262
Zllustrirte Welt.
vornehmen zu dürfen. Ein Haufen Wilder tauchte plötzlich
aus dem Hintergrund auf und warf sich auf den flam-
menden Heukegel, um ihn auseinanderzureißen und uns
das ihnen so unbequeme Ächt auszulöschen. Aber ne
kamen uns wieder in die rechte Schußlinie und flohen
sogleich wieder, eine Anzahl der Ihrigen im Schnee zurück-
lassend. Um ihnen das Unnütze ihres Vorhabens recht
klar zu machen, ließ ich noch eine Heumiete in Brand
schießen, und unter dem wilden Triumphgeschrei der Neger-
soldaten ging eine zweite Sonne über dem farbenglühenden
Schlachtfeld auf. Hier wurde der Ansturm also vorläufig
hübsch niedergehalten. Ich gewann Zeit, mich anderweitig
umzuschauen. Ich ließ noch einige Raketen in die Höhe,
und benachrichtigte damit die nächste Militärstation, daß die
Indianer trotz ihrer friedlichen Versicherungen wieder voll-
ständig auf dem Kriegspfade waren. Eben warf ich von
dein Auftritt aus einen letzten Blick über das Schlachtfeld,
da geriet ich zu nahe an die Flugbahn einer Jndianerkugel,
die mir unter dem Schnurrbart die linke Wange streifte.
Es war mehr die Hitze des Geschosses als die mitgenommene
Haut, die mich den brennenden Schmerz fühlen ließ; aber
das Blut rann mir in den Rockkragen, und ich mußte ins
Haus, um die Sache zu untersuchen und ein Tuch aufzulegen.
In der Küche liefen Frauen und Kinder jammernd
durcheinander. Ich wollte an den Wasserkübel, da stieß
die mir entgegentretende Agathe einen verzweifelten Schrei
aus.
„Um Gott — Sie sind getroffen — das Blut . . ."
„Nur sehr mäßig, mein Fräulein!" beruhigte ich.
„Kathi, ruf doch den Vater — hier, nehmen Sie Platz,
ich hol' warm' Wasser ..."
„Alles nicht nötig, mein Fräulein —ein wenig Essig
auf einen Lappen und einen Streifen Heftpflaster, das
genügt!"
Wieder ein Durcheinanderhasten und Rufen bis Alt-
dörfer erschien, braunrot vor Kampfeshitze, und sich wieder
entfernte, als er die Bedeutungslosigkeit der Wunde er-
kannt. Ich war nun außerordentlich zufrieden, daß Agathe
selbst es übernahm, meinen Hals mit weichem Schwamm
zu säubern, das Essigtuch sanft unter den Schnurrbart
hielt, bis sich die Adern zusammengezogen. Biß die scharfe
Flüssigkeit auch abscheulich, so litt ich es gern um der
glatten, weichen Finger willen, die wie liebkosend über
meine Wange strichen, bis der Pflasterstreifen die kleine
Kompresse hielt.
„Viel tausend Dank, gute Samariterin — ich wünschte,
ich hätte Zeit, mich noch länger von Ihnen behandeln zu
lassen — aber da trompetet es Achtung . . ."
„Sie wollen schon wieder hinaus, aber wem: . .
„Selbstredend, ich muß doch sehen, was die Spitzbuben
draußen treiben . . ."
„Sie werden doch nicht einbrechen, Herr Lieutenant?"
„Keine Idee — fürchten Sie nichts und lassen Sie
den Punsch nicht kalt werden!"
„O — noch zu scherzen, und draußen kracht es. . ."
„Lebhaftes Neujahrsschießen — nimmt bald eine andere
Wendung!"
Ich eilte hinaus und warf ihr noch einen Blick über
die Schulter zu, wenn mir auch bei der Halswendung
die wunde Haut schmerzhaft zusammengerissen wurde. Ich
ging am Parlour vorbei — da stand Scholler mit seineil
Buben an den Fensterlöchern. Er selbst fest und breit-
beinig, wie der echte Protzenbauer auf dem Bundesschießen,
und legte den Kopf schief über den Gewehrlauf, den er
aus dem Loch im Fensterladen streckte, wo vor acht Tagen
das Licht des Ehristbaums hinausgestrahlt in die einsame
Prairie.
Kaum trat ich ins Freie hinaus, da brachte man mir
eine Meldung, die mich veranlaßte, auf das Dach des
langen Viehstalles zu steigen, wo ich die eine Hälfte meiner
Mannschaft postirt. Jenseits des Baches kam eine schein-
bar endlose Reihe dunkler Gestalten durch den Schnee
gekrochen. Als sie sich anschickten den halb zugefrorenen
Bach zu überschreiten und deshalb zu dichter Gruppe zu-
sammentraten, kommandirte ich: „Volley!" (Salve.)
