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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Ulmer, Karl: Die Kunst nach dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0295

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INNEN-DEKORATION

275

ST. GEORGSPLATZ. AKT DES SCHWERTSTREICHS SCHMUCK U. KRONUNGSHÜGEL: ARCH. KAROLY KOS

DIE KUNST NACH DEM KRIEGE

Die Lebensbedingungen, die Vorstellungen der Men-
schen und die Sitten sind dem ständigen Wechsel
unterworfen. Die Folge ist, daß die Erneuerung der er-
wähnten Bedingungen, gleichzeitig mit der Veränderung
der Seele, eine Erneuerung der Kunst nach sich ziehen
muß. So wird unser Dasein eine neue Daseinssphäre
hervorbringen, genau wie diejenige es tat, die der unseren
vorherging. Die neue Daseinssphäre aber ihrerseits wird
einen neuen Geisteszustand hervorrufen, denn die Be-
gabung und der Geschmack ändern sich in derselben Zeit
und demselben Sinne, wie die Gebräuche und Empfin-
dungen der Masse. Durch den neuen Geisteszustand
werden aber die neuen Werke erzeugt; so wird die große
Umwandlung, die wir jetzt durchmachen, ihre eigenen
idealen Vorbilder mit sich bringen. — Die sich auf diese
Weise entwickelnde Lage wird bestimmte Gefühle und
besondere Fähigkeiten verkörpern, wie z. B. im Mittel-
alter verzärtelte Empfindsamkeit und überreizte Einbildung
vorherrschend waren, so wird die Zeit, die vor dem Kriege
mehr von dem kleinlichen Ehrgeiz und den ungestillten
Wünschen beherrscht war, von Tatkraft und klarem
Bewußtsein des Willens abgelöst werden.

Vor dem Kriege überanstrengte sich jeder für die
Bequemlichkeiten des eigenen Lebens. Die Lebensweise
mit ihren Bedürfnissen hatte sich insUngeheuere gesteigert.
Tausend Sachen gab es, die unentbehrlich erschienen,
wie die kostbarsten Einrichtungen und die teuersten Ge-
wohnheiten. Da aber alles durch Arbeit mühselig ver-
dient werden muß, so wurde der größte Teil des Lebens
in Arbeit und Anstrengung für die Bequemlichkeit des
teueren Ichs verbracht. Der heftigste Wettkampf ver-
doppelte die Geschäftigkeit, überreizte und überanstrengte,

und die Folge für die Kunst war, daß auch sie die Spuren
dieser Überreizung mit sich trug. Dazu kam noch die
Abhängigkeit vom Fremden, die ebenfalls nicht zur Be-
freiung der deutschen Seele beitrug, und es ergab sich
ein unbefriedigtes Tasten und Suchen, wie wir es in den
letzten Jahren vor dem Kriege beobachten konnten.

Da kam der Augenblick für unser Volk, in welchem
es sich darum handelte, zwischen einem unfreien, für den
einzelnen an und für sich vielleicht noch vorteilhafteren ■—
und einem heldenhaften Leben zu wählen. Wie ein feuriger
Brand, der um sich frißt und sich vergrößert, so fanden
alle durch die Begeisterung die Kraft und die Vereinigung,
einer Welt von Feinden zu trotzen. Die Macht der Uber-
zeugung und des inneren Glaubens, das Gefühl der Brüder-
lichkeit und das Vertrauen zu einander, das den ersten
und den letzten Soldaten verbindet, gab ihnen eine Seele
und einen Willen, verlieh ihnen allen Geduld, Kaltblütig-
keit, Tatkraft und Opferfreudigkeit. Jemehr von der
menschlichen Natur verlangt wird, desto mehr gibt sie.
Das Notwendige tut seine Wirkung. Charaktereigen-
schaften, die unter anderen als den heutigen Bedingungen
sich entwickelthätten, können nicht zur Entfaltungkommen,
sie verkümmern; andere hingegen blühen dafür auf. So
gibt es keine Grenzen mehr für die Schaffensfreudigkeit,
für die Opfer und Leiden der menschlichen Natur, es
gibt nur einen Überfluß an Mut, an Aufopferung, Geduld
und Willen. Kleines, Eigenwilliges und Verwickeltes
wird hinweggefegt, der gewaltige Kampf hat uns höher
denken gelehrt, hat fremde Einflüsse hinweggespült, sodaß
die Quellen reinen, einfachen und großen Empfindens
wieder hell sickern. — Diese ewige Triebkraft tatkräftiger
Charaktere, das schnelle Zugreifen, die Gewohnheit plötz-
 
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