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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1884

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Vereins-Chronik
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Unsere kunstgewerblichen Musterblätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7028#0039

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stetigen Entwicklung unserer Stadt. Mit theilnehmendem Staunen
fafy man aus der so bescheidenen und unscheinbaren Gründung des
Welfenherzogs Heinrich des Löwen im Laufe wechselreicher und schick-
salsvoller Zeiten unter der Aegide des pauses Wittelsbach die Residenz
dieses perrfchergefchlechtes sich entwickeln, von den ältesten Tagen hier
den Sinn für Behaglichkeit, den Kultus des Gemüthslebens Wurzel
Waffen und reifen und endlich jene großen und wunderbaren Monumental-
werke entstehen, welche Fürst und Volk zu Ruhm und Freude des
Vaterlandes wie zur Bewunderung der Welt auf diesem Boden empor-
gerichtet. In die ehemaligen Patriarchalzustände des Herrscher- und
Nathsregiments, in Kirche, Seelsorge und Schule, in die Werkstatt des
Künstlers und die Pallen der Wissenschaft, in die Zunftstuben der
Gewerke und die Pandelsläden des Kaufmanns, in die Buchdruckerei
und Münzstätte, in die Rüstkammern, auf den Schrannenmarkt und in
^en Rechtssaal, in das Familienleben, in das Waisenhaus und Kloster,
ln die Spitäler, ja selbst auf den Richtplatz und bis auf den Gottes-
acker hinaus führte die anregende Betrachtung. Auf's Anschaulichste
wurde dieselbe unterstützt durch eine vom Magistrat rühmlichst zur
Ansicht gewährte Reihenfolge werthvoller Urkunden, ferner durch
5tadtansichten aus den verschiedenen Epochen, sowie durch eine Aus-
stellung von Pretiosen aus dem Stadtschatze, endlich durch eine Aus-
wahl aus den Sammlungen der perren Seidl und Winterhalter.

Am Dienstag, den 22. Januar, sprach perr Professor Dr. Scherer,
indem er an die 80. Geburstagsfeier des verehrten Meisters anknüxfte,
über „Ludwig Richter", dessen Lebensgang er in lebendigster und treu-
ester Schilderung den Anwesenden darzustellen vermochte, da der Red-
ner bei seinem persönlichem Verhältnisse zu dem Künstler die meisten
Nlittbeilungen aus dessen eigenen Erzählungen schöpfte. Ls zeigte sich,
wie auch der heut vom ganzen vaterlande auf's innigste verehrte die
Wege zu Ruhm und Anerkennung rauh und dornenvoll gefunden, zu-
mal er sich in niedrigen und philisterhaft beschränkten Verhältnissen
befunden hat. Aber bereits im s 7-jährigen Jüngling erkannte der

russische Fürst Narischkin die reiche Begabung zur Landschaft und
nahm ihn zum Begleiter auf eine Reise nach Nizza und Paris; das
pauxtverdienst aber, den Meister der Kunst und der Welt geschenkt zu
haben, gebührt dem Dresdener Kunsthändler Arnold, der den gänzlich
Unbekannten auf eigene Kosten und ohne irgend welche Bedingung
zu mehrjährigem Aufenthalte nach Rom schickte. Dort unter dem för-
dernden Einstnsse des Landschafters I. A. Koch und Schnorr's erwarb
sich Richter die Anerkennung aller seiner Mitstrebenden, war jedoch,
um sich, in die peimat zurückgekehrt, von der Noth des Lebens zu
schützen, die Jeichenlehrerstelle an der Porzellanfabrik zu Meißen anzu-
nehmen gezwungen. Pier verlegte er sich auf das Illustriren von
Kinderbüchern, Volksmärchen, Kalendern und Gedichten und hatte da-
mit den weg zu der pöhe gefunden, auf welche ihn eine fünfzigjährige
ununterbrochene Arbeit führte. wurde er Professor der Land-