Einige stürzten, andere sprangen zurück unter Deckung,
und von ihren nun herzulaufenden Gefährten unterstützt,
eröffneten sie ein recht lebhaftes Feuer.
Meine Schützen, die hinter dem Dachfirst auf dem
Bauch lagen, waren auf dieser langen Front leider nicht
zahlreich genug, um die stetig sich vermehrenden Wilden
vom Überschreiten des Baches abzuhalten.
Nur der kleine Fluß bildete noch ein Hindernis, der
uns gestattete, die Kühnsten hinwegzublasen, ehe sie. unter
den Schutz der Hecken am diesseitigen Ufer gelangten.
Sie erkannten aber deutlich genug ihren Vorteil und unsere
Schwäche und dehnten ihre Schützenlinie bis an die
Mündung des Baches in den Cheyenne aus, von wo aus
sie uns ihre Kugeln von der Flanke her zusenden konntet!.
Einer der schwarzen Soldaten rollte vorn Dach, ein
Cowboy stöhnte auf und drehte sich mit einem Fluch, wie
man ihn nur in: Farwest hört, halb auf die Seite. Eine
Kugel h-atte ihm die Schulter getroffen. Immer zahlreicher
pfiffen uns hier die Geschosse um die Köpfe, immer lauter
und siegesgewisser heulten die Roten ihren Schlachtruf
herüber und fanden gleichgestimmte Antwort von der Vorder-
seite unserer kleinen Feste, wo die Wilden wieder un-
gestümer andrängten und nur durch das mit größter Ruhe
und Besonnenheit geleitete Feuer abgehalten werden konnten,
in Hellen Haufen überzusteigen. Außerdem mußten die
Heuhaufen schließlich zusammenfallen, und die Angreifer
hatten nur die völlige Dunkelheit abzuwarten, um mit
einem von beiden Seiten gleichzeitig ins Werk gesetzten
Sturm bis in unsere Verschanzung zu dringen. Uns blieb
dann nur der Rückzug in das Wohnhaus, das wir freilich
so lange halten konnten, bis wir Hilfe von außen er-
hielten. Aber die Rinder Altdörfers und unsere Pferde dazu
wurden bis dahin eine Beute der Wilden, die sie jedenfalls
in Sicherheit brachten, ehe es den Truppen gelang, zu
unserem Entsatz herbeizueilen. Ein solcher Ausgang der
Affaire schien mir gleichbedeutend mit dem Verlust meiner
militärischen Ehre — aber was thun? Mit schwerem
Herzen ging ich daran, den Rückzug in unser Reduit vor-
zubereiten. Ich rief den Hornisten zu mir und suchte
wieder einen erhöhten Standpunkt zur Ausschau.
„Ich glaube, ich höre Reiterei!" rief da plötzlich der
am Fuße der Leiter wartende Hornist. Er warf sich nieder
und legte das Ohr auf den Boden. Ich sprang hinunter
und that desgleichen. Der Boden dröhnte dumpf unter
dem wohlbekannten Geräusch. Voller Freude sprang ich
empor Das feindliche Feuer auf der Bachseite wurde
ebenfalls plötzlich eingestellt, aber auf der Vorderseite wurde
es desto lebhafter. Ich beorderte alle Schützen nach vorn,
ließ noch einige kräftige Salven abgeben und nun- „Trom-
peter, Signal: 8näälo up!"
Die Schwarzen verließen die Schießscharten und zogen
ihre Gäule aus den Ställen. Das Kopfgeschirr wurde
übergeworfen, die Reiter schwangen sich auf die Stall-
decken. Ich saß ebenfalls schon hoch zu Roß und ließ die
Thüre öffnen, da stand Altdörfer in der Hausthür. „Wo-
hin?" fragte er entsetzt.
„Ein fröhlicher Ausfall — dort kommen unsere Kame-
raden, wir nehmen die Racker in die Mitte. — Vorwärts
— draußen aufgereiht zur Attake!" Ich glaubte noch
Agathe bei ihrem Vater zu erkennen, wie sie die Arme
bittend emporstreckte. Aber schon fühlte mein Gaul die
Sporen — vor den Palisfaden ordnete sich meine kleine
Schar.
