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Jilustrirte Melt.
„Heute muß die Witwe reden!" brummte er. „Sonst ver-
säumen wir die schönsten Jahre! Reif werden soll wohl eine
Frucht, aber nicht zusammenschrumpfen wie eine dürre Pflaume!"
Und er lauerte der Witwe hinter dem Kapuzinerkloster auf,
wo der Weg zu ihrer Besitzung vorbeiführte, und richtig kam
sie bald aus der Au heraus, ihre Tochter Jnesilla an der Seite.
Mutter und Tochter schienen beide sehr wohlgelaunt. Joso
trat ihnen grüßend entgegen, zog eine schöne, rotbackige Granat-
frucht aus der Tasche seiner Jacke, präsentirte sie der Witwe und
fragte mit einem bedeutungsvollen, halb ernsten, halb flehenden
Lächeln: „Ist sie reif, Pepa Vargas?"
Die Pepa lachte mit allen zweiunddreißig Zähnen, warf der
Jnesilla einen schlauen Blick zu, ward dann ernst und betrachtete
die Frucht aufmerksam von allen Seiten. Dann sagte sie: „Der
Granatapfel ist reif — so reif, als er nur sein kann, Jose —
und Ihr könnt ihn getrost verzehren — er wird Euch erfrischen
und erquicken!"
„Ach was, Granatapfel!" rief jetzt Jose ungeduldig. „Ihr
wißt wohl, daß ich nicht den Granatapfel meine, Frau Vargas!
Aber die Liebe — mein Antrag — unsere Heirat?!"
Pepa Vargas seufzte. „Ja, daraus wird nun wohl nichts
werden können, Nachbar, denn da schaut nur, wer uns aus der
Au hier nachgefahren kommt — der junge, reiche Pedro, unser
Nachbar zur Linken. Der hat soeben auf dem Auwege um meine
Jnesilla angehalten — die zwei lieben einander — was konnte
ich anders, als ,JW sagen? Und ich ziehe zu ihnen, 's ist
immer lächerlich, wenn eine Mutter zugleich mit ihrer großen
Tochter Hochzeit hält. Ich danke Euch also für Euren Antrag,
der sehr schmeichelhaft ist, und wir bleiben sonst gute Freunde.
Und verzehrt Euren Granatapfel mit Gesundheit!"
Damit gingen die beiden weiter und Joso starrte ihnen ver-
blüfft nach. Dann warf er den Granatapfel in die Pfütze und
rief zornig: „Ich wußte es ja, wir haben die Lieb' — eh, ich
wollte sagen die Granate — zu lange am Baume hängen lassen!"
E. M. V.
Aktes Hold.
Wer auf Kredit verkauft, der hat guten Vertrieb, aber sein
Gut geht in Stich.
Wenn man Frieden beschließet, soll man einen Riegel an
das Thor machen.
Wie sich der Mann wehrt,
So wird er geehrt.
Die MarmeMmlenüe in, Riet.
(Bild S. 388.)
Die eigenartig schöne Scenerie des Kieler Hafens hat in den
letzten Jahren einen neuen Schmuck erhalten: die im Frühjahr
1888 fertig gestellte kaiserliche Marine-Akademie und -Schule.
Majestätisch hebt sich der rote, in gefälligem Stil und edlen
Verhältnissen errichtete Backsteinbau von dem dunklen Hinter-
gründe des Tüsternbrooker Gehölzes ab, im Vordergründe um-
säumt von dem frischen Grün eines Lustgartens, in welchen
eine Terrasse weit ausspringt. Ein Bild des kräftigen Wachsens
und Werdens unserer jungen Flotte, blickt das stolze Haus über
die grüne Flut, und es mag wohl symbolisch aufgefaßt werden,
daß den weiten Rund der genannten Terrasse die Gallionsbilder
unserer alten herrlichen Kriegsschiffe „Hertha", „Vineta",
„Gefion" und so weiter, der Veteraninnen unserer Marine, um-
stehen. Nur in der ernsten Arbeit derer, die auf ihnen einst die
Ozeane befuhren, konnte der taugliche Grund gefunden werden,
auf welchem die heutige, achtunggebietende Seemacht aufgebaut
wurde.
Mitten unter den alten, ehrwürdigen Gestalten haben vor
wenigen Tagen die Buschiri-Geschütze, die jüngsten Trophäen unserer
Blaujacken, Aufstellung gefunden.
Wie schon der zweiteilige Name andeutet, ist der Zweck der
geschilderten Bildungsanstalt ein mehrfacher. Verfolgen wir die
Laufbahn eines deutschen Seeoffiziers, so sehen wir ihn in drei
verschiedenen Altersstufen als Schüler derselben.
