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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Pütz, Friedrich: Die Überschätzung des Zeichnens: ein Beitrag zur Frage der künstlerischen Berufsberatung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0216

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196

INNENDEKORATION

ARCHITEKT
F. A. BREUHAUS
»BQFETTWAND«

nische Voraussetzung, die allein erfüllt, eben noch keinen
Künstler macht. Dadurch erhält das paradox erscheinende
Wort Lessings, daß Raffael auch ohne Hände das größte
malerische Genie gewesen wäre, seinen versteckten Sinn.

Von all den in der allgemeinen Meinung herrschenden
irrtümlichen Vorstellungen über das Wesen künstlerischer
Begabung gehört die falsche Wertung zeichnerischer
Fähigkeiten zu den folgenschwersten. Sie treibt tausende
von jungen, zukunftsfreudigen Menschen einem von bitteren
Enttäuschungen erfüllten Leben entgegen. Die kritischen
Naturen lernen bald den Mangel an schöpferischer Kraft
erkennen und mühen sich in vergeblichem Ringen ab.
Sofern ihre Persönlichkeit nicht reich genug ist, um dem
ein Positives entgegenzusetzen, das ihnen die Selbst-
achtung und das Gefühl sozialer Brauchbarkeit zu erhalten
vermag, werden sie leicht Opfer einer alle weitere Ent-
wicklung hemmenden Resignation oder Verbitterung. Die
Unkritischen verfallen entweder einem einfältigen Auch-
künstlertum oder gesellen sich zu jenem Kunstproletariat,
das in seinem anmaßenden Uberzeugungswahn und seinen
negativen geistigenErscheinungen den größten Hemmschuh
für die Schaffung und Verbreitung echter Kunst bildet.

Zu einem besonders in Erscheinung tretenden Ver-
hängnis ist die künstlerische Unproduktivität des »Nur-
Zeichners« den Kunstzweigen geworden, bei denen die
technisch notwendige zeichnerische Fixierung Mittel zum
Zweck ist, wo nicht die Zeichnung, sondern das Gegen-

ständliche das Ziel bedeutet; in der Architektur
und im Kunstgewerbe. Hier ist zeichneri-
sches Können ohne schöpferische Kraft zu
einem Fluch für unsere ganze werkkünstle-
rische Kultur geworden. An Stelle innerlichen
formalen Gestaltens tritt hier ein Denken auf dem Papier,
die gequälte oder triviale Form, oder die Täuschung durch
den »flotten Strich«, dessen Bravour und Süße die Leere
nicht verdeckt. Die Ausnutzung dieses irregeleiteten, ge-
schmacklich meist mangelhaft gebildeten Zeichnertums
durch eine skrupellose Unternehmerschaft gehört zu den
Hauptursachen unseres kunstgewerblichen und architek-
tonischen Massenschundes. Die nicht nur aus irriger An-
schauung, sondern oft auch zur Erlangung billiger Arbeits-
kräfte geübte Gepflogenheit, dem mangelhaften oder gar
mangelnden Gestaltungsvermögen der nur zeichnerisch
Begabten die Lösung künstlerischer Aufgaben zu über-
lassen, stellt für die gedeihliche Entwicklung unserer
Werkkunst das größte Hindernis dar. Besserung wäre
hier wohl möglich, wenn das gewerbliche Unternehmer-
tum auf Qualität ebensoviel Wert legte wie auf leichten
Gewinn. Aber von dieser Seite kann man nicht alles Heil
erwarten. Darum erwächst der negativen Auslese und
ihrem aufklärenden Wirken hier eine bedeutende Aufgabe.
Es wird der Irrtum beseitigt werden müssen, daß zeich-
nerisches Talent für einen künstlerischen Beruf schon
genüge. — Die Gleichsetzung zeichnerischer Begabung
 
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