Allustri rte Mell.
und geringe Leute kann ein so gut renommirtes Geschäft
nicht brauchen. Der Cirkus Zcrrini hat stets auf eine ge-
wisse Vornehmheit gehalten," erklärte Paul Roda.
Herr Hase sah jetzt den Sprecher sehr genau, sozusagen
wissenschaftlich an, dann schob er sein Käppchen in guter
Stimmung auf die eine Seite seines Borstenhaares und
wieder auf die andere. „So seien Sic uns willkommen
als Hausbewohner, als mein Zimmernachbar," sprach er
vergnügt, Paul die Hand reichend. „ Ich glaube, daß Sic
mit Frau Wernike sich einigen werden; sie ist eine brave
Frau, und wer bei ihr unterkommen kann — sie nimmt
nicht Jeden — der ist geborgen."
Paul Roda erhob sich und nahm die dargcbotene Hand.
„Ich habe es auch nöthig, daß Jemand sich meiner an-
nimmt; ich stehe so allein in der Welt, als gehörte ich gar
nicht zu ihr," entgegnete er wehmüthig ernst. „Das Schick-
sal hat mich wild umhergestoßen, und Liebe, Treue, An-
hänglichkeit und Wohlwollen habe ich bisher wenig erfahren.
So werden wir uns in Zukunft öfter sehen," sagte der
junge Mann sich verabschiedend.
„Ich hoffe, daß wir gute Nachbarn und Freunde werden,"
entgegnete Herr Hase theilnahmvoll.
Kaum hatte der Besuch das Zimmer verlassen, so trat
Frau Wernike ein. „Nun," forschte sie, „wie hat er be-
standen?"
„Sie haben Recht, Frau Wernike," sprach darauf Herr
Hase, „das ist der schönste Mensch, den ich je gesehen habe,
und der bescheidenste, ein Kind von Gemüth und ein guter
Mensch, aber er ist etwas Nobleres als ein Kunstreiter,
das ist sicher, ein vornehmer Kunde, Frau Wernike. Sehen
Sie diese Schriftzüge, sie sind fein, aristokratisch hoch,
leicht gebaut, schwungvoll, kavalierartig elegant. Sehen
Sie diesen Strich vom H, die D und F, das große A."
„Haben Sie ihn darauf hin nur geprüft?" warf Frau
Wernike ziemlich unbefriedigt und ungeduldig ein.
„Nein, Frau Wernike," begütigte der Herr Kalkulator;
„vom ersten Moment an, da ich dicß Gesicht erblickte, sagte
ich mir, das kann kein schlechter Mensch sein, der ist wahr,
redlich und solide."
„Nun, sehen Sie, Herr Kalkulator, das war auch meine
Meinung," stimmte lebhaft die Zimmervermiethcrin zu.
„Ja, gut von Herzen und solide, trotzdem er ein Kunstreiter
ist, und auch meine Ansicht ist, daß der junge Mann ein
ausgestoßenes oder gestohlenes Kind sein muß von feinen
Eltern. Das bekam ich auch ohne Schriftgelehrsamkeit
heraus, nur mit meinen zwei Augen," ließ sie beziehungsvoll
einfließen. „Ich nehme den Mann, und er soll es bei
uns gut haben," entschied Frau Wernike diese große An-
gelegenheit, und damit war Herr Paul Roda in der Miether-
kolonie der resoluten Wittwe ausgenommen und bezog schon
am Abend desselbigen Tages sein bescheidenes Zimmer.
(Fortsetzung folgt.)
Dik LöwkiMnillgmn, Lstima Nlli ilm'll Löwkli.
Nach einer Momcntphotographie.
(Bild S. IN.)