Nachdem die Eintrittsprüfung, welche im April eines jeden
Jahres stattfindet, bestanden — nur Abiturienten sind von der-
selben befreit — werden die jungen Offiziersaspiranten zu Ka-
detten mit dem Range des Gemeinen ernannt und als solche an
Bord des Schulschiffes „Niobe" eingeschifft.
Eine halbjährige Reise in der Ost- und Nordsee, während
welcher Häfen von Schweden, Norwegen und England angelaufen
werden, gibt den Zöglingen die ersten Anschauungen ihres künftigen
Berufes und läßt das Offizierscorps des Schiffes erkennen, welche
von ihnen zum Seedienst geeignet sind. Nachdem im Herbst die
Ungeeigneten entlassen sind, werden die übrigen zum Besuch der
Marine-Schule kommandirt, um hier in einem sechsmonatlichen
Kursus durch Offiziere und Zivillehrer theoretisch für ihren
nächsten Dienst, den der Seekadetten, vorbereitet zu werden. Das
oberste Stockwerk des gewaltigen Baues enthält die Wohn- und
Schlafräume der jungen Schar, der Mittelstock die Lehrsäle, die
reichhaltigen Modellsammlungen, sowie die Aula, deren hohe
Bogenfenster auf den Hafen blicken. Im untersten Stockwerk
befinden sich die Speisezimmer sowie die „Messe", der gemein-
same Gesellschaftsraum. Schließlich ist durch geeignete Turn-
und Fechträume dafür gesorgt, daß neben der geistigen Aus-
bildung auch die Kräftigung des Körpers nicht vernachlässigt
werde.
Ein Examen im Frühling des folgenden Jahres schließt diese
Schulzeit ab, worauf die jungen Leute zu Seekadetten (mit dem
Range der Portepeefähnriche) ernannt und auf die Panzerschiffe
des Schulgeschwaders verteilt werden. Letzteres verbringt den
Sommer in der Ost- und Nordsee und beteiligt sich an den
großen Herbstmanövern der Flotte. Im Winter unternimmt es
in der Regel eine Reise ins Mittelmeer. Während dieser Zeit
haben sich die Seekadetlen hauptsächlich die praktischen Fähigkeiten
eines Seeoffiziers anzueignen, doch geht auch hier theoretischer
Unterricht Hand in Hand mit den: praktischen Dienst.
Nach zweijähriger Fahrt als Seekadetten erfolgt nun nach
Absolvirung der ersten Offiziersprüfung die Ernennung zu Unter-
lieutenants zur See und, nachdem als solche eine halbjährige
Reise auf dem Manövergeschwader vollendet, eine abermalige
Kommandirung zur Marine-Schule. Dieser zweite Besuch dauert
elf Monate und schließt mit der Seeoffiziers-Berufsprüfung. Die
Offiziersschüler wohnen nicht im Schulgebäude, doch ist für sie
wie auch für die Besucher der Marine-Akademie eine Speiseanstalt
in demselben eingerichtet-
Zum Besuch der Akademie endlich können auf Antrag ältere
Lieutenants zur See beziehungsweise jüngere Kapitänlieutenants
kommandirt werden. Es soll denselben hiedurch Gelegenheit ge-
boten werden, sich durch allseitige Erweiterung und Vertiefung
ihres Wissens für die höhere Laufbahn vorzubereiten.
Die Leitung der vereinigten Marine-Akademie und -Schule
ruht in den Händen eines aktiven Admirals, welcher zugleich
Vorstand des gesamten Bildungswesens der Marine ist.
Fritz Petermann.
Unter dem weißen Adler.
Roman
von
Hregor Samarorv.
Achtzehntes Kapitel.
Die nordische Srmiranns.
chnell riß Sophia das Tuch ab.
Einen Augenblick stand sie geblendet von
dem Hellen Licht, das ihr entgegenstrahlte,
dann stieß sie einen Schrei des Schreckens aus und
taumelte einige Schritte zurück.
Sie erkannte das Kabinet der Kaiserin in der Ere-
mitage zu St. Petersburg und sah Katharina selbst in
einem Lehnsessel neben ihrem mit Büchern und Papieren
bedeckten Tisch vor sich sitzen.
„Hier bin ich?" stammelte Sophia. „Eure Majestät,
was haben Sie mit mir vor, wessen hat man mich an-
geklagt?"
Die Kaiserin winkte entlassend dem Wächter der Ge-
fangenen, der sich sogleich in streng militärischer Haltung
zurückzog. Dann sagte sie lächelnd:
„Wenn die schöne und geistvolle Sophia de Witt, der
ich stets mein besonderes Wohlwollen bewiesen habe, so
lange meinem Hof fern bleibt, wenn sie unter dem Vor-
wand eines Besuchs in Konstantinopel sich in Warschau
aufhält, wenn sie sogar in Mohilew sich vor mir verbirgt,
statt den Damenkreis meines-Hofs zu verschönern, so muß
ich wohl zu außerordentlichen Mitteln greifen, um sie zu
mir zu führen und mir das Vergnügen einer Unterhaltung
mit ihr zu verschaffen."
