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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1881

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Pecht, Fr.: Der Münchener Kunstgewerbeverein, seine Geschichte und sein idealer Zweck, [1]: Vortrag, gehalten in der Abendunterhaltung des Vereins vom 14. Dez. 1880
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Der Münchener Lunstgewerbeverein, seine Geschichte und sein idealer Zweck.

Vortrag, gehalten in der Abendunterhaltung des Vereins vom sq. Dez. f880 von Fr. Pccht.

Abeine Herren!

ENER griechische Philosoph, der sich
bisher beim Trinken einer Schale be-
dient hatte und sie schleunig wegwarf,
als er einen Knaben das Wasser aus
der Quelle init der hohlen pand schöpfen
sah, er wäre offenbar kein Mitglied
unseres Vereins geworden! Denn dieser
hat recht eigentlich die Erzeugung des Ueberflüffigen, d. h.
dessen zum Zweck was über die bloße Befriedigung des
nackten Bedürfnisses hinausgehend dieselbe durch die Schön
heit der Form zu adeln sucht.

Alle bildende Kunst fängt bei der Verzierung an, sagt
schon Schiller tiefsinnig und schlagend wie immer; die ver-
zierenden oder Kunstgewerbe aber unterscheiden sich von den
übrigen gerade dadurch, daß der Werth ihrer Erzeugnisse
vorzugsweise durch die Schönheit derselben bcstiinmt wird,
während bei denen aller andern zunächst die Zweckmäßig-
keit in Frage kömmt. Zst das Ziel aller Kunst die per-
vorbringung des Schönen so theilt das Kunstgewerbe es
also vollständig und seine Werke sind von jenen der
Malerei und Skulptur nur darin verschieden, daß sie nicht
wie diese gleich den Blumen auf dem Felde blos für sich
selber da sind, sondern daß sie eine Bestimmung haben,
einem Gebrauche dienen oder wenigstens zu dienen scheinen.
Sie haben das indeß mit denen der Baukunst gemein, aber
wie auch diese erst dadurch zur Kunst wird, sich von der
Wissenschaft des Ingenieurs unterscheidet, daß sie die Bau-
formen schön zu bilden sucht, ihnen nicht nur zweckent
sprechende, sondern auch dem Auge wohlgefällige Verhältnisse,
durch Verzierung den Charakter der Freiheit und Schönheit
giebt, so wiederholen die Kunstgewerbe dieß Verfahren,
haben vor allem dem Schmuck des Lebens zu dienen.

woher kömmt es nun aber, daß dieß Vedürfniß der
Verzierung, des Schmuckes, der Veredlung des Nothwendigen
durch dqs Schöne so tief in der Natur liegt, daß nicht nur
die Menschen in den allerfrühesten Culturstufen es von jeher
empfanden sondern sogar die höherstehenden Thiere es
bereits zeigen? Daß der Pfau ein Rad, die Nachtigall
Triller schlägt, daß die Lerche in den Lüften jubelt während

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es doch viel zweckinäßiger wäre wenn sie statt hoch über
den Feldern sich im Aether zu wiegen und zu singen in
ihren Furchen nach Körnern oder Würmern suchte?

Ich weiß Zhnen dafür keinen andern Grund anzugeben
als die tiefe Sehnsucht nach Freiheit, welche den niedrigsten
wie den höchsten Geschöpfen gleich stark innewohnt, die das
erste und mächtigste Motiv alles Fortschrittes, aller Civili
sation ist. Das aber macht gerade die blos verzierende, die
dekorative Kunst zur ältesten und wohlthätigsten von allen,
daß sie diese befreiende Wirkung sogar in noch weit höherem
Grade hat als jede Andere. Daß sie die älteste Form der
Kunst ist unterliegt keinem Zweifel, die frühesten Erzeugnisse
des Menschen, die armseligen Geräthe der Pfahlbauern, die
wir in unseren Seen, jene Messer und Sägen aus gespaltenen
Thierknochen, die wir in den Pöhlen neben den Resten des
Bären und pirsches finden, sie zeigen schon Verzierungen.
Za die Natur selbst enthält überall die ersten ornamentalen
Motive in ihren Bildungen, sucht in Blumen und Gefieder,
nicht nur in der Form des Menschen das Schöne hervor-
zubringen.

warum haftet aber an aller Ornamentation diese be-
freiende und darum beglückende Wirkung?

Wenn im Leben irgend eine Last auf uns drückt, irgend
welche Sorge oder Noch uns beklemmt, so fühlen wir uns
alsbald davon befreit oder doch unendlich erleichtert sobald
es uns nur erst gelingt über sie zu scherzen, sie init pumor
zu behandeln; sogar die Kinder singen im Dunkeln um sich
von der Angst zu befreien. Der Scherz erwärmt uns wenn
wir erkältet, kühlt uns ab wenn wir zu heiß sind, erquickt
uns wenn wir dürsten, ja selbst in die Schlacht, den: Tod
entgegen geht der Soldat viel leichter wenn ihn die Musik
begleitet. Ganz dieselbe Wirkung aber wie der Scherz in
der geistigen Welt hat die Verzierung in der sinnlichen, es
ist ihr melodisches, fröhliches Spiel das diesen erheiternden,
ermuthigenden Eindruck auf uns macht, und zwar um so
mehr je leichter und graziöser sie ist, je Harm und absichts-
loser sie erscheint. Alalerei und Skulptur singen auch, aber
sic legen ihrem Gesang einen Text unter, ihre Gebilde
wollen etwas bedeuten, sprechen zu lins, die Ornamentik
aber singt ohne Text, jubelt einfach wie der Vogel in der
 
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