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Jahrbücher für Kunstwissenschaft — 2.1869

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Förster, Ernst: Gerard David aus Brügge
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https://doi.org/10.11588/diglit.51374#0051

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Gerard David aus Brügge.

Eine jede der grossen Malerschulen führt ein selbständiges Leben, von
meist unvollkommenen Anfängen zu immer grösserer Ausbildung aufsteigend,
bis sie gleich einer Pflanze, die in der Blume gipfelt, in einem begabtesten
Meister ihre Vollendung feiert. So schliesst in aufsteigender Linie die uro-
brische Schule mit Raphael, die florentinische mit Michel Angelo, die mailän-
dische mit Leonardo, die venetianische mit Tizian, die schwäbische mit Hol-
bein, die fränkische mit Dürer u. s. w. Die altflandrische Schule, die mit
Hubert van Eyck beginnt und mit ihm — ganz gegen die allgemeine Ordnung
— gleich den höchsten Trumpf ausspielt, schien bis jetzt auch in anderer
Weise von der allgemeinen Ordnung abzuweichen, und der letzten Vollendung
entbehrtzu haben. Gross durch die Tiefe, den Reichthum der Gedanken, wie durch
ein seiner Zeit völlig unbckanntesVerständniss der Natur, war Hubert van Eyck
doch noch in Anordnung des Ganzen, wie in der Darstellung im Einzelnen in
den Schranken der Ueberlieferung; hatte aber die Ziele, nach denen zu streben
war. klar erkannt und festgestellt. Eine Reihe hochausgezeichneter Talente
verherrlichte die Schule im Laufe des 15. Jahrhunderts. Jan van Eyck über-
trifft seinen Bruder in miniaturartiger Vollendung; Roger van der Weydc
steigert seine Darstellungen zu dramatischer Lebendigkeit; Hugo van der
Goes fasst die kleinen, charakteristischen Züge auf und versteht zu individuali-
siren; Dirk Bouts erreicht eine unvergleichliche Vollendung der malerischen
Behandlung; Justus von Gent findet das Gesetz einer stylgerechten und doch
freien Gruppiruug; Memling ist lieblich, zart und milde; und so wird von allen
Seiten gearbeitet, die Höhe zu erreichen, nach welcher der Wegweiser dieser
Schule zeigt, aber keiner von allen, die ich nannte, hat sie erreicht! Allen
ihren Gestalten fehlt die sichere Haltung, die freie, zugleich schöne und aus-
drucksvolle Bewegung, namentlich der Hände und gar der Finger, die Zeich-
nung der Falten gefällt sich in vielen Brüchen und in Geknitter; die Formen
des Nackten sind mager; für die Anordnung der Bekleidung fehlt es häufig
an gutem Geschmack, und unter der Wucht des Realismus kommt der Schön-
 
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