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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

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Pechmann, Günther von: Der Bildhauer Hans Albrecht Graf von Harrach
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Christoffel, Ulrich: Porträtähnlichkeit und Porträtwahrheit, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0138

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Das Einmalige des menschlichen Charakters und der
persönlichen Erscheinung hat H. A. Harrach in vie-
len plastischen Bildnissen von Frauen und Männern
festgehalten, immer mit feinfühliger Vertiefung in
das Wesen der Persönlichkeit. Während das Auge
schaut und die Hand arbeitet, wird das Werk wie ein
Zwiegespräch zwischen seinem Schöpfer und dem
Modell, ein Zwiegespräch, zu dem der Künstler nicht
nur seine Kenntnis des menschlichen Charakters bei-
trägt, sondern auch seine gütige, verstehende und
gerne bejahende Wesensart.

Uer Weltkrieg unterbrach 1914 den Künstler — der
um diese Zeit ein Atelier in Berlin besaß — bei der
Arbeit an einer großen Figur und mehreren Büsten.
Er rückte als Bittmeister an die Front, wurde später
zur Zivilverwaltung nach Brüssel versetzt, wo er
seine Welt- und Menschenkenntnis als Leiter der
Presseabteilung und der Nationalitätenpolitik ver-
werten konnte. Das letzte Kriegsjahr sah ihn noch
einmal an der Front, als Führer eines Infanterie-
bataillons vor Verdun, dann als Kavallerieführer in
einer Großkampf division. Als solcher ritt er bei Kriegs-
ende mit seiner Schwadron bis Hamburg, wo er sie
demobilisierte.

Als Graf Harrach im Jahre 1925 sich in München
niederließ, fand er in dem Architekten Oswald Bieber
den Baukünstler, mit dem er an die Erbauung eines
eigenen Hauses gehen konnte. Er wählte als Grund-
stück den alten, seit langem verlassen und verwildert
daliegenden Park des Gohrenschlößl im Norden
Schwabings. Das langgestreckte Haus mit wenigen

großen Fenstern im Erdgeschoß wendet sich nicht
nur äußerlich dem Süden zu. Seine stille, große Hal-
tung und die Form seiner Bäume wecken südliche Er-
innerungen. Auf der breiten Gartenterrasse steht die
große Bronzefigur „Reife" (Abb. S. 95), vor einer
Hecke die schöne Sandsteinfigur des „Frühlings". An
der Ostseite des Parks, hinter einem runden, wasser-
gefüllten Bassin steht auf einfachem Steinsockel eine
lebensgroße Kalksteinfigur (Abb. S. 94), eine edle
weibliche Gestalt, schön vor den Mauerbogen gestellt,
überdacht von einer bewachsenen Pergola, die von zwei
antiken Säulen getragen wird. Mauerwerk, Stein,
Gesträuch und Bildwerk verbinden sich zu beglücken-
der Harmonie. Nicht weit von diesem stillen Platz
liegt in einem Seitenflügel des Hauses die Arbeits-
stätte des Bildhauers. Hier steht sein jüngstes Werk,
die steinerne Gedenktafel für einen im gegenwärti-
gen Krieg gefallenen Offizier, ergreifend durch die
Schlichtheit der Darstellung (Abb. S. 92).
Wir finden den Künstler mit einer neuen, großen
Aufgabe beschäftigt. Die Frische, mit der er sie auf-
gegriffen, die anregende Art, mit der er von seinen
Absichten spricht, läßt uns fast vergessen, daß wir ge-
kommen sind, um dem Meister einen Glückwunsch
zur Vollendung des 70. Lebensjahres darzubringen.
Für den schöpferisch tätigen Mann ist das ein frucht-
bares Alter, denn Schaffensfreude und Tatkraft ver-
binden sich in diesen Lebensjahren mit reicher
Kenntnis aller Wirkungsmöglichkeiten des Kunst-
werks und mit einem tiefen Wissen um die Men-
schen, um ihr Leid und um ihre Freude.

Porträtähnlichkeit und Porträtwahrheit. (Fortsetzung von sehe s4>

Ähnlichkeit vorziehen. Der Wahrheitsgehalt eines
Bildnisses hängt weitgehend von dem künstlerischen
Wert des Zeichnens, Malens oder Modellierens ab,
denn das reinere Talent, das größere Können wird
dem Bildnis eine gültigere Lebendigkeit und den
höheren Grad von innerer Wahrheit geben, auch
wenn der augenblickliche Effekt der Ähnlichkeit da-
bei zurücktreten sollte.

Wenn Künstler mit so klaren, energiegeladenen, sen-
siblen, geistvollen Linien zeichnen wie Holbein oder
Ingres, so darf man sich auf die Wahrheit ihrer Bild-
nisse verlassen. Ihre Bildnisse sind unbestechliche
Zeugnisse dafür, wie die Menschen als Individuali-
täten und als Vertreter ihrer Gesellschaft gelebt ha-
ben, wie sie der Welt erschienen sind und wie sie
wirklich waren. Und wenn die Alaler einen so leuch-
tend reinen Ton oder eine so durchsichtige Lichtfarbe
besitzen wie Tizian oder Veläzquez, dann enthalten
ihre Bildnisse, auch wenn darin die Gesichtszüge mehr
angedeutet als ausgeführt sind, die ganze Fülle des
Lebens. Das nur ähnliche Bildnis ist ein Dokument
des Kostümes einer Zeit, das wahre Bildnis aber ein
Dokument des menschlichen Lebens, mag es auch
weniger wirkungsvoll erscheinen. Die malerischen
Formen fluktuieren im Bilde wie das Leben selber und

wollen sich nicht zu einer genauen Ähnlichkeit ver-
dichten. Für Bildnisse, in denen das Täuschende und
Plastische der lebendigen Ähnlichkeit mit allem
Glänze erfaßt ist, wären die Werke von Anton van
Dyck zu halten. Sie erhellen die Epoche wie aufleuch-
tende Blitze, aber hinter den verschlossenen Mienen
der Gesichter will sich der Vorhang nie lüften. Ru-
bens in seiner herrlichen malerischen Aufrichtigkeit
klärt schon mit wenigen Pinselstrichen den Grund
der Persönlichkeit, die er malt. Die Bildniswahrheit,
die Bestimmteres aussagt, wirkt insofern oft unbe-
stimmter als die Bildnisähnlichkeit, als sie sehr viele
einzelne Eigenschaften des Menschen zum Schwin-
gen bringt und in einem gelösten entspannten Aus-
druck vereinigt. Leonardos Alona Lisa, in ein rätsel-
volles Helldunkel getaucht, ist eines der wahrsten
und durchdringendsten Bildnisse, obwohl es im bür-
gerlichen Sinne vielleicht nicht sehr ähnlich war.
Ein richtiges Verhältnis von Porträtähnlichkeit und
Porträtwahrheit zu finden, bildet für jeden Maler bei
jedem Auftrag eine neue Aufgabe, von deren Lösung
sein Gelingen abhängt, aber auch jeder Auftraggeber
möge sich bei seinen Ansprüchen der Bedeutung die-
ses Problemes erinnern.

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