Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

DOI Artikel:
Christoffel, Ulrich: Porträtähnlichkeit und Porträtwahrheit, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0127

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
i

den Zeitempfinden entfremdet und neh-
men die Starre der Wachsfiguren an.
Der Porträtierte ist dann nicht mehr
darin zu erkennen, weil nur sein vor-
übergehendes Mienenspiel zum Spre-
chen gebracht ist, der Mensch als Gan-
zes aber vom Künstler nicht erfaßt
wurde. Andere Bildnisse sind in ihrem
Wert auf den ersten Blick nicht sofort
zu erkennen, weil der Maler tiefer in
das Persönliche eindringt als der Be-
trachter und vielleicht den Dargestell-
ten in einem reifern Zustand seiner
Menschlichkeit darstellen konnte, in
den dieser erst hineinwächst. Diese
Bildnisse enthalten mehr Wahrheit als
Ähnlichkeit, weil darin eine Mitte von
verschiedenen Anlagen festgehalten ist
und mehrere Stadien des Lebens ihren
Ausdruck gefunden haben. Als Men-
schenkennerwird derBildnismaler auch
eine gewisse seherische Fühlung nicht
entbehren können. Bei manchen Künst-
lern ist diese Gabe so entwickelt, daß
sie beim Malen oder Modellieren an
die Gegenwart des Modells gar nicht
denken, sich nur auf ihre Zeichnungen
und Studien verlassen oder das Bildnis
nach allgemeinen Beobachtungen ganz
aus der Vorstellung malen. Es entste-
_«d ^ien dabei Bildnisse, die bei den näch-

sten Angehörigen wie bei den Fernste-
^^|-Hh3H henden denselben Beifall finden, weil

Bk^J sie mit der augenscheinlichen Ähnlich-

keit die reinsten Grade der Bildnis-
wahrheit verbinden. Im allgemeinen
enthält das wahre Bildnis mehr Ähn-
lichkeit als das ähnliche Wahrheit.
Trotzdem wird das ähnliche meist leich-

I HS Der Bildnismaler von Fach sucht den

Auftraggeber durch die sprechende
Ähnlichkeit des Bildnisausdruckes zu
gewinnen, wo der Maler, der alle Stoff-
gebiete umfaßt, die Wahrheit des Le-
bendigen und Persönlichen nach ande-
ren Maßstäben mißt. Die Bildnisse
Rembrandts wurden von den Auftrag-
gebern abgelehnt, weil ihnen die ge-
heimnisvolle Sprache seines Helldun-
kels verschlossen blieb und sie sich von
den Ravesteyn, van der Heist und de
Foto jaeger & Coergen, München Keyser besser verstanden fühlten. Aber
Anton Müller-Wischin. Mondnacht über der Stadt die Nachwelt hat Rembrandt das

Leben seiner Zeit und seines Volkes in

Große Deutsche Kunstausstellung München 1943 • t> -4. j m. r r n,

einer Breite und Tiefe erfaßt, wie es
keinem seiner Zeitgenossen vergönnt
sönlichkeit zu einem Charakterbild zusammenfassen war, die alle mehr den belichteten Vordergrund des
möge. Sie wollen nicht die äußere Ähnlichkeit, son- Daseins beachteten. Porträtähnlichkeit und Porträt-
dern ohne diese zu vernachlässigen die innere Bildnis- Wahrheit sollten an sich keine Gegensätze bilden,
Wahrheit eines Gesichtes treffen. sondern miteinander übereinstimmen, aber wo eine

Manche Bildnisse fesseln oft, wenn sie neu sind, durch Spannung zwischen ihnen entsteht, wird jene schwer
eine verblüffende Spiegelähnlichkeit, aber schon nach zu deutende formschöpferische Kraft, die der Hand
wenigen Jahren erscheinen sie dem rasch wechseln- des Künstlers entströmt, immer die Wahrheit der

Fortsetzimg auf Seite 95
 
Annotationen