Sophia hatte sich von ihrem ersten Schrecken erholt,
die wenigen Worte der Kaiserin hatten ihr Zeit gelassen,
ihre Gedanken zu sammeln, und wenn sie auch den Grund
ihrer gewaltsamen Entführung noch nicht klar durchschaute,
so kannte sie doch den Gegner, dem sie gegenüberstand,
und das gab ihr ihre Ruhe und Schlagfertigkeit wieder.
„Ich bitte meine allergnädigste Kaiserin um Ver-
zeihung," sagte sie mit der natürlichsten Miene der Be-
fangenheit und Verwirrung, „daß ich es gewagt habe,
mich heimlich dem Kreise Ihrer Gegenwart zu entziehen,
in dem mir stets Ihre Gnade zu teil wurde, aber gerade
diese Gnade, die mich so stolz und so glücklich machte, ließ
mich fürchten, daß Eure Majestät mir nicht erlauben
würden, fortzugehen, und doch mußte ich fort, was also
blieb mir übrig, als heimlich zu verschwinden?"
„Sie mußten fort?" fragte Katharina. „Und warum?"
„Eure Majestät wissen alles," erwiderte Sophia, „so
müssen Sie denn auch wissen, daß — der Fürst Potemkin —"
„Sie liebt," fiel die Kaiserin ein, „das weiß ich und
ich finde das natürlich; sind Sie nicht gemacht, um alle
Herzen zu erobern? Und es schien mir doch, als ob jene
Liebe nicht unerwidert geblieben sei."
„Ich glaubte sie erwidern zu können, ich war über-
rascht, geblendet, aber bald sah ich, daß ich mich getäuscht
hatte, daß ich Potemkin dennoch nicht lieben konnte."
„Solche Gewißheit erlangt man nur, wenn man einen
andern liebt, und Sie liebten Felix Potocky."
„Ich sagte schon, daß Eure Majestät allwissend seien,"
erwiderte Sophia mit vortrefflich gespielter Verwirrung.
„Es gehört eben keine große Allwissenheit dazu,"
sagte Katharina mit leichter Ironie, „um zu wissen, daß
Sie Potocky liebten, wenn'Sie in der Livree seines Pagen
ihm auf Reisen folgten."
„Wie Eure Majestät das entdeckt haben," rief Sophia
in vollkommen natürlicher Aufwallung, „bleibt mir den-
noch durchaus unbegreiflich! Das ganze Gefolge wußte
nichts davon, ein einziger Diener kannte das Geheimnis
und den hielt ich für treu und ergeben, er hat mich also
dennoch verraten!"
„Klagen Sie keinen Unschuldigen an! Ich bedurfte
keines Verrats, um Ihr Geheimnis zu entdecken, da Sie
die Unvorsichtigkeit begingen, sich mir selbst öffentlich in
Potockys Gefolge zu zeigen."
„Potemkin selbst hat mich nicht erkannt," rief Sophia
in höchstem Erstaunen, „und Eure Majestät —"
„Sie sollten es wissen," erwiderte Katharina, „daß
wir Frauen schärfer sehen als die Männer, welche sich so
scharfsichtig dünken; ich habe Sie auf den ersten Blick er-
kannt, und Ihr Anblick ließ den Wunsch, mich mit Ihnen
zu unterhalten, so lebhaft werden, daß ich es mir nicht
versagen konnte, Sie, selbst gegen Ihren Willen, zu mir
zu führen."
„Und Potemkin?" fragte Sophia zögernd.
„Sie stehen unter meinem Schutz," erwiderte Katharina
stolz; „der Fürst muß sich damit zufrieden geben, daß es
auch für ihn unerreichbare Dinge gibt."
„O meine gnädigste Kaiserin," rief Sophia, „so wollen
Sie mich in der That schützen?"
„Vor Potemkin gewiß," erwiderte Katharina; „vor
aller Welt," fügte sie ernst hinzu, „wenn Sie meinen
Schutz annehmen, wenn Sie meine Freundin sein wollen."
„Ob ich es will?" rief Sophia. „Können Eure
Majestät zweifeln —"
„Ich biete selten meine Freundschaft an," sagte die
Kaiserin; „wenn ich es thue, so meine ich es ernsthaft und
ehrlich, und da ich den Wert meiner Freundschaft nicht
unterschätze, so knüpfe ich dieselbe an Bedingungen."
Sophia erbleichte.