Vor uns wimmelte es von Indianern wie in einem
aufgestörten Ameisenhaufen. Im Hintergründe stieg unter
dem rollenden Geräusch wie dumpfer Donnerhall eine
dicht geschlossene Masse empor, aus der man nur Rosse-
füße, 'Menschenköpfe und blitzende Waffen erkannte. Wohl
drängten die Eingeschlossenen gegen die Ufer; aber der
Cheyenne trieb seine blutig schillernden Wasser in statt-
licher Breite blitzschnell vorüber, daß an ein Durchschwim-
men nicht zu denken war, und den Bach erreichten vor-
läufig nur wenige. Die glühenden Aschenhaufen und
Brandsäulen hinderten die Flucht. Schon stürmten wrr
vorwärts.
,,8urru kor Ilnelo 8nm!" brüllten die Schwarzen, die
Klingen in die Luft schwingend, und — „Proost Neujaahr!"
antwortete es von drüben.
Das konnte nur von meinem tapfern Sergeanten
kommen. Ihn zu suchen war zwar keine Zeit, denn jetzt
gerieten wir unter die verzweifelt aufheulenden Indianer
wie der Sturmwind in die wälzende Staubwolke. Nach
allen Seiten stoben sie auseinander und wurden unter die
Hufe getreten. Kaum daß hie und da einer verzweifelt
den Tomahawk gegen den Reiter schwang, um sich durch
einen wuchtigen Säbelhieb in den Schnee werfen zu lassen.
Kein Schuß mehr, nur Klirren und Klatschen der blanken
Waffen, Verzweiflungsgeheul und gellender Siegesruf!
„Das Ganze halt!" Wir hielten mitten in den dichten
Reiterhaufen. Ich ließ den Säbel am Faustriemen fallen
und schüttelte meinem Major die Hand.
„Glückliches Neujahr, Herr Lieutenant!"
„Schön Dank, der Anfang ist gut, Sie kamen zu
rechter Zeit!"
„Als Ihre Raketen aufstiegen, waren wir schon unter-
wegs. Die Scouts (Kundschafter) hatten uns von der
Bewegung der Spitzbuben in Kenntnis gesetzt!"
Die Reihen ordneten sich und zogen in das Gehöft
zum Lagern, eine Anzahl Gefangener mit sich führend.
Um die über den Bach und in die nächtliche Prairie hinaus
geflüchteten Indianer kümmerte sich niemand mehr. Da
erkannte ich meinen Sergeanten, der nach mir suchte. Ich
rief ihn an.
„Grüß Gott, Herr Lieutenant!" tönte die fröhliche
Antwort zurück. „Hier habe ich meine Base!"
Ich reichte dem derben Schwarzwälder Mädchen, die eben-
falls, wenn auch etwas unbequem, im Kavalleriesattel saß,
die Hand. Aus dem dunklen Tuch, das sie um Kopf und
Schultern geschlagen, lachten ihre unternehmend blitzenden
Augen.
„Jetzt nur herein, sonst wird der Punsch kalt!"
Das Haus bekam plötzlich ein ungeahntes Leben. Wie
durch einen Theatercoup war aus den Belagerten eine
fröhliche Festgenossenschaft geworden, die sich immer noch
vermehrte. Der Major, zwei Kapitäne und eine ganze
Schar Lieutenants klirrten im Erdgeschoß umher. Ich
aber benützte die allgemeine Verwirrung, mich hinauszu-
schleichen.
Nach einigem Suchen fand ich Agathe in der Vorrats-
kammer neben der Küche. Sie stand am Tisch und war
beschäftigt, einen Zuckerhut in Stücke zu schlagen.
Auf das leise Geräusch bei meinem Eintritt rief sie,
ohne sich umzuwenden: „Mein Gott, ich fürchte, daö Ge-
bäck wird auch nicht zulangen!"
„Es langt schon, wir teilen nach Recht und Gewissen!"
„O, Sie sind cS -— ich dachte. . ."
„Darauf kommt es jetzt nicht an — geben Sie nur
! das schwere Hackmesser her — Sie könnten sich ver-
! letzen!"
„Nein, nein — das ist meine Arbeit!"
„Denken Sie so gering von meiner Kunstfertigkeit?"
Ich nahm ihr das Instrument aus der Hand.
Einen Augenblick stand sie schweigsam. Ich klopfte
lustig darauf los. „Sehen Sie, wie prachtvoll das geht!"
„Ich glaub's schon, Herr Lieutenant," sagte sie leise,
und dann nach einer Pause ängstlichen Zögerns mit einem
gewissen Nachdruck: „Ich fürchte, ich habe Ihnen viel
abzubitten!"
„Ah — was denn zum Beispiel?"
Trotz meiner überlustigen Miene blieb sie ernst und
senkte den Blick, daß sich die seidenen Wimpern auf die er-
glühenden Wangen legten.
