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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Der gestickte Rahmen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0141

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INNEN-DEKORATION

121

DER GESTICKTE RAHMEN

Nirgends sind größere Geschmacklosigkeiten geleistet
worden, als auf dem Gebiete des gestickten Rahmens.
Es gab ja Zeiten, wo kein Gegenstand des bürgerlichen
Heims vom Schmuck der Stickerei verschont blieb. Der
jahrelange Fleiß der Hausfrau und ihrer Töchter stapelte
sich da auf und stellte sich zur Schau — in den Läufern
und Schonern, Parade- und Uberhandtüchern, Schirmen,
Ampeln, Untersetzern, Hüllen jeder Art, Nadelkissen
und Schlummerrollen, Glockenzügen, Uhren-, Bürsten-,
Reisetaschen und nicht zuletzt den gestickten Rahmen.
Die Stickerei hat eines nach dem anderen aufgegeben
und sich mehr und mehr auf Kissen und Decken zurück-
gezogen. Und jetzt, wenn wir in den Trödlerläden die
alten verstaubten Dinge wiederfinden, tut es uns im Grunde
des Herzens doch um manches leid. Unter hundert Lächer-
lichkeiten war doch immer ein Stück, wo aus Instinkt
die Grenze des Geschmacks innegehalten war, wo Erfin-
dung und Ausdruck der Stickerei künstlerischen Wert
verlieh. Bei den Rahmen war es deshalb besonders
schlimm, weil es fast immer eine Kollision mit dem ge-
schmückten Bilde gab. Man suchte Beziehungen zum
Inhalt herzustellen, kargte bei Liebesszenen nicht mit
Rosen, Herzen, Amorpfeilen, Seestücke erhielten einen
Rahmen aus Muscheln usw. Und doch ist es nicht eine
Sünde an sich, einen Rahmen mit Stickerei zu schmücken.

Es kommt eben immer nur auf das Wie an. Der oben
abgebildete Spiegelrahmen ist besonders reich bestickt;
da er sich aber von allem Bedenklichen mit Glück frei-
hält, kommen die feinen Reize der Stickerei ungetrübt
zur Geltung.

*

IV/[an sollte die Stickerei nie so dicht und fest aus-
führen, daß der einzelne Stich nicht mehr zu sehen
ist. Die Stickerei ist keine Abart von Zeichnung oder
Modellierarbeit. Es ist ein ganz unangebrachter Ehrgeiz,
z, B. bei Hochstickerei das Muster so steif und eng zu
sticken, daß es aussieht wie ein Kreidestrich oder ein
Gipsmodell. Der Reiz der Stickerei liegt zu einem großen
Teil nicht im Muster, nicht in der Farbe, sondern im
Leben des Stiches, im Hin und Her des Fadens, in der
Textur der Seide, der Wolle, des Zwirns. Das fehlt bei
der steifen Hochstickerei. Ja, auch der Stoff selbst ver-
liert außerordentlich an Schönheit, da seine Beweglich-
keit und Biegsamkeit beeinträchtigt wird.......s. s. r.

#

C*s ist zwecklos, die feinen alten Stickereien exakt
^—" kopieren zu wollen. Wir können den Geist nicht
zurückrufen, in dem sie erdacht und gefertigt sind. Die
Frau der Neuzeit ist in ihrem Fühlen und Denken eine
wesentlich andere als die Frau des Mittelalters es war.

19i7. m. 4
 
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