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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

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Christoffel, Ulrich: Heinrich Wölfflin: zum 80. Geburtstag am 21. Juni 1944
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https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0192

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Hans Schmitz-Wiedenbrück. Frau mit Stier
Große Deutsche Kunslaussfellung München 1944

Heinrich Wölfflin. Zum 80. Geburtstag am 21. Juni 1944. Von Ulrich Christoffei

Die Kunstwissenschaft hat die Aufgabe, eines der
merkwürdigsten Phänomene des menschlichen Gei-
stes, die bildende Kunst, in allen ihren Äußerungen
zu untersuchen und aus ihren eigenen Prinzipien zu
erklären und begrifflich darzustellen. Die Kunstge-
schichte galt lange als ein Zweig der Kulturgeschichte
oder der Philosophie, bis sie sich gegen Ende des ver-
gangenen Jahrhunderts bei der allgemeinen Indivi-
dualisierung der Geisteswissenschaften zu einem Son-
derfach mit eigener begrifflicher Methode verselb-
ständigte. Heute neigt sie lei dem neuen Zusammen-
schluß aller wissenschaftlichen Fächer zu einer einigen
Geisteswissenschaft dazu, ein Teilgebiet der Mythen-
und Symbolforschung odei der Psychologie zu wer-
den. In dieser wissenschaftlichen Entwicklung steht
Heinrich Wölfflin auf dem Höhepunkt, wo sich die
Kunstwissenschaft von der Geschichte ebenso unab-
hängig gemacht hat wie von der Philosophie. In seiner
Hand hat sich die Kunstgeschichte in Entsprechung
zu einer von der Zeit ersehnten Kunst als absoluter
Form zu einer reinen Wissenschaft des Künstlerischen
gewandelt. In seinem gelehrten Wirken unterscheidet
sich Wölfflin von den verwandten Bestrebungen der
Wiener Schule und Schmarsows dadurch, daß bei ihm

die künstlerisch intuitive Anschauung über die szien-
tifistische Methode immer die Oberhand behielt und
daß seine Begriffe mehr synthetisch als analytisch
sind. Das Kunstwerk wurde bei ihm nie ein Objekt
der Theorie, sondern blieb die beherrschende, stets
gegenwärtige Mitte seiner Lehre.
Ein reiches Gelehrtenleben führte Heinrich Wölfflin
von München nach Italien und dann zur Nachfolge
Jakob Burckhardts nach Basel. Von dort kam er als
Nachfolger Hermann Grimms für ein Jahrzehnt nach
Berlin und dann wieder in die Stadt seiner Jugend
nach München, von wo er sich mit sechzig Jahren in
seine Heimat nach Zürich zurückzog. Uberall bil-
deten sich neue Kreise um seine Person und seine
Lehre, und heute wendet sich aus allen Teilen Deutsch-
lands und der Schweiz das dankbare Gedenken der
Schüler und Freunde dem achtzigjährigen Meister zu.
In den fünf Jahrzehnten seines Wirkens hat Wölfflin
verhältnismäßig wenig geschrieben, aber jedes seiner
Bücher über „Renaissance und Barock", „Die Klassi-
sche Kunst11, „Die Kunst Albrecht Dürers1-, „Die
Kunstgeschichtlichen Grundbegriffe" und „Italienund
das Deutsche Formgefühl" ist im tektonischen Bau
der Gedanken, in der begrifflichen Klarheit, in der

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