„Sie haben mich heut beschämt — ich weiß nun erst,
was es heißt, ein Militär, der in seinem Beruf so opfer-
freudig . . . und Sie sind sogar verletzt — meiue Mama
hat ein so gutes Hausmittel für Wunden!"
„Bitte, Fräulein, lassen wir jetzt das Medizinische bei-
seite — also, nicht wahr, Sie sind von Ihrer Ansicht
zurückgekommen, daß ein Militär eigentlich nur zum Säbel-
klappern taugt?"
„O, lachen Sie das einfältige Mädchen nicht aus —
ich möchte vor Beschämung . .
„Nichts, gar nichts! Aber Sie bekennen doch, daß
damit nun auch das letzte Hindernis gefallen ist, daö uns
trennte!"
Ich hatte das Zuckerschlagen aufgegeben und stand vor
ihr mit hochklopfendem Herzen, weit mehr erregt, als heut
im tobenden Kampf. Sie trat erschreckt eiuen Schritt
zurück.
„Wie meinen Sie das? — Ich verstehe nicht. . . ."
„Thut nichts, Fräulein Agathe — ich habe einen ge-
wissen Brief, den Sie nach Custer-City an Mistreß
Bakers schrieben . . ."
„Um Gottes willen, wie kommen Sie dazu?"
„Durch einen ganz kleinen Raub!"
„Aber das ist — entsetzlich « . . Sie scherzen . ."
„Keineswegs — ich finde das weiter nicht schlimm.
Soll ich ihn holen? Sie gestanden einer treuen Freundin,
daß Sie mir ein wenig Zuneigung schenken könnten, wenn
ich nur nicht so entsetzlich leichtsinnig in der Handhabung
des Geldes wäre. So bewiese das aber einen gewissen
Mangel an . . ."
„Haben Sie keine Schonung für mich?"
„Ich bin ja Ihr gehorsamster Diener und . . ."
„Nein — nein. . ." Sie blickte angstvoll nach einer
Gelegenheit zur Flucht. Aber ich stand im Ausgang und
war unerbittlich.
„Also nehmen Sie den Beweis vom Gegenteil als
erbracht an. Ihr Widerstand . .
„So seien Sie doch barmherzig — wenn jemand
käme."
„Würde er auch nichts mehr ändern — nur be-
dingungslose Uebergabe."
„Das ist aber. . ."
„Ueberfall — Gewalt und List, wie es eben im Kriege
erlaubt ist. Da gelten alle Mittel bis Friedenöschluß. —
Hier daö Siegel!"
Was wollte das arme Mädchen noch thun!? Sie gab
sich zitternd gefangen und mußte den ersten Kuß dulden.
Dann aber riß sie sich los und schlüpfte unter meinem
Arm durch, denn vom Parlour her dröhnte des Vaters
Stimme: „Agathe, den Zucker!"
Ich nahm in der Verwirrung den ganzen noch unzer-
schlagenen Klotz und stürmte damit ins Zimmer, wo ich
mit schallendem Gelächter empfangen wurde. Doch wurde
er blitzschnell in die Pfanne oder vielmehr in die lieblich
duftende Terrine gehauen, aus der ein bläulich zarter
Opferrauch, von den Göttern gnädig ausgenommen, in die
Höhe wirbelte.
Ich mußte einen Augenblick hinaus, um Luft zu schöpfen
und meine Erregung zu bemustern. Im Hofe brannten
mächtige Feuer umlagert von fröhlich plaudernden Ka-
valleristen, die große Fleischstücke an den Flammen brieten —
Lachen und Singen im Feuerglanz ringsum. Aus den
Ställen brüllte dumpf das Vieh, das heut zu keiner Ruhe
kommen konnte.
Als ich wieder eintrat, saß die ganze Gesellschaft wohl-
geordnet um den langen Tisch, und Altdörfer zog mich
mit wahrhaft väterlicher Jovialität an seine Seite nieder.
