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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 59.1943-1944

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Künstler über Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16492#0183

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Jakob Wilhelm Fehrle

Frühling

Große Deutsche Kunstausstellung
München 1944

Arbeit immer kälter wirken als die Natur, die er
nachzuahmen glaubt. Übrigens ist die Natur, was die
Gesamtwirkung betrifft, durchaus nicht immer inter-
essant. Eugene Delacroix (Tagebuch)

Vor der Natur selbst wird unsere Phantasie zum Ma-
ler. Wir sehen weder die Grashalme in einer Land-
schaft noch die Einzelheiten der Haut in einem schönen
Antlitz. Dank der glücklichen Unfähigkeit unseres
Auges, diese Fülle von Details zu bemerken, läßt es
nur das zum Geiste gelangen, das er aufnehmen muß.
Und der Geist fügt unbewußt noch eine Arbeit hinzu.
Er beobachtet nicht alles, was ihm das Auge bietet,
sondern verbindet den Eindruck mit anderen früher
gehabten, und sein Genuß hängt von der gegenwär-
tigen Stimmung ab. Dies ist so wahr, daß derselbe

Anblick derselben Sache in verschiedenen Stimmungen
nicht dieselbe Wirkung hervorbringt. Eugene Delacroix

*

Daß auch der große Künstler die Natur nicht er-
reiche, ist eine von den vielen gedankenlos wieder-
holten Redensarten. Es gibt Künstler, die von der
Natur freilich nicht mehr sehen als der Durchschnitt
der Menschen, und in betreff dieser ist es wohl ge-
rechtfertigt zu sagen, daß sie die Natur nicht errei-
chen. Aber der bedeutende Künstler geht so selbstän-
dig und so weit über die Naturanschauung der ande-
ren Menschen hinaus, daß der Vergleich zwischen
der Natur, wie sie in den Leistungen jenes zur Ent-
wicklung gelangt, nur auf demselben Mißverständ-
nis beruhen kann, welches zugrundeliegt, wenn der
Philister den sogenannten gesunden Menschenver-

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