Tic Momcntphotographie hat die ganze photographische Kunst
in eine neue Bahn gelenkt und findet immer mehr Freunde. Wer
dmkt nicht noch mit geheimem Grausen des Marterstuhls, auf
welchem man mit ängstlichem Gesichtsausdrucke und steifer Körper-
baltung eingepreßt des großen Augenblicks wartete, der nach vielen
Kommandos: „Bitte, mehr rechts blicken!" - „Bitte, die linke
Hand mehr zurück!" — „Bitte, die Nase etwas höher!" und so
das gewichtige „So, jetzt, bitte, recht freundlich!"
de- Photographen brachte und den Geängsteten zu minutenlanger,
Ilarrer Kühe zwang, um alsdann ein möglichst unähnliches, weil
Kontersei zu Tage zu fördern. Diese Qualen
-^fÄsschen Atelier sind durch die Momentaufnahmen einem
lrycyen, fröhlichen Treiben gewichen. Eintreten, niedersetzen und
pw ohne die ganze Prozedur nur recht zu ahnen,
em dem Augenblick entlehntes, naturwahres Bild des lieben „Ich"
ekommen Yt bereits in jedem guten photographischen Atelier zur
Ta^ab^/ Konterfcibedürstigen Thatsache geworden.
d ° m sondern auch Thiere dieser Wohl-
hat de- Augenblicks theckhaztigwerden können, hat Herr Boissonas
m ^enf, em hervorragender Spezialist aus diesem Gebiete, durch
eine Reihe von höchst gelungenen Aufnahmen aus dem Reiche der
zahmen und bilden Thiere bewiesen und dadurch dem Künstler
Unier^t^^^?^ "m Sülle interessanten Materials geboten.
Nm m- 2 ? Anblick, wo die schöne Thierbändigerin
Nouma Hawa im freundschaftlichsten tete-ä-tete mit ihren zwei
ück be!w> und ^t°, wahren Prachtexemplaren von Löwen,
sich bepndet und durch ihren Herrscherblick die Könige der Thiere
zur devotesten Haltung zu ihren Füßen und zugleich zum freund-
lichen schmunzeln zwingt. Von den verschiedenen Augenblicks-
stellungen m Lenen Liese edlen Thiere theils mit, theils ohne ihre
Herrin ausgenommen wurden, haben wir die vorliegende als iebr
charakteristisch und durch den Stoff hochinteressant, gewählt Troll
der mannigfachen Schwierigkeiten,' die Raum- und Lichtverhält-
mpe Ausnahmen von wilden Thieren in ihren Käfigen entgegen-
stellen, ist es Boissonas — diesem Meister in seinem Fache — ae-
'^arfe, 0^ beleuchtete Bilder von außerordent-
licher Naturwahrheit herzustellen, wie diese vortreffliche Leistung
d ü S°.r°n L-scrn in Holzschnittreproduktion vorlegen'
mstt^d Threrbändlgerinszene steht uns mit einer Un-
mittelbarkeit vor Augen, daß wir bei der Vorstellung anwesend
^-.uut Zu erleben glauben. Der Begriff von Bild
Abbildung ist gänzlich verschwunden vor dieser Szene der uns
vor Augen stehenden Wirklichkeit der Natur.
Kleine Arbeitsschule für Mädchen.
Zur Verwendung getrockneter Blumen. Eine be-
sonders sinnige und hübsche Beschäftigung der Mädchen ist immer
diejenige mit Blumen gewesen. Durch das so beliebt gewordene
künstliche Trocknen von Blu-
men zum Zwecke der ver-
schiedenartigsten Ausschmü-
ckungen ist diese Beschäfti-
gung neuerdings sehr er-
weitert worden, und die
Mode bietet unseren kleinen
Mädchen hier die Hand zur
Anfertigung besonders hüb-
scher und sinniger Geburts-
tagsgeschenke. Frühling und
Sommer mit ihrer Fülle
von Blumen und Blättern
fordern fleißig zum Sam-
meln auf, und in den
Stunden der Muße sinnt
man über ihre Verwendung.
Die einfachste Anordnung
selbstgesammelter Blumen
ist diejenige auf Briefbogen
und auf Geburtstagskarten.
Solche Karten, in dafür
eingerichtete Briefbeschwerer
von Krystall geschoben, er-
höhen die Haltbarkeit und
den Werth des beabsichtig-
ten Geschenkes. Größere An-
sprüche an den Geschmack
und die Geschicklichkeit macht
die Anordnung von gepreß-
ten Blumen als Bilder-
rahmen und Lampenschirme.