Es lag etwas in dem Blick und der Stimme der
Kaiserin, das ihr eine unbestimmte Furcht einflößte, aber
sie hielt das Lächeln auf ihren Lippen fest und sagte:
„Bedingungen ? Eure Majestät haben nur zu befehlen."
„Ich befehle denen, die mir gleichgiltig sind," erwiderte
Katharina, „oder meinen Feinden; die Bedingungen meiner
Freundschaft müssen von freiem Willen angenommen und
ohne Zwang treu gehalten werden. An Ihnen ist es, sich
zu entschließen, ob Sie unter meinen Bedingungen meine
Freundin sein oder als meine Feindin meine Befehle er-
warten wollen."
„Ich Ihre Feindin, Majestät?" sagte Sophia lächelnd,
mit leicht zitternder Stimme. „Wie wäre das möglich?"
„Wenn zwei Frauen von Geist, Willen und Mut,
wie Sie und ich," erwiderte die Kaiserin, „Freundinnen
sein und bleiben wollen, so ist es notwendig, daß sie in
rückhaltsloser Aufrichtigkeit miteinander sprechen, denn die
einzige Grundlage, auf der die Freundschaft erwachsen und
bestehen kann, ist die Wahrheit. Setzen Sie sich also zu
mir und hören Sie."
Sie deutete auf einen Sessel an ihrer Seite.
Sophia setzte sich nieder und erwartete, indem sie die
Augen niederschlug, um ihre ungeduldige Spannung zu
verbergen, die Fortsetzung des Gesprächs, das, wie sie
fühlte, jetzt seine eigentliche Bedeutung gewinnen mußte.
„Aufrichtig also," sagte Katharina, „Sie fragen mich,
ob ich es für möglich hielte, daß Sie jemals meine Feindin
werden könnten? Ich muß das wohl für möglich halten,
da Sie es bereits geworden sind, und zwar eine ernste
und gefährliche Feindin, wie es sich bei einer Frau wie
Sie von selbst versteht, eine Feindin, gegen die ich alle
meine Macht aufbieten muß. wenn es mir nicht gelingt,
was ich aufrichtig wünsche, Sie in eine Freundin zu ver-
wandeln."
„Eure Majestät erschrecken mich."
„Dessen bin ich gewiß; jedermann erschrickt, sobald
eine fremde Hand ein Geheimnis berührt, das man in den
Tiefen der Brust verborgen glaubte."
„Ich höre von Eurer Majestät, daß man mich ver-
leumdet haben mag."
„Nicht doch," sagte die Kaiserin kopfschüttelnd, „nie-
mand wäre scharfsinnig genug, Sie zu durchschauen, das
Geheimnis einer Frau wie Sie kann nur von einer andern
Frau entdeckt werden, von einer Frau, die Ihnen gleich
ist, und ich habe das Selbstgefühl, eine solche Frau zu
sein. Nun denn," fuhr sie fort, während Sophia atem-
los lauschte, „Sie lieben Felix Potocky, weil Sie an seiner
Seite Königin von Polen werden wollen."
Sophia zuckte zusammen, als ob sich plötzlich eine
Schlange drohend vor ihr emporringelte.
Sie sah die Kaiserin starr an, aber sie fand keine
Worte, als sie so plötzlich das tiefste Geheimnis ihrer
Seele von fremden Lippen aussprechen hörte.
„Ich finde das natürlich," fuhr die Kaiserin rrrhig
fort; „es ist das Ziel eines großen Ehrgeizes, und Felix
Potocky ist der Mann, der dieses Ziel erreichen könnte,
geleitet durch eine Frau wie Sie, wenn," fügte sie mit
stolzem Lächeln hinzu, „ich nicht da wäre! Ich aber werde
niemals von einer andern Hand die Frucht brechen lassen,
nach der ich die meine ausstrecke, vor allem dann nicht,
wenn diese Frucht eine Krone ist."
„Und deshalb," rief Sophia jetzt wirklich entsetzt,
„haben Eure Majestät mich von Potocky getrennt und
mich hieher bringen lassen, um —"
„Um uns zu verständigen," siel die Kaiserin ein. „Ich
will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich Sie fürchte, denn
Sie allein konnten Potocky gefährlich machen und er allein
war der Mann, der gefährlich Werder: konnte. Jene
idealistischen Patrioten in Polen werden mir niemals ge-
fährlich sein, denn sie werden stets von dem Volke selbst
verlassen sein; aber Potocky, der alle List, alle Verschlagen-
heit, alle Eigenschaften der großen Mehrzahl des polnischen
! Adels in sich vereinigt, er war der Mann, der mir ein
! ernster Gegner werden konnte, wenn eine Frau ihm den
! Mut, den Willen und die Beharrlichkeit einflößt, welche
! ihn: fehlen und welche selten ein Mann besitzt. Wenn
Jilustrirte Melt.