Seine Gattin drückte mir nut lachendem Mund und
thränendem Auge die Hand, so daß ich im Zweifel war,
! ob ich das alles auf die Freude, einen so herrlichen
> Schwiegersohn zu bekommen, oder auf warme Dankbarkeit
für den heldenhaften Schutz ihres bedrohten Heims zu
! schreiben hätte. Ich konnte das jetzt nicht feststellen, denn
Agathe schwirrte noch hierhin und dortbm, um die aus-
z wartenden Mägde, zu kommandireu. Da kam sie selbst
und drückte mir mit vielsagendem Leuchten des Auges ein
gefülltes Glas in die Hand. Im selben Augenblicke
Zllustrirte Welt.
vornehmen zu dürfen. Ein Haufen Wilder tauchte plötzlich
aus dem Hintergrund auf und warf sich auf den flam-
menden Heukegel, um ihn auseinanderzureißen und uns
das ihnen so unbequeme Ächt auszulöschen. Aber ne
kamen uns wieder in die rechte Schußlinie und flohen
sogleich wieder, eine Anzahl der Ihrigen im Schnee zurück-
lassend. Um ihnen das Unnütze ihres Vorhabens recht
klar zu machen, ließ ich noch eine Heumiete in Brand
schießen, und unter dem wilden Triumphgeschrei der Neger-
soldaten ging eine zweite Sonne über dem farbenglühenden
Schlachtfeld auf. Hier wurde der Ansturm also vorläufig
hübsch niedergehalten. Ich gewann Zeit, mich anderweitig
umzuschauen. Ich ließ noch einige Raketen in die Höhe,
und benachrichtigte damit die nächste Militärstation, daß die
Indianer trotz ihrer friedlichen Versicherungen wieder voll-
ständig auf dem Kriegspfade waren. Eben warf ich von
dein Auftritt aus einen letzten Blick über das Schlachtfeld,
da geriet ich zu nahe an die Flugbahn einer Jndianerkugel,
die mir unter dem Schnurrbart die linke Wange streifte.
Es war mehr die Hitze des Geschosses als die mitgenommene
Haut, die mich den brennenden Schmerz fühlen ließ; aber
das Blut rann mir in den Rockkragen, und ich mußte ins
Haus, um die Sache zu untersuchen und ein Tuch aufzulegen.
In der Küche liefen Frauen und Kinder jammernd
durcheinander. Ich wollte an den Wasserkübel, da stieß
die mir entgegentretende Agathe einen verzweifelten Schrei
aus.
„Um Gott — Sie sind getroffen — das Blut . . ."
„Nur sehr mäßig, mein Fräulein!" beruhigte ich.
„Kathi, ruf doch den Vater — hier, nehmen Sie Platz,
ich hol' warm' Wasser ..."
„Alles nicht nötig, mein Fräulein —ein wenig Essig
auf einen Lappen und einen Streifen Heftpflaster, das
genügt!"
Wieder ein Durcheinanderhasten und Rufen bis Alt-
dörfer erschien, braunrot vor Kampfeshitze, und sich wieder
entfernte, als er die Bedeutungslosigkeit der Wunde er-
kannt. Ich war nun außerordentlich zufrieden, daß Agathe
selbst es übernahm, meinen Hals mit weichem Schwamm
zu säubern, das Essigtuch sanft unter den Schnurrbart
hielt, bis sich die Adern zusammengezogen. Biß die scharfe
Flüssigkeit auch abscheulich, so litt ich es gern um der
glatten, weichen Finger willen, die wie liebkosend über
meine Wange strichen, bis der Pflasterstreifen die kleine
Kompresse hielt.
„Viel tausend Dank, gute Samariterin — ich wünschte,
ich hätte Zeit, mich noch länger von Ihnen behandeln zu
lassen — aber da trompetet es Achtung . . ."
„Sie wollen schon wieder hinaus, aber wem: . .
„Selbstredend, ich muß doch sehen, was die Spitzbuben
draußen treiben . . ."
„Sie werden doch nicht einbrechen, Herr Lieutenant?"
„Keine Idee — fürchten Sie nichts und lassen Sie
den Punsch nicht kalt werden!"
„O — noch zu scherzen, und draußen kracht es. . ."
„Lebhaftes Neujahrsschießen — nimmt bald eine andere
Wendung!"
Ich eilte hinaus und warf ihr noch einen Blick über
die Schulter zu, wenn mir auch bei der Halswendung
die wunde Haut schmerzhaft zusammengerissen wurde. Ich
ging am Parlour vorbei — da stand Scholler mit seineil
Buben an den Fensterlöchern. Er selbst fest und breit-
beinig, wie der echte Protzenbauer auf dem Bundesschießen,
und legte den Kopf schief über den Gewehrlauf, den er
aus dem Loch im Fensterladen streckte, wo vor acht Tagen
das Licht des Ehristbaums hinausgestrahlt in die einsame
Prairie.
Kaum trat ich ins Freie hinaus, da brachte man mir
eine Meldung, die mich veranlaßte, auf das Dach des
langen Viehstalles zu steigen, wo ich die eine Hälfte meiner
Mannschaft postirt. Jenseits des Baches kam eine schein-
bar endlose Reihe dunkler Gestalten durch den Schnee
gekrochen. Als sie sich anschickten den halb zugefrorenen
Bach zu überschreiten und deshalb zu dichter Gruppe zu-
sammentraten, kommandirte ich: „Volley!" (Salve.)
