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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 28.1917

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Luethgen, Eugen: Kunstgewerbe und Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.10024#0413

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INNEN-DEKORATION

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PROFESSOR ERNST LICHTBLAU-WIEN

WANDGESTALTUNG IN NEBENST. SALON

KUNSTGEWERBE UND INDUSTRIE

Kunst und Industrie sind zwei Begriffe, die ihrem Wesen
nach nichts Gemeinsames haben. Die Werke der
Kunst wachsen hervor aus einem schöpferischen Vorgang.
Sie sind losgelöst von jeder Zweckbestimmtheit. Sie
sind nicht gebunden an irgendwelche Ziele, die außerhalb
künstlerischer Formvorstellung liegen. Sie werden frei
geschaffen, allein durch die Tätigkeit der Phantasie. Sie
wirken daher nur durch die ihnen eigentümlichen künst-
lerischen Darstellungsmittel, durch den sinnlichen Reiz
der Farben und Formen. Deshalb auch ist ihre wesentliche
Bestimmung, eine Ausdruckskraft von lebendiger, gefühls-
starker Tiefe zu schaffen.

Von all dem will die Industrie nichts wissen. Sie hat
gleichsam nur den Willen, zahlenmäßig faßbare Werte
zu schaffen. Sie hat nur das einzige Streben, mit einem
möglichst geringen Aufwand von Arbeit eine möglichst
große Wirkung zu erzielen. Der Grundsatz der Kräfte-
ersparnis, der alle Gesetze der Mechanik und Technik
beherrscht, gilt auch für die Industrie.

In der Industrie gibt der aus der Wirklichkeit geborene
und in die Wirklichkeit wieder hineinfließende Zweck
den wesentlichen Anreiz zu allem Schaffen und Planen.
Sucht man aber auf dem Gebiet der bildenden Kunst nach

einer zielsicheren, der Wirklichkeit gemäßen Zwecksetzung,
so ist sie nur in der angewandten Kunst, im Kunstgewerbe
zu finden. Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes leben ja
in gewissem Sinne nur durch ihre jeweiligen, besonderen
Zwecke. Die Möglichkeit des Gebrauches entscheidet
sogar letzten Endes über die Lebensfähigkeit und damit
über die künstlerische Durchschlagskraft der kunstge-
werblichen Erzeugnisse. Diese Zweckbestimmtheit ist
es denn auch, die bewirkt, daß die Formensprache auf
dem Gebiet des Kunstgewerbes sich in wesentlich stär-
kerem Maße, als das jemals früher der Fall war, von der
Formauffassung und denAusdruckswirkungen der bildenden
Kunst loslöste und daß zugleich das Kunstgewerbe sich
in vielfacher Hinsicht den Zielen der Industrie, soweit es
sich um die durch die Industrie geschaffenen, sinnlichen
Formen handelt, nähert. Deshalb kann man sagen, daß
in neuerer Zeit das äußerlich Zweckvolle die Grundlage
sowohl für die Formen der industriellen wie auch der
kunstgewerblichen Erzeugnisse bildet. Daher besitzt denn
auch die kunstgewerbliche Form heute so geringe Mög-
lichkeiten, den Gestaltungsweisen einer rein künstlerischen
Phantasie zu folgen. Denn das möglichst Einfache, das
Übersichtlich-Klare des Formaufbaues ist eine Folge der
 
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