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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

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Weizsäcker, Heinrich: Eine neue Menzelstudie zum Alten Fritz
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https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0064

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Eine neueMenzelstudie Zum Alten FritZ. Von Heinrich Weizsäcker

Als Adolph Menzel am 18. Juni 1859 mit der J. J. We-
ber'schen Buchhandlung in Leipzig den Kontrakt ab-
schloß, der ihn für die Dauer von drei Jahren fast
vollständig für die Illustrierung von Kuglers Ge-
schichte Friedrichs des Großen in Anspruch nahm,
ahnte er wohl selbst nicht, wie stark die Fesseln wer-
den würden, die ihn auch nach Vollendung jenes Wer-
kes in seinem ganzen Tun und Denken noch für nahe-
zu zwei Jahrzehnte mit der Person des Königs Fried-
rich verknüpfen sollten. Die 415 Holzschnitte, zu
denen er für Weber die Vorlagen zeichnete, enthielten
in den Vorstudien, die er ihnen widmete, eine solche
Fülle geschichtlichen Anschauungsmaterials, daß sie
ausreichende Nahrung boten für noch drei weitere
umfängliche graphische Werke und für. acht Ölge-
mälde größeren Umfangs, die neben einigen kleineren
Aquarellen und Pastellbildern ihre Vorwürfe sämt-
lich dem Leben seines Helden entlehnten.
Und damit nicht genug. Auch jene späteren Folgen
von Bilderwerken, vor allem aber die großen Gemälde,
sind nicht ohne, erneute, eingehende Vorbereitung
entstanden. So ist gerade von diesen letzten eine wahre
Ährenlese gezeichneter und gemalter Studien zurück-
geblieben, die wertvollste Aufschlüsse, nicht nur über
ihre Gegenstände selbst, sondern vor allem auch über
die Denkweise ihres Urhebers und über die Metho-
den'seiner Arbeit enthalten. Zu den eindrucksvollsten
Erzeugnissen dieser Art darf ein bisher noch niemals,
weder der kunstgeschichtlichen Forschung, noch auch
einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenes
Pastell gerechnet werden, das glaubhafter Überlie-
ferung zufolge aus dem Nachlaß des einst mit Menzel
befreundet gewesenen Berliner Genremalers Eduard
Meyerheim herrührt und das hier abbilden zu dürfen
wir der gütigen Zuvorkommenheit seines jetzigen
Besitzers verdanken. Es vereinigt in sich vier Detail-
studien zu einem von eben jenen oben erwähnten
Friedrichsbildern, „Friedrich der Große auf Beisen",
das 1854 für einen bekannten Berliner Kunstfreund
und Sammler Ravene entstanden ist, und das sich
heute als Zimmerschmuck im Haus des Führers in
München befindet.

In chronologischer Hinsicht nimmt dieses Stück die
Mitte ein zwischen dem „Flötenkonzert" von 1852
und dem imposanten Historienbilde „Friedrich und
die Seinen bei Hochkirch", das 1856 vollendet wurde.
War dort, nachdem bereits die „Tafelrunde" des Kö-
nigs vorausgegangen war, dem Bilde des Philosophen
von Sanssouci, hier dem des in Glück und Unglück
gleich erprobten Heerführers Genüge geschehen, so
führt das in Rede stehende Gemälde in folgerichtiger
Ergänzung in die Sphäre des ebenso in seiner Frie-
densarbeit um Wohl und Wehe seiner Untertanen be-
sorgten Regenten ein, der sich hier als der „erste
Diener seines Staates" der V iederherstellung des
durch den Krieg verwüsteten Landes widmet. Die sze-
nische Handlung dürfen wir bei unseren Lesern als
bekannt voraussetzen. Man sieht in der Mitte des
Bildes die Person des Landesherrn, der ein im Er-
neuerungsbau begriffenes Dorf besucht, auf der lin-

ken Seite die zum Empfang erschienene Familie des
benachbarten Gutsherrn, auf der rechten die ortsan-
sässige Dorfgemeinde, einige Herren des Gefolges
schließen den Kreis. Die leutselige Miene des hohen
Reisenden verrät, daß er heute, was bei solchen Ge-
legenheiten nicht immer der Fall gewesen sein soll,
einen guten l ag hat, etwa in der Stimmung, wie sie
die köstliche Schilderung einer solchen Fahrt aus
dem Munde eines Zeitgenossen belebt, die uns Theo-
dor Fontane in einem der reizendsten Kapitel seiner
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg" auf-
bewahrt hat.

Das Studienblatt ist, wie schon erwähnt, in Pastell-
farben ausgeführt, einem Material, dessen Menzel
sich nur in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum,
zwischen 1848 und 1859 bedient hat. Es ist aber ge-
rade diese Technik, die er für die überwiegende Zahl
der Studien zu den in diese Zeit fallenden Darstellun-
gen aus dem Leben König Friedrichs verwendet hat.
Die weiche Anpassungsfälligkeit des farbigen Stiftes
mag dem Künstler als besonders geeignet, nicht nur
für die Köpfe, sondern auch für die stofflichen Ein-
zelheiten seiner Figuren, die Bekleidungs- und Aus-
rüstungsgegenstände des farbenfrohen Rokoko er-
schienen sein. Aber noch mehr als das fesselt unsere
Aufmerksamkeit die zeichnerische Leistung als solche
in jener unerbittlichen Präzision, die sich — um ein
von dem Künstler selbst geprägtes Wort zu gebrau-
chen— „anklammert an die Form", so daß sie selbst
im leblosen Gegenstand ein Leben eigener, persön-
lichster Art zu wecken vermag. Wobei auch ein eigen-
tümliches Element der Schönheit nicht übersehen
sein will, das sich bei einem Zeichner wie Menzel
schon an sich selbst und vor aller sonstigen techni-
schen Vollendung in einem unbewußt nachfühlenden
Empfindungsausdruck, auch in dem scheinbar un-
scheinbarsten Gegenstande fühlbar macht.
Wenn aber, auf das Ganze gesehen, Charakterdar-
stellung in erster Linie die Aufgabe des Genrebildes
ist, auch des historischen, wie es sich hier vor Augen
stellt, dann wird man sagen dürfen, daß wir in dem
Bild des Friedrich auf Reisen ein Musterbeispiel sei-
ner Gattung vor uns haben. Und selbstverständlich ist
es die Person des Königs, in deren Ausmalung sich
die höchste Spannkraft des Künstlers sammelt. Es ist
mit Recht mehr als einmal gesagt worden, daß es
Menzel ist, dermis das geschichtliche Bild des „Alten
Fritz" geschenkt hat, so wie es heute in uns allen, ja
im ganzen Volke lebt. In allen Wandlungen seiner
Jahre, in Jugend und Alter, aber auch in allen
Äußerungen des idealen wie des praktischen Lebens,
des Dichters und des Schriftstellers, des Herrschers
und des siegreichen Führers seiner Soldaten. Der
Künstler hat uns im vorliegenden Falle mit einer
Probe dieser Art von Wiederbelebung beschenkt, die
ihn kennzeichnet, in der Divinationsgabe des echten
Geschichtsforschers so gut wie in dem Phantasie-
reichtum des genialen Gestalters, in dem aus verstaub-
ten und vergilbten Bildnissen der Zeit die Vision
einer geschichtlichen Wirklichkeit von hinreißender

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