Kritiken.
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aber es doch noch nicht zu äusserlich glänzenden Erfolgen gebracht
haben; keine lebendige Teilnahme für diejenigen Vorposten des
Deutschtums, die in harter Bedrängnis um ihr Dasein kämpfen; keine
Berührung irgend einer wunden oder verwundbaren Stelle des deutschen
Volkskörpers, sondern ein vorsichtiges Umkreisen derselben; kurz und gut
keinerlei Sturm und Drang, sondern ausschliesslich gelehrte Nüchternheit
Man gewinnt fast den Eindruck, als ob die Verfasser von dem Erfolg der
Reichsgründung so geblendet wären, dass ihre Augen geschlossen
oder blind sind für Alles was seit 30 Jahren geschehen ist — und
in Zukunft noch geschehen kann oder soll. Dieser Vergleich mit
Jahn soll noch keinen Vorwurf enthalten gegen den Geist des neuen
Werkes, denn es kann auch absichtliche Beschränkung sein, die sich
die Verfasser auferlegt haben; aber er drängt sich von selbst auf,
und an mancher Stelle wünschte man der Darstellung einen höheren
Schwung; neben der Beschreibung des deutschen Geistes- und Ge-
mütslebens möchte man auch etwas vom Pulsschlag lebhaften deut-
schen Empfindens herausfühlen und ausgedrückt finden. Welches
Feuer deutscher Gesinnung lodert z. B. aus den Schriften Richard
Wagners, Lagardes, Riehls, Freitags, Treitschkes und Anderer!
Ferner vermissen wir in dem grossangelegten Werke noch einen
wichtigen Abschnitt. In den Gesamtplan hätte es sicher hinein-
gepasst, wenn neben den 10 gelehrten Männern noch ein elfter zu
Worte gekommen wäre, nämlich der Statistiker oder Nationalökonom.
Es fällt auf, dass in einem Buche von weit über 600 Seiten, in
denen das deutsche Volkstum eingehend in Bezug auf sein Werden
und Wirken behandelt ist, an keiner Stelle sich Gelegenheit gefunden
hat, seinen physischen Umfang mit Zahlen darzustellen. Dem Sta-
tistiker aber hätte es nicht nur obgelegen, den Umfang des Volkes
selbst, sondern auch die wirtschaftlichen Machtmittel, die Grundlagen
und Grundbedingungen seines Daseins in Mitteleuropa und in den
überseeischen Ländern darzustellen. Von seiner hohen Warte aus
ergab sich ein Ueberblick sowohl über den vorhergegangenen Auf-
schwung als auch über die Zukunfsnotwendigkeiten der kolonialen
Politik, so weit sie dem Handel dient, der Stärkung deutscher See-
gewalt oder der Schaffung geeigneter Stätten für deutsche Ansied-
lung. Fragen von ausserordentlicher Wichtigkeit für das deutsche
Volksleben wie z. B. die modernen Völkerwanderungen innerhalb der
jetzt von Deutschen bewohnten Gebiete, oder verschiedenartige Volks-
zunahme bei Deutschen, Franzosen und Slaven hätten da ihre Er-
ledigungen finden können. Es war eine Gelegenheit geboten, eine
ganz neue Art wirtschaftlicher Statistik in die Wege zu leiten, denn
noch nie ist es versucht worden, das deutsche Volk als Ganzes,
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aber es doch noch nicht zu äusserlich glänzenden Erfolgen gebracht
haben; keine lebendige Teilnahme für diejenigen Vorposten des
Deutschtums, die in harter Bedrängnis um ihr Dasein kämpfen; keine
Berührung irgend einer wunden oder verwundbaren Stelle des deutschen
Volkskörpers, sondern ein vorsichtiges Umkreisen derselben; kurz und gut
keinerlei Sturm und Drang, sondern ausschliesslich gelehrte Nüchternheit
Man gewinnt fast den Eindruck, als ob die Verfasser von dem Erfolg der
Reichsgründung so geblendet wären, dass ihre Augen geschlossen
oder blind sind für Alles was seit 30 Jahren geschehen ist — und
in Zukunft noch geschehen kann oder soll. Dieser Vergleich mit
Jahn soll noch keinen Vorwurf enthalten gegen den Geist des neuen
Werkes, denn es kann auch absichtliche Beschränkung sein, die sich
die Verfasser auferlegt haben; aber er drängt sich von selbst auf,
und an mancher Stelle wünschte man der Darstellung einen höheren
Schwung; neben der Beschreibung des deutschen Geistes- und Ge-
mütslebens möchte man auch etwas vom Pulsschlag lebhaften deut-
schen Empfindens herausfühlen und ausgedrückt finden. Welches
Feuer deutscher Gesinnung lodert z. B. aus den Schriften Richard
Wagners, Lagardes, Riehls, Freitags, Treitschkes und Anderer!
Ferner vermissen wir in dem grossangelegten Werke noch einen
wichtigen Abschnitt. In den Gesamtplan hätte es sicher hinein-
gepasst, wenn neben den 10 gelehrten Männern noch ein elfter zu
Worte gekommen wäre, nämlich der Statistiker oder Nationalökonom.
Es fällt auf, dass in einem Buche von weit über 600 Seiten, in
denen das deutsche Volkstum eingehend in Bezug auf sein Werden
und Wirken behandelt ist, an keiner Stelle sich Gelegenheit gefunden
hat, seinen physischen Umfang mit Zahlen darzustellen. Dem Sta-
tistiker aber hätte es nicht nur obgelegen, den Umfang des Volkes
selbst, sondern auch die wirtschaftlichen Machtmittel, die Grundlagen
und Grundbedingungen seines Daseins in Mitteleuropa und in den
überseeischen Ländern darzustellen. Von seiner hohen Warte aus
ergab sich ein Ueberblick sowohl über den vorhergegangenen Auf-
schwung als auch über die Zukunfsnotwendigkeiten der kolonialen
Politik, so weit sie dem Handel dient, der Stärkung deutscher See-
gewalt oder der Schaffung geeigneter Stätten für deutsche Ansied-
lung. Fragen von ausserordentlicher Wichtigkeit für das deutsche
Volksleben wie z. B. die modernen Völkerwanderungen innerhalb der
jetzt von Deutschen bewohnten Gebiete, oder verschiedenartige Volks-
zunahme bei Deutschen, Franzosen und Slaven hätten da ihre Er-
ledigungen finden können. Es war eine Gelegenheit geboten, eine
ganz neue Art wirtschaftlicher Statistik in die Wege zu leiten, denn
noch nie ist es versucht worden, das deutsche Volk als Ganzes,