Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1881

DOI Artikel:
Pecht, Fr.: Der Münchener Kunstgewerbeverein, seine Geschichte und sein idealer Zweck, [2]: Vortrag, gehalten in der Abendunterhaltung des Vereins vom 14. Dez. 1880
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7025#0020

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
/


Der Münchener Lunstgewerbeverein^ seine Geschichte und sein idealer Zweck.

Vortrag, gehalten in der Abendunterhaltung des Vereins vom Dez. \880 von Fr. P e ch t.

(Schluß.)

IT dem Jahre siebzig und dein un-
geheuren §eben, das es auf allen
Gebieten weckte, beginnt daher auch
eine ganz neue Epoche für das
deutsche Aunstgewerbe. Der sich rasch
in alle Schichten verbreitende Mil-
liardensegen wirkte wie die Ueber-
schwemmung des Nil auf Egypten;
als sich das Wasser verlaufen hatte, war Deutschland völlig um-
gewandelt und mit neuen fröhlich keimenden Saaten bedeckt,
welche selbst die nachfolgende Periode der Dürre nicht zu tödten,
sondern nur langsamer und desto gründlicher zu reifen ver-
mochte. Das mächtig erhöhte nationale Selbstgefühl sprach
sich wie immer zuerst in der Baukunst aus und führte
sofort und zwar in München unter Gedon's und Rud.
Seitz's Vortritt zu jener Wiederaufnahme der Formen der
deutschen Renaissance, die sich seither in ganz Deutschland
mit merkwürdiger Raschheit eingebürgert hat. Ihre Tauf-
kapelle kann recht eigentlich unser Aunstgewerbeverein ge-
nannt werden, wo schon seit Jahren von Ludwig Foltz,
Fortner, Franz und Rudolf Seitz, Gedon, Swertfchkoff,
Seder u. A. Versuche in dieser Richtung gemacht, aus Polbein
und Dürer, wie pans Mielich und Iamitzer bei der Bildung
von Geräthen, Albums rc. zurückgegriffen worden war.
Jetzt, wo ihnen eine Fülle schöner Aufgaben durch die
grenzenlose Thätigkeit, die sich in ganz Deutschland entwickelte,
zuwuchs, machten sich eine Menge junger talentvoller Archi-
tekten daran, diese Stilformen wieder aufzunehmen, so
Albert Schmidt, Lange, pauberrisser, von Schmädel, Seidl
bei uns, Mylius & Bluntschli, Wallon, Sommer in Frank-
furt, Raschdorff in Köln, Fr. Schmidt und Wielemanns in
Wien.

Selbstverständlich konnten sich diese außerordentlichen
Fortschritte der Architektur von den Baugewerben nur erst
allmälig auf die andern erstrecken und so führte denn sowohl
die Wiener Welt-Ausstellung als die in Philadelphia einst-
weilen zu neuen Niederlagen, die indeß bei einer halbwegs
verständigeren Leitung sehr leicht hätten abgewendet werden
können.

X

Das bewies gleichzeitig die unter der unvergleichlichen
Direktion unseres v. Miller von diesein Verein zusammen
mit der Aünstlerschaft veranstaltete große nationale Aus-
stellung von s876 mit ihrem, man kann wohl sagen in
Deutschland bis dahin unerhörten Erfolg. Deckte hier aller-
dings die Geschicklichkeit des künstlerischen Arrangements
gar viele Lücken und Schwächen zu, die sich in unserer so
jungen Produktion nothwendig noch finden mußten, so gab
sie doch eine wahrhaft unermeßliche, höchst segensreiche An-
regung und Stärkung des Selbstvertrauens. Besonders
auch durch die herrliche Ausstellung der Werke unserer
Väter, die der großen Masse des Publikums erst bewies,
daß unsere alte nationale Aunstindustrie einst jeder in der
Welt gewachsen, den ineisten überlegen war und daß also
die Enkel wohl wieder dasselbe würden erreichen können,
wenn sie nur erst an diese Vorbilder anknüpften, statt wie
bisher mit schmählicher Erniedrigung fast nur fremde ge
dankenlos nachzuäffen — das heißt also mit Verläugnung
des eigenen Wesens alle möglichen Sprachen schlecht zu
sprechen, statt sich der eigenen zu bedienen und sie zu diesein
Zweck auch einiiial ordentlich zu lernen.

Denn jeder Stil ist eine Sprache, ist aus der tiefsten
liationalen Eigenthümlichkeit herausgewachsen. Wie diese
selbst die Fremdworte, die sie einführte, so hat auch er die
freinden Formen, die er adoptirte, erst einem unserem
Charakter entsprechenden Umbildungsprozeß unterzogen, wie
das unsere Väter mit den Formen des altchristlich-romanischen,
dann des gothischeii und eiidlich denen des italienischen
Renaissance-Stils thaten und ihnen durch diese freie Be-
handlung erst das Gepräge des eigenen Wesens aufdrückten,
sie in ihr geistiges Eigenthum verwandelten.

Eben deßhatb aber dürfen wir auch nie vergessen, daß,
wie alle lebendigen Sprachen sich fortwährend ändern und
vervollkommnen, frische Elemente in sich ausnehmen, für
neue Begriffe neue Worte erfinden, auch der Stil in der
Architektur und dem Aunstgewerbe nichts für immer abge-
schlossenes fein, etwa bei Polbein oder pans Mielich stehen
bleiben kann, sondern sich beständig fortentwickeln, den neuen
Bedürfnissen, neuem Material, neuen technischen Fortschritten
 
Annotationen