der Beziehung zwischen Land und staatenbildenden Menschen
Dank der schlichten Einfachheit der Verhältnisse ähnlich klar hervor-
leuchtet wie pflanzliche Entwicklungsgesetze früher sich dem Forscher
offenbart haben beim kryptogamischen Organismus als beim kompli-
zierteren phanerogamischen.

Es kann nicht Zweck dieser kurzen Anzeige sein, den überaus
 
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