Einige stürzten, andere sprangen zurück unter Deckung,
und von ihren nun herzulaufenden Gefährten unterstützt,
eröffneten sie ein recht lebhaftes Feuer.
Meine Schützen, die hinter dem Dachfirst auf dem
Bauch lagen, waren auf dieser langen Front leider nicht
zahlreich genug, um die stetig sich vermehrenden Wilden
vom Überschreiten des Baches abzuhalten.
Nur der kleine Fluß bildete noch ein Hindernis, der
uns gestattete, die Kühnsten hinwegzublasen, ehe sie. unter
den Schutz der Hecken am diesseitigen Ufer gelangten.
Sie erkannten aber deutlich genug ihren Vorteil und unsere
Schwäche und dehnten ihre Schützenlinie bis an die
Mündung des Baches in den Cheyenne aus, von wo aus
sie uns ihre Kugeln von der Flanke her zusenden konntet!.
Einer der schwarzen Soldaten rollte vorn Dach, ein
Cowboy stöhnte auf und drehte sich mit einem Fluch, wie
man ihn nur in: Farwest hört, halb auf die Seite. Eine
Kugel h-atte ihm die Schulter getroffen. Immer zahlreicher
pfiffen uns hier die Geschosse um die Köpfe, immer lauter
und siegesgewisser heulten die Roten ihren Schlachtruf
herüber und fanden gleichgestimmte Antwort von der Vorder-
seite unserer kleinen Feste, wo die Wilden wieder un-
gestümer andrängten und nur durch das mit größter Ruhe
und Besonnenheit geleitete Feuer abgehalten werden konnten,
in Hellen Haufen überzusteigen. Außerdem mußten die
Heuhaufen schließlich zusammenfallen, und die Angreifer
hatten nur die völlige Dunkelheit abzuwarten, um mit
einem von beiden Seiten gleichzeitig ins Werk gesetzten
Sturm bis in unsere Verschanzung zu dringen. Uns blieb
dann nur der Rückzug in das Wohnhaus, das wir freilich
so lange halten konnten, bis wir Hilfe von außen er-
hielten. Aber die Rinder Altdörfers und unsere Pferde dazu
wurden bis dahin eine Beute der Wilden, die sie jedenfalls
in Sicherheit brachten, ehe es den Truppen gelang, zu
unserem Entsatz herbeizueilen. Ein solcher Ausgang der
Affaire schien mir gleichbedeutend mit dem Verlust meiner
militärischen Ehre — aber was thun? Mit schwerem
Herzen ging ich daran, den Rückzug in unser Reduit vor-
zubereiten. Ich rief den Hornisten zu mir und suchte
wieder einen erhöhten Standpunkt zur Ausschau.
„Ich glaube, ich höre Reiterei!" rief da plötzlich der
am Fuße der Leiter wartende Hornist. Er warf sich nieder
und legte das Ohr auf den Boden. Ich sprang hinunter
und that desgleichen. Der Boden dröhnte dumpf unter
dem wohlbekannten Geräusch. Voller Freude sprang ich
empor Das feindliche Feuer auf der Bachseite wurde
ebenfalls plötzlich eingestellt, aber auf der Vorderseite wurde
es desto lebhafter. Ich beorderte alle Schützen nach vorn,
ließ noch einige kräftige Salven abgeben und nun- „Trom-
peter, Signal: 8näälo up!"
Die Schwarzen verließen die Schießscharten und zogen
ihre Gäule aus den Ställen. Das Kopfgeschirr wurde
übergeworfen, die Reiter schwangen sich auf die Stall-
decken. Ich saß ebenfalls schon hoch zu Roß und ließ die
Thüre öffnen, da stand Altdörfer in der Hausthür. „Wo-
hin?" fragte er entsetzt.
„Ein fröhlicher Ausfall — dort kommen unsere Kame-
raden, wir nehmen die Racker in die Mitte. — Vorwärts
— draußen aufgereiht zur Attake!" Ich glaubte noch
Agathe bei ihrem Vater zu erkennen, wie sie die Arme
bittend emporstreckte. Aber schon fühlte mein Gaul die
Sporen — vor den Palisfaden ordnete sich meine kleine
Schar.
