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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Jaumann, Anton: Der Geist der Spitze
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0074

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INN EN-DEKORATION

Entfaltung ihrer Persönlichkeit, vermochte es auch, die
feinsten weiblichen Reize in einem künstlerischen Er-
zeugnis einzufangen. Wer in der Spitze nicht mehr sieht,
als ein Ornament, in Fäden und Knoten wiedergegeben,
versteht sie gründlich falsch. Niemals würde die Frau
ein fremdes Ornament, die Handschrift eines beliebigen
Werkstattzeichners zur Schau tragen, doch sie ahnt rich-
tig, daß der Künstler ja nur aus ihrem Geiste die Spitze
geschaffen, daß diese Figuren ein Abbild ihrer eigenen
weiblichsten Züge sind. Der zarte Hauch, der ihr Wesen
umweht, hat sich da in zierlichsten Kristallen niederge-
schlagen. Ihre Träume nisten in dem krausen Gezweig
der Spitze. Die Blumen haben ihre bleichen Geisterchen
geschickt, um einen Elfenreigen zu schlingen um weiße
Nacken und rosige Glieder. Kaum bewußte Gedanken,
Wünsche, Erinnerungen, die durch die weibliche Seele
huschten, lassen ihren Blütenschnee auf die Spitze rieseln,
etwas spröde Laune mischt sich darein, ein Schuß Ge-
brechlichkeit, und eine Menge von undefinierbaren Düften
und Ahnungen — die arme Spitzenkunst kann nichts
anderes tun als versuchen, von dieser Wolke des Über-

flusses wenigstens einen Bruchteil in ihre Erzeugnisse
hinüberzuretten. Nie wird sie jene Wunderspitze, die
das Wesen der Frau ganz ausdeutet, fertig bringen, a. j.

*

Ein vollkommenes Kunstwerk ist ein Werk des mensch-
lichen Geistes, und in diesem Sinne auch ein Werk
der Natur. Aber indem die zerstreuten Gegenstände in
eins gefaßt und selber die gemeinsten in ihrer Bedeutung
und Würde aufgenommen werden, so ist es über die
Natur. Es will durch einen Geist, der harmonisch ent-
sprungen und gebildet ist, aufgefaßt sein, und dieser findet
das Vortreff liehe das in sich Vollendete, auch seiner Natur
gemäß. Davon hat der gemeine Liebhaber keinen Begriff,
er behandelt ein Kunstwerk wie einen Gegenstand, den
er auf dem Markte antrifft; aber der wahre Liebhaber
sieht nicht nur die Wahrheit des Nachgeahmten, sondern
auch die Vorzüge des Ausgewählten; er fühlt, daß er sich
zum Künstler erheben müsse, um das Werk zu genießen,
daß er sich aus seinem zerstreuten Leben sammeln, mit
dem Kunstwerk wohnen, es wiederholt anschauen und sich
selbst dadurch eine höhere Existenz geben müsse, goethe.

»GEDECKTER TEETISCH MIT SPITZENDECKE« (FÜR EINE PERSON). SILBERNES TEESERVICE VON LETTRE—BERLIN
 
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