„Heute muß die Witwe reden!" brummte er. „Sonst ver-
säumen wir die schönsten Jahre! Reif werden soll wohl eine
Frucht, aber nicht zusammenschrumpfen wie eine dürre Pflaume!"
Und er lauerte der Witwe hinter dem Kapuzinerkloster auf,
wo der Weg zu ihrer Besitzung vorbeiführte, und richtig kam
sie bald aus der Au heraus, ihre Tochter Jnesilla an der Seite.
Mutter und Tochter schienen beide sehr wohlgelaunt. Joso
trat ihnen grüßend entgegen, zog eine schöne, rotbackige Granat-
frucht aus der Tasche seiner Jacke, präsentirte sie der Witwe und
fragte mit einem bedeutungsvollen, halb ernsten, halb flehenden
Lächeln: „Ist sie reif, Pepa Vargas?"
Die Pepa lachte mit allen zweiunddreißig Zähnen, warf der
Jnesilla einen schlauen Blick zu, ward dann ernst und betrachtete
die Frucht aufmerksam von allen Seiten. Dann sagte sie: „Der
Granatapfel ist reif — so reif, als er nur sein kann, Jose —
und Ihr könnt ihn getrost verzehren — er wird Euch erfrischen
und erquicken!"
„Ach was, Granatapfel!" rief jetzt Jose ungeduldig. „Ihr
wißt wohl, daß ich nicht den Granatapfel meine, Frau Vargas!
Aber die Liebe — mein Antrag — unsere Heirat?!"
Pepa Vargas seufzte. „Ja, daraus wird nun wohl nichts
werden können, Nachbar, denn da schaut nur, wer uns aus der
Au hier nachgefahren kommt — der junge, reiche Pedro, unser
Nachbar zur Linken. Der hat soeben auf dem Auwege um meine
Jnesilla angehalten — die zwei lieben einander — was konnte
ich anders, als ,JW sagen? Und ich ziehe zu ihnen, 's ist
immer lächerlich, wenn eine Mutter zugleich mit ihrer großen
Tochter Hochzeit hält. Ich danke Euch also für Euren Antrag,
der sehr schmeichelhaft ist, und wir bleiben sonst gute Freunde.
Und verzehrt Euren Granatapfel mit Gesundheit!"
Damit gingen die beiden weiter und Joso starrte ihnen ver-
blüfft nach. Dann warf er den Granatapfel in die Pfütze und
rief zornig: „Ich wußte es ja, wir haben die Lieb' — eh, ich
wollte sagen die Granate — zu lange am Baume hängen lassen!"
E. M. V.
Aktes Hold.
Wer auf Kredit verkauft, der hat guten Vertrieb, aber sein
Gut geht in Stich.
Wenn man Frieden beschließet, soll man einen Riegel an
das Thor machen.
Wie sich der Mann wehrt,
So wird er geehrt.
Die MarmeMmlenüe in, Riet.
(Bild S. 388.)
Die eigenartig schöne Scenerie des Kieler Hafens hat in den
letzten Jahren einen neuen Schmuck erhalten: die im Frühjahr
1888 fertig gestellte kaiserliche Marine-Akademie und -Schule.
Majestätisch hebt sich der rote, in gefälligem Stil und edlen
Verhältnissen errichtete Backsteinbau von dem dunklen Hinter-
gründe des Tüsternbrooker Gehölzes ab, im Vordergründe um-
säumt von dem frischen Grün eines Lustgartens, in welchen
eine Terrasse weit ausspringt. Ein Bild des kräftigen Wachsens
und Werdens unserer jungen Flotte, blickt das stolze Haus über
die grüne Flut, und es mag wohl symbolisch aufgefaßt werden,
daß den weiten Rund der genannten Terrasse die Gallionsbilder
unserer alten herrlichen Kriegsschiffe „Hertha", „Vineta",
„Gefion" und so weiter, der Veteraninnen unserer Marine, um-
stehen. Nur in der ernsten Arbeit derer, die auf ihnen einst die
Ozeane befuhren, konnte der taugliche Grund gefunden werden,
auf welchem die heutige, achtunggebietende Seemacht aufgebaut
wurde.
Mitten unter den alten, ehrwürdigen Gestalten haben vor
wenigen Tagen die Buschiri-Geschütze, die jüngsten Trophäen unserer
Blaujacken, Aufstellung gefunden.
Wie schon der zweiteilige Name andeutet, ist der Zweck der
geschilderten Bildungsanstalt ein mehrfacher. Verfolgen wir die
Laufbahn eines deutschen Seeoffiziers, so sehen wir ihn in drei
verschiedenen Altersstufen als Schüler derselben.