Vor uns wimmelte es von Indianern wie in einem
aufgestörten Ameisenhaufen. Im Hintergründe stieg unter
dem rollenden Geräusch wie dumpfer Donnerhall eine
dicht geschlossene Masse empor, aus der man nur Rosse-
füße, 'Menschenköpfe und blitzende Waffen erkannte. Wohl
drängten die Eingeschlossenen gegen die Ufer; aber der
Cheyenne trieb seine blutig schillernden Wasser in statt-
licher Breite blitzschnell vorüber, daß an ein Durchschwim-
men nicht zu denken war, und den Bach erreichten vor-
läufig nur wenige. Die glühenden Aschenhaufen und
Brandsäulen hinderten die Flucht. Schon stürmten wrr
vorwärts.
,,8urru kor Ilnelo 8nm!" brüllten die Schwarzen, die
Klingen in die Luft schwingend, und — „Proost Neujaahr!"
antwortete es von drüben.
Das konnte nur von meinem tapfern Sergeanten
kommen. Ihn zu suchen war zwar keine Zeit, denn jetzt
gerieten wir unter die verzweifelt aufheulenden Indianer
wie der Sturmwind in die wälzende Staubwolke. Nach
allen Seiten stoben sie auseinander und wurden unter die
Hufe getreten. Kaum daß hie und da einer verzweifelt
den Tomahawk gegen den Reiter schwang, um sich durch
einen wuchtigen Säbelhieb in den Schnee werfen zu lassen.
Kein Schuß mehr, nur Klirren und Klatschen der blanken
Waffen, Verzweiflungsgeheul und gellender Siegesruf!
„Das Ganze halt!" Wir hielten mitten in den dichten
Reiterhaufen. Ich ließ den Säbel am Faustriemen fallen
und schüttelte meinem Major die Hand.
„Glückliches Neujahr, Herr Lieutenant!"
„Schön Dank, der Anfang ist gut, Sie kamen zu
rechter Zeit!"
„Als Ihre Raketen aufstiegen, waren wir schon unter-
wegs. Die Scouts (Kundschafter) hatten uns von der
Bewegung der Spitzbuben in Kenntnis gesetzt!"
Die Reihen ordneten sich und zogen in das Gehöft
zum Lagern, eine Anzahl Gefangener mit sich führend.
Um die über den Bach und in die nächtliche Prairie hinaus
geflüchteten Indianer kümmerte sich niemand mehr. Da
erkannte ich meinen Sergeanten, der nach mir suchte. Ich
rief ihn an.
„Grüß Gott, Herr Lieutenant!" tönte die fröhliche
Antwort zurück. „Hier habe ich meine Base!"
Ich reichte dem derben Schwarzwälder Mädchen, die eben-
falls, wenn auch etwas unbequem, im Kavalleriesattel saß,
die Hand. Aus dem dunklen Tuch, das sie um Kopf und
Schultern geschlagen, lachten ihre unternehmend blitzenden
Augen.
„Jetzt nur herein, sonst wird der Punsch kalt!"
Das Haus bekam plötzlich ein ungeahntes Leben. Wie
durch einen Theatercoup war aus den Belagerten eine
fröhliche Festgenossenschaft geworden, die sich immer noch
vermehrte. Der Major, zwei Kapitäne und eine ganze
Schar Lieutenants klirrten im Erdgeschoß umher. Ich
aber benützte die allgemeine Verwirrung, mich hinauszu-
schleichen.
Nach einigem Suchen fand ich Agathe in der Vorrats-
kammer neben der Küche. Sie stand am Tisch und war
beschäftigt, einen Zuckerhut in Stücke zu schlagen.
Auf das leise Geräusch bei meinem Eintritt rief sie,
ohne sich umzuwenden: „Mein Gott, ich fürchte, daö Ge-
bäck wird auch nicht zulangen!"
„Es langt schon, wir teilen nach Recht und Gewissen!"
„O, Sie sind cS -— ich dachte. . ."
„Darauf kommt es jetzt nicht an — geben Sie nur
! das schwere Hackmesser her — Sie könnten sich ver-
! letzen!"
„Nein, nein — das ist meine Arbeit!"
„Denken Sie so gering von meiner Kunstfertigkeit?"
Ich nahm ihr das Instrument aus der Hand.
Einen Augenblick stand sie schweigsam. Ich klopfte
lustig darauf los. „Sehen Sie, wie prachtvoll das geht!"
„Ich glaub's schon, Herr Lieutenant," sagte sie leise,
und dann nach einer Pause ängstlichen Zögerns mit einem
gewissen Nachdruck: „Ich fürchte, ich habe Ihnen viel
abzubitten!"
„Ah — was denn zum Beispiel?"
Trotz meiner überlustigen Miene blieb sie ernst und
senkte den Blick, daß sich die seidenen Wimpern auf die er-
glühenden Wangen legten.