Gerade bei letzteren ist die
aufgewendcte Mühe aber eine so lohnende, daß wir unseren
jugendlichen Leserinnen einen bcsondern Hinweis dahin geben
wollen. Die transparente Beleuchtung dieser in den Seidenschirm
hineingesütterten Blumen-
arrangements erhebt diesel-
ben zu kleinen Kunstwerken
von seltener Anmuth und
Lieblichkeit. Die für das Ein-
kleben der Blumen bereits
präparirtcn Schirme von
Seidenpapier sind in jeder
größeren Papierhandlung
käuflich. Wo die eigene Phan-
tasie für die zierliche Anord-
nung nicht ausreicht, gibt es
zahllose Anregungen auf ge-
druckten Gratulativnskarten
und dergleichen.
Die Anwendung künst-
licher Blumenpressen bei dem
Herrichten der Blumen für
ihren Zweck ist keineswegs er-
forderlich; das Einpreffen
derselben zwischen alte Druck-
bücher thut dieselben Dienste.
Der geübte Druck muß aber
in der größten Wärme und
Trockenheit wirken, und man
thut gut, die Bücher im
Sommer in die Sonne, im
Winter in die Nähe des Ofens
zu legen. Auch beim Ein-
sammeln schon muß auf die Trockenheit der Pflanzen geachtet
werden. Am geeignetsten zum Pressen sind alle leichten, einfachen,
zierlichen Blumen, im Frühling hervorsprießendes Grün, alle
Wald- und Wiesenblumen. Unbrauchbar ist alles Große, Schwer-
fällige und Kompakte unter den Blumen und Blättern.
Spiele für Lnabrn.
Das Morraspiel. Die beiden Gegner treten einander
gegenüber und halten die geschlossene Faust bis zur Gesichtshöhe.
Plötzlich strecken belle zu gleicher Zell eine beliebige Anzahl Finger
aus und nennen dabei eine Zahl. Es streckt zum Beispiel der
Erste 3 Finger aus und ruft 5; der Zweite zeigt vielleicht 4 Finger
und ruft 8. In diesem Falle hat Keiner gewonnen. Es muß
die Zahl getroffen werden, welche man erhält, sobald man die
Finger beider Spieler zujammenzählt. Rathen zufällig beide Gegner
richtig, so gilt der Zug nicht. In obigem Falle hätten sie 7
rathen müssen. Derjenige gewinnt, der die richtige Summe nennt,
während sein Gegner zugleich falsch rathet. Hebt also der erste
Spieler 4 Finger auf und ruft 6, der zweite hat gleichzeitig
2 Finger gezeigt und 5 oder eine andere Zahl als 6 genannt, jo
hat der erste gewonnen, der zweite verloren.
15
IlbumblsL
Der Gelbaum.
Dein Mark ist krank, dein Stamm zerspellt,
Die weiten tiefen Munden gähnen;
Kanin noch mit morschen Murzelsträhnen
Dein Fuß den Fels umklammert hält;
Und jeder Mindeshauch bedroht
verhöhnend dich mit Sturz und Tod.
Du aber harrst geduldig aus
Trotz Wunden und trotz Windesbraus,
Die zarte Krone neiget fast
Sich unter ihrer Segenslast,
An allen Zweigen hängt's von schweren,
Scheinlosen, balsamreichen Beeren.
Und aus des Laubes Silberglanz
Webt sich des Friedens holder Kranz.
G heil'ger Belbanm rausche du
Mein wundgerissenes kserz in Ruh,
G lehre mich noch Liebe spenden,
Wenn schon der Tod mein Mark zerwühlt,
Und laß die Krone sich vollenden.
Die friedlich mir die Schläfen kühlt!
Aus: ,,winternächte". Gedichte von A. Fitger.
Oldenburg, A. Schwarz.
Die flandrische Desper.
Historische Novelle
von
Moritz Lilie.
2.