Nachdem die Eintrittsprüfung, welche im April eines jeden
Jahres stattfindet, bestanden — nur Abiturienten sind von der-
selben befreit — werden die jungen Offiziersaspiranten zu Ka-
detten mit dem Range des Gemeinen ernannt und als solche an
Bord des Schulschiffes „Niobe" eingeschifft.
Eine halbjährige Reise in der Ost- und Nordsee, während
welcher Häfen von Schweden, Norwegen und England angelaufen
werden, gibt den Zöglingen die ersten Anschauungen ihres künftigen
Berufes und läßt das Offizierscorps des Schiffes erkennen, welche
von ihnen zum Seedienst geeignet sind. Nachdem im Herbst die
Ungeeigneten entlassen sind, werden die übrigen zum Besuch der
Marine-Schule kommandirt, um hier in einem sechsmonatlichen
Kursus durch Offiziere und Zivillehrer theoretisch für ihren
nächsten Dienst, den der Seekadetten, vorbereitet zu werden. Das
oberste Stockwerk des gewaltigen Baues enthält die Wohn- und
Schlafräume der jungen Schar, der Mittelstock die Lehrsäle, die
reichhaltigen Modellsammlungen, sowie die Aula, deren hohe
Bogenfenster auf den Hafen blicken. Im untersten Stockwerk
befinden sich die Speisezimmer sowie die „Messe", der gemein-
same Gesellschaftsraum. Schließlich ist durch geeignete Turn-
und Fechträume dafür gesorgt, daß neben der geistigen Aus-
bildung auch die Kräftigung des Körpers nicht vernachlässigt
werde.
Ein Examen im Frühling des folgenden Jahres schließt diese
Schulzeit ab, worauf die jungen Leute zu Seekadetten (mit dem
Range der Portepeefähnriche) ernannt und auf die Panzerschiffe
des Schulgeschwaders verteilt werden. Letzteres verbringt den
Sommer in der Ost- und Nordsee und beteiligt sich an den
großen Herbstmanövern der Flotte. Im Winter unternimmt es
in der Regel eine Reise ins Mittelmeer. Während dieser Zeit
haben sich die Seekadetlen hauptsächlich die praktischen Fähigkeiten
eines Seeoffiziers anzueignen, doch geht auch hier theoretischer
Unterricht Hand in Hand mit den: praktischen Dienst.
Nach zweijähriger Fahrt als Seekadetten erfolgt nun nach
Absolvirung der ersten Offiziersprüfung die Ernennung zu Unter-
lieutenants zur See und, nachdem als solche eine halbjährige
Reise auf dem Manövergeschwader vollendet, eine abermalige
Kommandirung zur Marine-Schule. Dieser zweite Besuch dauert
elf Monate und schließt mit der Seeoffiziers-Berufsprüfung. Die
Offiziersschüler wohnen nicht im Schulgebäude, doch ist für sie
wie auch für die Besucher der Marine-Akademie eine Speiseanstalt
in demselben eingerichtet-
Zum Besuch der Akademie endlich können auf Antrag ältere
Lieutenants zur See beziehungsweise jüngere Kapitänlieutenants
kommandirt werden. Es soll denselben hiedurch Gelegenheit ge-
boten werden, sich durch allseitige Erweiterung und Vertiefung
ihres Wissens für die höhere Laufbahn vorzubereiten.
Die Leitung der vereinigten Marine-Akademie und -Schule
ruht in den Händen eines aktiven Admirals, welcher zugleich
Vorstand des gesamten Bildungswesens der Marine ist.
Fritz Petermann.
Unter dem weißen Adler.
Roman
von
Hregor Samarorv.
Achtzehntes Kapitel.
Die nordische Srmiranns.
chnell riß Sophia das Tuch ab.
Einen Augenblick stand sie geblendet von
dem Hellen Licht, das ihr entgegenstrahlte,
dann stieß sie einen Schrei des Schreckens aus und
taumelte einige Schritte zurück.
Sie erkannte das Kabinet der Kaiserin in der Ere-
mitage zu St. Petersburg und sah Katharina selbst in
einem Lehnsessel neben ihrem mit Büchern und Papieren
bedeckten Tisch vor sich sitzen.
„Hier bin ich?" stammelte Sophia. „Eure Majestät,
was haben Sie mit mir vor, wessen hat man mich an-
geklagt?"
Die Kaiserin winkte entlassend dem Wächter der Ge-
fangenen, der sich sogleich in streng militärischer Haltung
zurückzog. Dann sagte sie lächelnd:
„Wenn die schöne und geistvolle Sophia de Witt, der
ich stets mein besonderes Wohlwollen bewiesen habe, so
lange meinem Hof fern bleibt, wenn sie unter dem Vor-
wand eines Besuchs in Konstantinopel sich in Warschau
aufhält, wenn sie sogar in Mohilew sich vor mir verbirgt,
statt den Damenkreis meines-Hofs zu verschönern, so muß
ich wohl zu außerordentlichen Mitteln greifen, um sie zu
mir zu führen und mir das Vergnügen einer Unterhaltung
mit ihr zu verschaffen."
