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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Zucker, Paul: Formempfinden und Raumgefühl
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0400

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kunst wird keine intellektuelle Hilfsfunktion, wie zum
Beispiel die Freude am Wiedererkennen oder an einer
bestimmten Technik wachgerufen, sie sprechen lediglich
das sinnliche Gefühl, das Raumgefühl an.

Das heiter-feierliche Wohlgefühl, das der Anblick
des Markusplatzes in Venedig hervorruft, beruht durch-
aus nicht auf den Einzelformen der ihn umgebenden Ge-
bäude, sondern der Raum selbst wirkt, der von vier Sei-
ten, dem Boden und dem Himmel begrenzte Raum allein.
Was aber bedeutet es: » der Raum wirkt«, er spricht unser
»Raumgefühl« an? Was ist Raumgefühl? Welches sind die
Voraussetzungen solch intensiver und wesentlicher ästhe-
tischer Wirkungen? Bevor wir das Raumgefühl als ästhe-
tische Erkenntnis und Genußquelle analysieren, müssen
wir versuchen, es psychologisch zu umschreiben.

Während wir eine Farbe oder einen Ton unmittel-
bar sinnlich wahrnehmen, ist dies beim Raum nicht der
Fall. Ohne jede intellektuelle Ubersetzung wirkt die
Farbe optisch als Sinneseindruck auf uns ein, wir erkennen
sie ebenso unmittelbar wie wir den Ton akustisch er-
kennen, dagegen haben wir keine direkte sinnliche Raum-
erkenntnis. Es bedarf vielmehr zur Wahrnehmung des
Raumes eines relativ verwickelten Prozesses, der aus der
Verbindung zweier verschiedenartiger Sinneseindrücke
und einem unbewußten auf der Verwertung erinnerter
Eindrücke beruhenden gedanklichem Schlüsse besteht.

Betrachten wir nun einmal diesen Vorgang im einzelnen:
Zunächst haben wir ja natürlich einen optischen Eindruck
von den Begrenzungen des Raumes, den wir sehen, von
seinen Wänden, von seinem Boden, vom Himmel oder der
Decke, die ihn abschließt. Wir können nun aus bestimm-
ten Dimensionen gewisser Gegenstände, deren »wahre«
Größe wir aus dem täglichen Umgange mit diesen Dingen
kennen — die Ausmaße des Menschen, eines Wagens,
eines Hundes sind uns bekannt und vertraut, — ferner
aus gewissen Trübungserscheinungen der Farben der
Dinge auf die Entfernung schließen, in der sich diese
Raumbegrenzungen vor uns befinden, und uns gleichsam
den dazwischen befindlichen Raum an solchen uns un-
bewußt als fester Maßstab dienenden einzelnen Elementen
»abstecken«. Das ist der eine Sinneseindruck verbunden
mit unbewußten oder zumindest unterbewußten logischen
Schlüssen. Dazu kommt nun noch jenes unmittelbare
sinnliche Gefühl, das uns unsere Lage im Raum angibt,
der »Gleichgewichtssinn«, dessen Versagen zum Beispiel
ein Symptom gewisser Geisteskrankheiten u. der Trunken-
heit ist. Wenn wir auch in normalen Lebenslagen —
»Lebenslagen« hier im allereigentlichsten Sinne des Wortes
gemeint — uns nicht seiner so bewußt sind, so existiert
dieser Sinn doch genau so tatsächlich, wie unser Gehör
und Geruch und ist sogar physiologisch auch genau loka-
lisiert. Bei Raumwahrnehmungen tritt nun dieser Sinn
 
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