Der Frühling war in's Land gekommen nnd hatte den
Winter, diesen mürrischen Gesellen, endlich verjagt. Ueber-
all grünte und duftete es in der Natur und statt eisiger
Schneeflocken wirbelten die Blütenblätter der Bäume auf
den saftigen Rasen hernieder, daß die Grashalme sich wie
fröhliche Kinder schüttelten und sich leise im Winde beugten,
als wollten sie die ankommenden Blüten mit komischer
Grandezza begrüßen. Die Vögel oben in dem Gezweig
sangen um die Welte und die Amseln und Lerchen gönnten
sich nicht einmal während des Fluges Rast, sondern flöteten
und jubelten in die Lenzespracht hinein. Es war Mai, ein
wirklicher, wonniger Mai, kein solcher verdrießlicher Patron,
der im Zweifel zu sein scheint, ob er den Winter oder den
Frühling als regierenden Herrn anerkennen solle. Die
Thier- und Pflanzenwelt war zu neuem, frohem Leben er-
wacht und tummelte und sonnte sich im warmen Scheine
des segenspendenden Tagesgestirns, das seine Strahlen mit
gleicher Liebe auf die im bräutlichen Schmucke prangende
Natur, wie auf die hadernde, grollende Menschenwelt herab-
sandte.
An dem massiven, hochgegiebelten Eckhaus mit den selt-
sam verschnörkelten Verzierungen, welches unweit des Prinzen-
hofes, des Palastes der Grasen von Flandern, stand, zog
sich ein geräumiger Garten hin, der die ganze Breite des
Gebäudes einnahm und sich weit hinaus bis zu einer Wiese
erstreckte, von welcher er durch eine buschige Schwarzdorn-
hecke getrennt war. Das Haus war das Besihthum Peter
Koning's, des reichen Tuchmachers, der sich hier, in dieser
bevorzugten Gegend der Stadt, dieses Grundstück erworben
hatte. Das Vorderhaus diente zur Wohnung und als
Waarenniederlage und große Vorräthe feinsten und kost-
baren Tuches waren hier aufgespeichert. In dem lang-
gestreckten Seitengebäude befanden sich die Arbeitsräume,
in denen die Webstühle aufgeschlagen waren; hier schassten
an Werkeltagen emsig die zahlreichen Tuchknappen, die Fär-
ber und Spuler, unter Leitung von Koning's erfahrenem
Werkmeister Wilibald und der Oberaufsicht ihres intelligen-
ten und thatkrästigen Arbeitgebers. Diesem Hause gegen-
über, die andere Seite des umfangreichen Hofes begrenzend,
stand ein drittes Gebäude, welches als Magazin sür die
Rohprodukte, Wolle, Farbstoffe und Brennmaterial, sowie
als Färbereianlage diente, und die vierte Seite endlich ward
durch einen zierlichen Holzzaun abgeschlossen, welcher den
Einblick in den wohlgepflcgten Garten gestattete.
Hier herrschte während der Arbeitszeit das ganze ge-
räuschvolle scheinbare Durcheinander eines lebhaften Ge-
schäftsbetriebes und besonders zur Zeit der beiden Messen,
im Frühjahr und im Herbste, drängten sich im Gehöfte
Koning's die Künden, welche oft aus weiter Ferne herbei-
kamen, um die berühmten Tuche dieses Meisters zu kaufen.
Seit die Franzosen im Lande waren, hatte sich freilich der
Absatz bedeutend vermindert, die Geschäfte lagen darnieder
und die auswärtigen Käufer blieben aus; aber Peter Ko-
ning hatte keinen einzigen seiner Arbeiter entlassen, ihnen
keinen Pfennig am Lohn gekürzt; deßhalb trugen sie ihn
aber auch auf den Händen und bei der ganzen Innung,
bei Meister, Gesellen und Lehrbuben, wie in der gesammten
Bürgerschaft, war Koning hochbeliebt und geehrt.
Heute aber war es still in den Werkstätten, denn es
war Sonntag. Von der Kathedrale Sankt Salvator tönte
ernst und feierlich das Geläute der Glocken über die schwei-
gende Stadt und lud die Gläubigen zum Nachmittagsgottes-
dienste ein, und rings von den übrigen Kirchen allen, der
und geringe Leute kann ein so gut renommirtes Geschäft
nicht brauchen. Der Cirkus Zcrrini hat stets auf eine ge-
wisse Vornehmheit gehalten," erklärte Paul Roda.
