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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Luethgen, Eugen: Kunstgewerbe und Romantik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0222

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202

INNEN-DEKORATION

KUNSTGEWERBE UND ROMANTIK

(schluss)

Außer an der Schärfung der Sinne nahm die Wissen-
. schaft in neuester Zeit auch Teil anderVertief ung einer
gefühlsbetonten Weltanschauung. Der wissenschaftliche
Trieb nämlich, über die möglichen Grenzen hinaus das im
Metaphysischen ruhende Unerklärbare zu deuten, ist über-
mächtig. Wie zur Zeit Kants und Schopenhauers, so
reizte auch jetzt wieder das Unbe-
greifliche zur Lösung. Der Wissens-
drang wird so zur Grundlage der
Mystik. Gefühl tritt an Stelle der
Erkenntnis. Das zu weit gespannte
wissenschaftliche Streben erzeugt
mystische Gefühlsträumerei. Wenn
die Denkmittel einer allgemein ver-
breiteten Weltanschauung sich er-
schöpft haben und nun plötzlich von
allen Seiten Fragen erscheinen, die
die Wissenschaft nicht lösen kann,
bringt die eintretende Entwertung
des gegenwärtig Vernünftigen sofort
die mystischen Tiefengefühle auf die
Oberfläche. Dabei bewährt sich wie
in der Kunst auch in der Wissen-
schaft die produktive Kraft der Phan-
tasie. Die Divination, so könnte man
sagen, tritt an Stelle der Reflexion.
— Ein Vorgang, der sein Vorbild
scheinbar schon in der Romantik be-
sitzt, in der romantischen Deutung
der Kunst als angewandter Mystik.
Wenn die innere Verwandtschaft
auch augenfällig ist, so die Gegen-
sätzlichkeit doch nicht weniger be-
deutsam. Denn heute handelt es sich
nicht mehr um die romantische Ab-
kehr von der Wirklichkeit, sondern
um eine an der Wirklichkeit erstarkte
und diese andeutende Mystik. Das
Grundgefühl des neuromantischen
Gestaltungswillens bedarf zu seiner
Lebensentfaltung der Wirkungsreize,
die von dem wirklichen Sein der
Dinge, von ihrem tatsächlichen sicht-
baren Dasein ausstrahlen. Die Welt
der Romantik aber war unwirklich;
war, wie Novalis sagt, wie ein Mär-

ed. pfeiffer und pössenbacher-mqnchen
spiegel mit aussage arbeit. ca.'/» grösse

chen, wie ein Traumbild ohne Zusammenhang. — Dieses
Gefühl für das Wirkliche, für den ausgesprochenen Wirk-
lichkeitssinn , durch den seit den 70 er Jahren wie be-
kannt alle Kunst beherrscht worden, findet in der neu-
romantischen Richtung der Dichtkunst, in Rainer Maria
Rilke, den besten Ausdruck. — Diesem bedingungslosen
Sich-Einstellen auf das Gefühl ent-
spricht in der bildenden Kunst die
übertriebene Geistigkeit mancher ex-
pressionistischer Versuche. So hat
die Ansicht, bewußte Wertung des
Fühlens gegenüber der Herrschaft
des Denkens, das Aufleben der schöp-
ferischen Kraft der Phantasie und
endlich die neugewonnene Fähigkeit
des Auges, auf die Reize sinnlicher
Eindruckswerte sich einzustellen,
eine ursprüngliche und starke künst-
lerische Welle erzeugt. Sie entwik-
kelte sich unmittelbar aus den geisti-
gen Regungen unserer Zeit; und sie
mag deshalb Aussicht haben, zu ei-
nem neuen, in sich gefestigten Stile
auszureifen. — Zwei Strömungen
wirken heute unverkennbar auf das
gesamte künstlerische Schaffen ein,
die beide trotz ihrerGegensätzlichkeit
aus derselben Quelle hervorgingen.
Die eine, die in gedanklicher Klarheit
eine Formensprache von höchster
Einfachheit und selbstverständlicher,
werkgerechter Gestaltung will, die
andere, die in dem Einfachen nur das
notwendige Gerüst sieht, das durch
die schöpferische Tätigkeit der Phan-
tasie in ein reiches und mannigfaltiges
Kleid wirkungsvollen Schmuckes ge-
hüllt zu werden verdient. Sie erkennt
nur das Gefühlsmäßige und Schöp-
ferische an. In ihrem Gefühl ins
Weite und Unbegrenzte zu schwei-
fen, nehmen ihre Wesenszüge sinn-
fälligste Gestalt an. Dieses Gefühl
ist nichts anderes als ein Versuch der
romantischenDeutung des Wirklichen
in der Kunst, dr. e. lüthgen-köln.
 
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