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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Weidenmüller, H.: Brauchen wir einen deutschen Stil?
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0086

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INNEN-DEKORATION

scher Pflanzen, nicht nur der Eiche, des Ahorns und an-
derer Bäume, sondern der Blätter und Blüten des Löwen-
zahns, der Fingerkräuter und noch zierlicheren Formen.
Oder er ersann das Stab- und Maßwerk aus einem Spiel
der einfachsten geometrischen Formen, aus denen sich
immer neue und sinnreiche Zusammenstellungen fanden.
Der Bücherschreiber verzierte die Ränder seines Perga-
ments ebenfalls mit den heimischen Pflanzen und Tieren
und das Kunstgewerbe nahm seine Motive ebendaher.
Gerade das Stab- und Maßwerk eignete sich ja durch die
Wiederholung und veränderte Stellung kleiner Formen
für die Musterung der Gewebe; die freie Stickerei aber
fand ihre Vorbilder im täglichen Leben, dem Tanz, der
Jagd und zog auch die Schrift mit hinein, um allerlei
Witz oder Weisheit anzubringen. Was das deutsche
Volk damals vermochte und was es mit Liebe und Eifer
übte, warum sollte es das heute nicht mehr können ? Wir
müssen uns nur frei machen von dem Bestreben, äußer-
liche Effekte zu suchen oder nachzuahmen, müssen er-
kennen lernen, was sowohl unseren Bedürfnissen als
unserer Eigenart entspricht, müssen mit einem Wort
selbständig und selbstbewußt auftreten, auch in der Kunst.

Die Liebhaberei des Deutschen für das Fremde, sein
großes Anpassungstalent sind an und für sich keine
schlechten Eigenschaften, werden es aber, wenn sie so
in den Vordergrund treten, daß die nationale Eigenart
und Wertschätzung darunter leidet. Ein Beispiel dafür
sind die Kleidermoden, in denen wir uns, nach einem
kurzen Anlauf infolge des Krieges von 1870/71, uns von
Frankreich unabhängig zu machen, wieder ganz von diesem
leiten ließen. Da sah man in den letzten Jahren Erschei-
nungen, die das feine Gefühl beleidigten, weil sie ge-
wagte Einfälle, die, mit Grazie getragen, die Entschuldi-
gung der Anmut hatten, ohne diese nachahmten und des-
halb abstoßend aussahen. Die jetzige, als »deutsch« be-
zeichnete Mode ist nun absichtlich in den Kontrast mit
der französischen zu freien Betonung der Körperformen
übergesprungen, verdeckt diese durch bauschige Anord-
nung und verwendet statt des allzu knappen Stoffes ent-
schieden zu viel, mehr als schön und mehr als praktisch,
schießt also über das Ziel hinaus. Also nehmen wir es
als Ubergangsstadium, es ist wenigstens ein Weg zur
Selbständigkeit und wird Besseres nach sich ziehen,
wenn daran weiter gearbeitet wird. . . . h. weidenmüller.
 
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