Herr Hase sah jetzt den Sprecher sehr genau, sozusagen
wissenschaftlich an, dann schob er sein Käppchen in guter
Stimmung auf die eine Seite seines Borstenhaares und
wieder auf die andere. „So seien Sic uns willkommen
als Hausbewohner, als mein Zimmernachbar," sprach er
vergnügt, Paul die Hand reichend. „ Ich glaube, daß Sic
mit Frau Wernike sich einigen werden; sie ist eine brave
Frau, und wer bei ihr unterkommen kann — sie nimmt
nicht Jeden — der ist geborgen."
Paul Roda erhob sich und nahm die dargcbotene Hand.
„Ich habe es auch nöthig, daß Jemand sich meiner an-
nimmt; ich stehe so allein in der Welt, als gehörte ich gar
nicht zu ihr," entgegnete er wehmüthig ernst. „Das Schick-
sal hat mich wild umhergestoßen, und Liebe, Treue, An-
hänglichkeit und Wohlwollen habe ich bisher wenig erfahren.
So werden wir uns in Zukunft öfter sehen," sagte der
junge Mann sich verabschiedend.
„Ich hoffe, daß wir gute Nachbarn und Freunde werden,"
entgegnete Herr Hase theilnahmvoll.
Kaum hatte der Besuch das Zimmer verlassen, so trat
Frau Wernike ein. „Nun," forschte sie, „wie hat er be-
standen?"
„Sie haben Recht, Frau Wernike," sprach darauf Herr
Hase, „das ist der schönste Mensch, den ich je gesehen habe,
und der bescheidenste, ein Kind von Gemüth und ein guter
Mensch, aber er ist etwas Nobleres als ein Kunstreiter,
das ist sicher, ein vornehmer Kunde, Frau Wernike. Sehen
Sie diese Schriftzüge, sie sind fein, aristokratisch hoch,
leicht gebaut, schwungvoll, kavalierartig elegant. Sehen
Sie diesen Strich vom H, die D und F, das große A."
„Haben Sie ihn darauf hin nur geprüft?" warf Frau
Wernike ziemlich unbefriedigt und ungeduldig ein.
„Nein, Frau Wernike," begütigte der Herr Kalkulator;
„vom ersten Moment an, da ich dicß Gesicht erblickte, sagte
ich mir, das kann kein schlechter Mensch sein, der ist wahr,
redlich und solide."
„Nun, sehen Sie, Herr Kalkulator, das war auch meine
Meinung," stimmte lebhaft die Zimmervermiethcrin zu.
„Ja, gut von Herzen und solide, trotzdem er ein Kunstreiter
ist, und auch meine Ansicht ist, daß der junge Mann ein
ausgestoßenes oder gestohlenes Kind sein muß von feinen
Eltern. Das bekam ich auch ohne Schriftgelehrsamkeit
heraus, nur mit meinen zwei Augen," ließ sie beziehungsvoll
einfließen. „Ich nehme den Mann, und er soll es bei
uns gut haben," entschied Frau Wernike diese große An-
gelegenheit, und damit war Herr Paul Roda in der Miether-
kolonie der resoluten Wittwe ausgenommen und bezog schon
am Abend desselbigen Tages sein bescheidenes Zimmer.
(Fortsetzung folgt.)
Dik LöwkiMnillgmn, Lstima Nlli ilm'll Löwkli.
Nach einer Momcntphotographie.
(Bild S. IN.)