Sophia hatte sich von ihrem ersten Schrecken erholt,
die wenigen Worte der Kaiserin hatten ihr Zeit gelassen,
ihre Gedanken zu sammeln, und wenn sie auch den Grund
ihrer gewaltsamen Entführung noch nicht klar durchschaute,
so kannte sie doch den Gegner, dem sie gegenüberstand,
und das gab ihr ihre Ruhe und Schlagfertigkeit wieder.
„Ich bitte meine allergnädigste Kaiserin um Ver-
zeihung," sagte sie mit der natürlichsten Miene der Be-
fangenheit und Verwirrung, „daß ich es gewagt habe,
mich heimlich dem Kreise Ihrer Gegenwart zu entziehen,
in dem mir stets Ihre Gnade zu teil wurde, aber gerade
diese Gnade, die mich so stolz und so glücklich machte, ließ
mich fürchten, daß Eure Majestät mir nicht erlauben
würden, fortzugehen, und doch mußte ich fort, was also
blieb mir übrig, als heimlich zu verschwinden?"
„Sie mußten fort?" fragte Katharina. „Und warum?"
„Eure Majestät wissen alles," erwiderte Sophia, „so
müssen Sie denn auch wissen, daß — der Fürst Potemkin —"
„Sie liebt," fiel die Kaiserin ein, „das weiß ich und
ich finde das natürlich; sind Sie nicht gemacht, um alle
Herzen zu erobern? Und es schien mir doch, als ob jene
Liebe nicht unerwidert geblieben sei."
„Ich glaubte sie erwidern zu können, ich war über-
rascht, geblendet, aber bald sah ich, daß ich mich getäuscht
hatte, daß ich Potemkin dennoch nicht lieben konnte."
„Solche Gewißheit erlangt man nur, wenn man einen
andern liebt, und Sie liebten Felix Potocky."
„Ich sagte schon, daß Eure Majestät allwissend seien,"
erwiderte Sophia mit vortrefflich gespielter Verwirrung.
„Es gehört eben keine große Allwissenheit dazu,"
sagte Katharina mit leichter Ironie, „um zu wissen, daß
Sie Potocky liebten, wenn'Sie in der Livree seines Pagen
ihm auf Reisen folgten."
„Wie Eure Majestät das entdeckt haben," rief Sophia
in vollkommen natürlicher Aufwallung, „bleibt mir den-
noch durchaus unbegreiflich! Das ganze Gefolge wußte
nichts davon, ein einziger Diener kannte das Geheimnis
und den hielt ich für treu und ergeben, er hat mich also
dennoch verraten!"
„Klagen Sie keinen Unschuldigen an! Ich bedurfte
keines Verrats, um Ihr Geheimnis zu entdecken, da Sie
die Unvorsichtigkeit begingen, sich mir selbst öffentlich in
Potockys Gefolge zu zeigen."
„Potemkin selbst hat mich nicht erkannt," rief Sophia
in höchstem Erstaunen, „und Eure Majestät —"
„Sie sollten es wissen," erwiderte Katharina, „daß
wir Frauen schärfer sehen als die Männer, welche sich so
scharfsichtig dünken; ich habe Sie auf den ersten Blick er-
kannt, und Ihr Anblick ließ den Wunsch, mich mit Ihnen
zu unterhalten, so lebhaft werden, daß ich es mir nicht
versagen konnte, Sie, selbst gegen Ihren Willen, zu mir
zu führen."
„Und Potemkin?" fragte Sophia zögernd.
„Sie stehen unter meinem Schutz," erwiderte Katharina
stolz; „der Fürst muß sich damit zufrieden geben, daß es
auch für ihn unerreichbare Dinge gibt."
„O meine gnädigste Kaiserin," rief Sophia, „so wollen
Sie mich in der That schützen?"
„Vor Potemkin gewiß," erwiderte Katharina; „vor
aller Welt," fügte sie ernst hinzu, „wenn Sie meinen
Schutz annehmen, wenn Sie meine Freundin sein wollen."
„Ob ich es will?" rief Sophia. „Können Eure
Majestät zweifeln —"
„Ich biete selten meine Freundschaft an," sagte die
Kaiserin; „wenn ich es thue, so meine ich es ernsthaft und
ehrlich, und da ich den Wert meiner Freundschaft nicht
unterschätze, so knüpfe ich dieselbe an Bedingungen."
Sophia erbleichte.