„Sie haben mich heut beschämt — ich weiß nun erst,
was es heißt, ein Militär, der in seinem Beruf so opfer-
freudig . . . und Sie sind sogar verletzt — meiue Mama
hat ein so gutes Hausmittel für Wunden!"
„Bitte, Fräulein, lassen wir jetzt das Medizinische bei-
seite — also, nicht wahr, Sie sind von Ihrer Ansicht
zurückgekommen, daß ein Militär eigentlich nur zum Säbel-
klappern taugt?"
„O, lachen Sie das einfältige Mädchen nicht aus —
ich möchte vor Beschämung . .
„Nichts, gar nichts! Aber Sie bekennen doch, daß
damit nun auch das letzte Hindernis gefallen ist, daö uns
trennte!"
Ich hatte das Zuckerschlagen aufgegeben und stand vor
ihr mit hochklopfendem Herzen, weit mehr erregt, als heut
im tobenden Kampf. Sie trat erschreckt eiuen Schritt
zurück.
„Wie meinen Sie das? — Ich verstehe nicht. . . ."
„Thut nichts, Fräulein Agathe — ich habe einen ge-
wissen Brief, den Sie nach Custer-City an Mistreß
Bakers schrieben . . ."
„Um Gottes willen, wie kommen Sie dazu?"
„Durch einen ganz kleinen Raub!"
„Aber das ist — entsetzlich « . . Sie scherzen . ."
„Keineswegs — ich finde das weiter nicht schlimm.
Soll ich ihn holen? Sie gestanden einer treuen Freundin,
daß Sie mir ein wenig Zuneigung schenken könnten, wenn
ich nur nicht so entsetzlich leichtsinnig in der Handhabung
des Geldes wäre. So bewiese das aber einen gewissen
Mangel an . . ."
„Haben Sie keine Schonung für mich?"
„Ich bin ja Ihr gehorsamster Diener und . . ."
„Nein — nein. . ." Sie blickte angstvoll nach einer
Gelegenheit zur Flucht. Aber ich stand im Ausgang und
war unerbittlich.
„Also nehmen Sie den Beweis vom Gegenteil als
erbracht an. Ihr Widerstand . .
„So seien Sie doch barmherzig — wenn jemand
käme."
„Würde er auch nichts mehr ändern — nur be-
dingungslose Uebergabe."
„Das ist aber. . ."
„Ueberfall — Gewalt und List, wie es eben im Kriege
erlaubt ist. Da gelten alle Mittel bis Friedenöschluß. —
Hier daö Siegel!"
Was wollte das arme Mädchen noch thun!? Sie gab
sich zitternd gefangen und mußte den ersten Kuß dulden.
Dann aber riß sie sich los und schlüpfte unter meinem
Arm durch, denn vom Parlour her dröhnte des Vaters
Stimme: „Agathe, den Zucker!"
Ich nahm in der Verwirrung den ganzen noch unzer-
schlagenen Klotz und stürmte damit ins Zimmer, wo ich
mit schallendem Gelächter empfangen wurde. Doch wurde
er blitzschnell in die Pfanne oder vielmehr in die lieblich
duftende Terrine gehauen, aus der ein bläulich zarter
Opferrauch, von den Göttern gnädig ausgenommen, in die
Höhe wirbelte.
Ich mußte einen Augenblick hinaus, um Luft zu schöpfen
und meine Erregung zu bemustern. Im Hofe brannten
mächtige Feuer umlagert von fröhlich plaudernden Ka-
valleristen, die große Fleischstücke an den Flammen brieten —
Lachen und Singen im Feuerglanz ringsum. Aus den
Ställen brüllte dumpf das Vieh, das heut zu keiner Ruhe
kommen konnte.
Als ich wieder eintrat, saß die ganze Gesellschaft wohl-
geordnet um den langen Tisch, und Altdörfer zog mich
mit wahrhaft väterlicher Jovialität an seine Seite nieder.
Seine Gattin drückte mir nut lachendem Mund und
thränendem Auge die Hand, so daß ich im Zweifel war,
! ob ich das alles auf die Freude, einen so herrlichen
> Schwiegersohn zu bekommen, oder auf warme Dankbarkeit
für den heldenhaften Schutz ihres bedrohten Heims zu
! schreiben hätte. Ich konnte das jetzt nicht feststellen, denn
Agathe schwirrte noch hierhin und dortbm, um die aus-
z wartenden Mägde, zu kommandireu. Da kam sie selbst
und drückte mir mit vielsagendem Leuchten des Auges ein
gefülltes Glas in die Hand. Im selben Augenblicke