Tic Momcntphotographie hat die ganze photographische Kunst
in eine neue Bahn gelenkt und findet immer mehr Freunde. Wer
dmkt nicht noch mit geheimem Grausen des Marterstuhls, auf
welchem man mit ängstlichem Gesichtsausdrucke und steifer Körper-
baltung eingepreßt des großen Augenblicks wartete, der nach vielen
Kommandos: „Bitte, mehr rechts blicken!" - „Bitte, die linke
Hand mehr zurück!" — „Bitte, die Nase etwas höher!" und so
das gewichtige „So, jetzt, bitte, recht freundlich!"
de- Photographen brachte und den Geängsteten zu minutenlanger,
Ilarrer Kühe zwang, um alsdann ein möglichst unähnliches, weil
Kontersei zu Tage zu fördern. Diese Qualen
-^fÄsschen Atelier sind durch die Momentaufnahmen einem
lrycyen, fröhlichen Treiben gewichen. Eintreten, niedersetzen und
pw ohne die ganze Prozedur nur recht zu ahnen,
em dem Augenblick entlehntes, naturwahres Bild des lieben „Ich"
ekommen Yt bereits in jedem guten photographischen Atelier zur
Ta^ab^/ Konterfcibedürstigen Thatsache geworden.
d ° m sondern auch Thiere dieser Wohl-
hat de- Augenblicks theckhaztigwerden können, hat Herr Boissonas
m ^enf, em hervorragender Spezialist aus diesem Gebiete, durch
eine Reihe von höchst gelungenen Aufnahmen aus dem Reiche der
zahmen und bilden Thiere bewiesen und dadurch dem Künstler
Unier^t^^^?^ "m Sülle interessanten Materials geboten.
Nm m- 2 ? Anblick, wo die schöne Thierbändigerin
Nouma Hawa im freundschaftlichsten tete-ä-tete mit ihren zwei
ück be!w> und ^t°, wahren Prachtexemplaren von Löwen,
sich bepndet und durch ihren Herrscherblick die Könige der Thiere
zur devotesten Haltung zu ihren Füßen und zugleich zum freund-
lichen schmunzeln zwingt. Von den verschiedenen Augenblicks-
stellungen m Lenen Liese edlen Thiere theils mit, theils ohne ihre
Herrin ausgenommen wurden, haben wir die vorliegende als iebr
charakteristisch und durch den Stoff hochinteressant, gewählt Troll
der mannigfachen Schwierigkeiten,' die Raum- und Lichtverhält-
mpe Ausnahmen von wilden Thieren in ihren Käfigen entgegen-
stellen, ist es Boissonas — diesem Meister in seinem Fache — ae-
'^arfe, 0^ beleuchtete Bilder von außerordent-
licher Naturwahrheit herzustellen, wie diese vortreffliche Leistung
d ü S°.r°n L-scrn in Holzschnittreproduktion vorlegen'
mstt^d Threrbändlgerinszene steht uns mit einer Un-
mittelbarkeit vor Augen, daß wir bei der Vorstellung anwesend
^-.uut Zu erleben glauben. Der Begriff von Bild
Abbildung ist gänzlich verschwunden vor dieser Szene der uns
vor Augen stehenden Wirklichkeit der Natur.
Kleine Arbeitsschule für Mädchen.
Zur Verwendung getrockneter Blumen. Eine be-
sonders sinnige und hübsche Beschäftigung der Mädchen ist immer
diejenige mit Blumen gewesen. Durch das so beliebt gewordene
künstliche Trocknen von Blu-
men zum Zwecke der ver-
schiedenartigsten Ausschmü-
ckungen ist diese Beschäfti-
gung neuerdings sehr er-
weitert worden, und die
Mode bietet unseren kleinen
Mädchen hier die Hand zur
Anfertigung besonders hüb-
scher und sinniger Geburts-
tagsgeschenke. Frühling und
Sommer mit ihrer Fülle
von Blumen und Blättern
fordern fleißig zum Sam-
meln auf, und in den
Stunden der Muße sinnt
man über ihre Verwendung.
Die einfachste Anordnung
selbstgesammelter Blumen
ist diejenige auf Briefbogen
und auf Geburtstagskarten.
Solche Karten, in dafür
eingerichtete Briefbeschwerer
von Krystall geschoben, er-
höhen die Haltbarkeit und
den Werth des beabsichtig-
ten Geschenkes. Größere An-
sprüche an den Geschmack
und die Geschicklichkeit macht
die Anordnung von gepreß-
ten Blumen als Bilder-
rahmen und Lampenschirme.