Es lag etwas in dem Blick und der Stimme der
Kaiserin, das ihr eine unbestimmte Furcht einflößte, aber
sie hielt das Lächeln auf ihren Lippen fest und sagte:
„Bedingungen ? Eure Majestät haben nur zu befehlen."
„Ich befehle denen, die mir gleichgiltig sind," erwiderte
Katharina, „oder meinen Feinden; die Bedingungen meiner
Freundschaft müssen von freiem Willen angenommen und
ohne Zwang treu gehalten werden. An Ihnen ist es, sich
zu entschließen, ob Sie unter meinen Bedingungen meine
Freundin sein oder als meine Feindin meine Befehle er-
warten wollen."
„Ich Ihre Feindin, Majestät?" sagte Sophia lächelnd,
mit leicht zitternder Stimme. „Wie wäre das möglich?"
„Wenn zwei Frauen von Geist, Willen und Mut,
wie Sie und ich," erwiderte die Kaiserin, „Freundinnen
sein und bleiben wollen, so ist es notwendig, daß sie in
rückhaltsloser Aufrichtigkeit miteinander sprechen, denn die
einzige Grundlage, auf der die Freundschaft erwachsen und
bestehen kann, ist die Wahrheit. Setzen Sie sich also zu
mir und hören Sie."
Sie deutete auf einen Sessel an ihrer Seite.
Sophia setzte sich nieder und erwartete, indem sie die
Augen niederschlug, um ihre ungeduldige Spannung zu
verbergen, die Fortsetzung des Gesprächs, das, wie sie
fühlte, jetzt seine eigentliche Bedeutung gewinnen mußte.
„Aufrichtig also," sagte Katharina, „Sie fragen mich,
ob ich es für möglich hielte, daß Sie jemals meine Feindin
werden könnten? Ich muß das wohl für möglich halten,
da Sie es bereits geworden sind, und zwar eine ernste
und gefährliche Feindin, wie es sich bei einer Frau wie
Sie von selbst versteht, eine Feindin, gegen die ich alle
meine Macht aufbieten muß. wenn es mir nicht gelingt,
was ich aufrichtig wünsche, Sie in eine Freundin zu ver-
wandeln."
„Eure Majestät erschrecken mich."
„Dessen bin ich gewiß; jedermann erschrickt, sobald
eine fremde Hand ein Geheimnis berührt, das man in den
Tiefen der Brust verborgen glaubte."
„Ich höre von Eurer Majestät, daß man mich ver-
leumdet haben mag."
„Nicht doch," sagte die Kaiserin kopfschüttelnd, „nie-
mand wäre scharfsinnig genug, Sie zu durchschauen, das
Geheimnis einer Frau wie Sie kann nur von einer andern
Frau entdeckt werden, von einer Frau, die Ihnen gleich
ist, und ich habe das Selbstgefühl, eine solche Frau zu
sein. Nun denn," fuhr sie fort, während Sophia atem-
los lauschte, „Sie lieben Felix Potocky, weil Sie an seiner
Seite Königin von Polen werden wollen."
Sophia zuckte zusammen, als ob sich plötzlich eine
Schlange drohend vor ihr emporringelte.
Sie sah die Kaiserin starr an, aber sie fand keine
Worte, als sie so plötzlich das tiefste Geheimnis ihrer
Seele von fremden Lippen aussprechen hörte.
„Ich finde das natürlich," fuhr die Kaiserin rrrhig
fort; „es ist das Ziel eines großen Ehrgeizes, und Felix
Potocky ist der Mann, der dieses Ziel erreichen könnte,
geleitet durch eine Frau wie Sie, wenn," fügte sie mit
stolzem Lächeln hinzu, „ich nicht da wäre! Ich aber werde
niemals von einer andern Hand die Frucht brechen lassen,
nach der ich die meine ausstrecke, vor allem dann nicht,
wenn diese Frucht eine Krone ist."
„Und deshalb," rief Sophia jetzt wirklich entsetzt,
„haben Eure Majestät mich von Potocky getrennt und
mich hieher bringen lassen, um —"
„Um uns zu verständigen," siel die Kaiserin ein. „Ich
will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich Sie fürchte, denn
Sie allein konnten Potocky gefährlich machen und er allein
war der Mann, der gefährlich Werder: konnte. Jene
idealistischen Patrioten in Polen werden mir niemals ge-
fährlich sein, denn sie werden stets von dem Volke selbst
verlassen sein; aber Potocky, der alle List, alle Verschlagen-
heit, alle Eigenschaften der großen Mehrzahl des polnischen
! Adels in sich vereinigt, er war der Mann, der mir ein
! ernster Gegner werden konnte, wenn eine Frau ihm den
! Mut, den Willen und die Beharrlichkeit einflößt, welche
! ihn: fehlen und welche selten ein Mann besitzt. Wenn