Gerade bei letzteren ist die
aufgewendcte Mühe aber eine so lohnende, daß wir unseren
jugendlichen Leserinnen einen bcsondern Hinweis dahin geben
wollen. Die transparente Beleuchtung dieser in den Seidenschirm
hineingesütterten Blumen-
arrangements erhebt diesel-
ben zu kleinen Kunstwerken
von seltener Anmuth und
Lieblichkeit. Die für das Ein-
kleben der Blumen bereits
präparirtcn Schirme von
Seidenpapier sind in jeder
größeren Papierhandlung
käuflich. Wo die eigene Phan-
tasie für die zierliche Anord-
nung nicht ausreicht, gibt es
zahllose Anregungen auf ge-
druckten Gratulativnskarten
und dergleichen.
Die Anwendung künst-
licher Blumenpressen bei dem
Herrichten der Blumen für
ihren Zweck ist keineswegs er-
forderlich; das Einpreffen
derselben zwischen alte Druck-
bücher thut dieselben Dienste.
Der geübte Druck muß aber
in der größten Wärme und
Trockenheit wirken, und man
thut gut, die Bücher im
Sommer in die Sonne, im
Winter in die Nähe des Ofens
zu legen. Auch beim Ein-
sammeln schon muß auf die Trockenheit der Pflanzen geachtet
werden. Am geeignetsten zum Pressen sind alle leichten, einfachen,
zierlichen Blumen, im Frühling hervorsprießendes Grün, alle
Wald- und Wiesenblumen. Unbrauchbar ist alles Große, Schwer-
fällige und Kompakte unter den Blumen und Blättern.
Spiele für Lnabrn.
Das Morraspiel. Die beiden Gegner treten einander
gegenüber und halten die geschlossene Faust bis zur Gesichtshöhe.
Plötzlich strecken belle zu gleicher Zell eine beliebige Anzahl Finger
aus und nennen dabei eine Zahl. Es streckt zum Beispiel der
Erste 3 Finger aus und ruft 5; der Zweite zeigt vielleicht 4 Finger
und ruft 8. In diesem Falle hat Keiner gewonnen. Es muß
die Zahl getroffen werden, welche man erhält, sobald man die
Finger beider Spieler zujammenzählt. Rathen zufällig beide Gegner
richtig, so gilt der Zug nicht. In obigem Falle hätten sie 7
rathen müssen. Derjenige gewinnt, der die richtige Summe nennt,
während sein Gegner zugleich falsch rathet. Hebt also der erste
Spieler 4 Finger auf und ruft 6, der zweite hat gleichzeitig
2 Finger gezeigt und 5 oder eine andere Zahl als 6 genannt, jo
hat der erste gewonnen, der zweite verloren.
15
IlbumblsL
Der Gelbaum.
Dein Mark ist krank, dein Stamm zerspellt,
Die weiten tiefen Munden gähnen;
Kanin noch mit morschen Murzelsträhnen
Dein Fuß den Fels umklammert hält;
Und jeder Mindeshauch bedroht
verhöhnend dich mit Sturz und Tod.
Du aber harrst geduldig aus
Trotz Wunden und trotz Windesbraus,
Die zarte Krone neiget fast
Sich unter ihrer Segenslast,
An allen Zweigen hängt's von schweren,
Scheinlosen, balsamreichen Beeren.
Und aus des Laubes Silberglanz
Webt sich des Friedens holder Kranz.
G heil'ger Belbanm rausche du
Mein wundgerissenes kserz in Ruh,
G lehre mich noch Liebe spenden,
Wenn schon der Tod mein Mark zerwühlt,
Und laß die Krone sich vollenden.
Die friedlich mir die Schläfen kühlt!
Aus: ,,winternächte". Gedichte von A. Fitger.
Oldenburg, A. Schwarz.
Die flandrische Desper.
Historische Novelle
von
Moritz Lilie.
2.
Der Frühling war in's Land gekommen nnd hatte den
Winter, diesen mürrischen Gesellen, endlich verjagt. Ueber-
all grünte und duftete es in der Natur und statt eisiger
Schneeflocken wirbelten die Blütenblätter der Bäume auf
den saftigen Rasen hernieder, daß die Grashalme sich wie
fröhliche Kinder schüttelten und sich leise im Winde beugten,
als wollten sie die ankommenden Blüten mit komischer
Grandezza begrüßen. Die Vögel oben in dem Gezweig
sangen um die Welte und die Amseln und Lerchen gönnten
sich nicht einmal während des Fluges Rast, sondern flöteten
und jubelten in die Lenzespracht hinein. Es war Mai, ein
wirklicher, wonniger Mai, kein solcher verdrießlicher Patron,
der im Zweifel zu sein scheint, ob er den Winter oder den
Frühling als regierenden Herrn anerkennen solle. Die
Thier- und Pflanzenwelt war zu neuem, frohem Leben er-
wacht und tummelte und sonnte sich im warmen Scheine
des segenspendenden Tagesgestirns, das seine Strahlen mit
gleicher Liebe auf die im bräutlichen Schmucke prangende
Natur, wie auf die hadernde, grollende Menschenwelt herab-
sandte.
An dem massiven, hochgegiebelten Eckhaus mit den selt-
sam verschnörkelten Verzierungen, welches unweit des Prinzen-
hofes, des Palastes der Grasen von Flandern, stand, zog
sich ein geräumiger Garten hin, der die ganze Breite des
Gebäudes einnahm und sich weit hinaus bis zu einer Wiese
erstreckte, von welcher er durch eine buschige Schwarzdorn-
hecke getrennt war. Das Haus war das Besihthum Peter
Koning's, des reichen Tuchmachers, der sich hier, in dieser
bevorzugten Gegend der Stadt, dieses Grundstück erworben
hatte. Das Vorderhaus diente zur Wohnung und als
Waarenniederlage und große Vorräthe feinsten und kost-
baren Tuches waren hier aufgespeichert. In dem lang-
gestreckten Seitengebäude befanden sich die Arbeitsräume,
in denen die Webstühle aufgeschlagen waren; hier schassten
an Werkeltagen emsig die zahlreichen Tuchknappen, die Fär-
ber und Spuler, unter Leitung von Koning's erfahrenem
Werkmeister Wilibald und der Oberaufsicht ihres intelligen-
ten und thatkrästigen Arbeitgebers. Diesem Hause gegen-
über, die andere Seite des umfangreichen Hofes begrenzend,
stand ein drittes Gebäude, welches als Magazin sür die
Rohprodukte, Wolle, Farbstoffe und Brennmaterial, sowie
als Färbereianlage diente, und die vierte Seite endlich ward
durch einen zierlichen Holzzaun abgeschlossen, welcher den
Einblick in den wohlgepflcgten Garten gestattete.
Hier herrschte während der Arbeitszeit das ganze ge-
räuschvolle scheinbare Durcheinander eines lebhaften Ge-
schäftsbetriebes und besonders zur Zeit der beiden Messen,
im Frühjahr und im Herbste, drängten sich im Gehöfte
Koning's die Künden, welche oft aus weiter Ferne herbei-
kamen, um die berühmten Tuche dieses Meisters zu kaufen.
Seit die Franzosen im Lande waren, hatte sich freilich der
Absatz bedeutend vermindert, die Geschäfte lagen darnieder
und die auswärtigen Käufer blieben aus; aber Peter Ko-
ning hatte keinen einzigen seiner Arbeiter entlassen, ihnen
keinen Pfennig am Lohn gekürzt; deßhalb trugen sie ihn
aber auch auf den Händen und bei der ganzen Innung,
bei Meister, Gesellen und Lehrbuben, wie in der gesammten
Bürgerschaft, war Koning hochbeliebt und geehrt.
Heute aber war es still in den Werkstätten, denn es
war Sonntag. Von der Kathedrale Sankt Salvator tönte
ernst und feierlich das Geläute der Glocken über die schwei-
gende Stadt und lud die Gläubigen zum Nachmittagsgottes-
dienste ein, und rings von den übrigen Kirchen allen, der