schaftsklasse an der Akademie seiner Vaterstadt, welche Stelle er erst
in den siebziger Jahren wegen Augenleidens niederlegte. Nach langem
ruhmvollen Schassen, welches ihm das perz seines Volkes und vor
allem der Kinder sich eroberte, verlebt nun der Gefeierte seinen Lebens-
abend in ungetrübter geistiger Frische in seinem bescheidenen Pause in
Loschwitz bei Dresden, verehrt und geliebt von der ganzen Nation und
vor Allem von denen, welche das Glück in seine Nähe führte. Eine
Reihe Richter'scher Werke aus allen Entwicklungsepochen des Meisters
und in den verschiedenartigsten Veröffentlichungsweisen erläuterte den
mit beifälligem Danke entgegengeuommenen Vortrag auf's Anschau-
lichste. Zur Wochen-Ausstellung gelangten: Der Entwurf eines für
Korn und Eichhorn in Breslau von peiden ausgeführten Trink-
bechers von Professor Seder, ein gothisches Kästchen von Lotze, ein
Girandol in Schmiedeisen von Kölbl und Sohn, ein Kinderstühl-
chen von Seitz und Seidl, eine gestickte Tischdecke von Fräulein
Waltersberger und ein reich in Gold gestickter Teppich von Fräu-
lein Weihrauch, Arbeiten, die durchweg allen Ansprüchen des guten
Geschmackes wie künstlerischen Anforderungen völlig genügen.

(Fortsetzung folgt.)

^ Unsere kunstgewerblichen <I>usterblMer.

Tafel 7 und 8: Ehrengeschenk der deutschen Reichsan-

gehörigen in St. Petersburg. Seiner Majestät Kaiser
Alexander III. zur Krönungsfeier gewidmet. Entworfen
und ausgeführt von Professor Fritz von Miller, München. Tafel 7:
Vorderansicht, Tafel 8: Gberansicht.

Dieses Meisterwerk der Kleinkunst in seiner Gesammterscheinung
ebenso ernst und feierlich wie reich und farbigwirkend war dazu be-
stimmt, einer von Gtto Pupp künstlerisch ausgestatteten Pergament-
adresse nebst dazu gehörigen gleichfalls künstlerisch ausgeführten
Pergamentblättern, welche die Unterschriften der Spender enthielten,
als Aufbewahrungskaffette zu dienen. Die von Pupp ausgeführte
Adresse, welche auf der jüngstverftossenen Kunstausstellung zu München
allseitiges Aufsehen erregte, zeigte als Pauptschmuck in großen Ver-
hältnissen die auf's Reichste durchgeführte und stylisirte russische Kaiser-
krone. Ein Lorbeerbaum an der Seite emxorwachsend breitet seine
Zweige darüber und reiche farbige Drnamentik sowie goldenes Ranken-
werk schmücken das Blatt.

Die von Professor Fritz von Miller ausgeführte Kassette ist
größtentheils aus Silber und vergoldeter Bronce gefertigt. Nur an
wenig Stellen kommt der innere Ueberzug aus braunem goldgepreßtem
Leder zum Vorschein. Transparentes Email auf Silber bedeckt die
Flächen, während reiches frei getriebenes Laubwerk (Silber auf Gold-
hintergrund) in einer pohlkehle liegend das Ganze umschließt.

Der mit großen Toxassteinen und unregelmäßig geschliffenen Berg-

krystallen geschmückte obere Abschluß des Deckels (Blatt 8) zeigt in
der Mitte den deutschen Reichsadler frei gearbeitet (die Federn einzeln
aufgesetzt, das Auge ein Rubin rc.). Denselben umgibt ein in grünem,
transparenten Email ausgeführtes Lorbeergewinde. An den Ecken
auf grünem Transparent-Emailgrunde tragen silberne Bänder die
Inschrift: „Anno clomini ;883 — am Tage der Krönung — St. Peters-
burg ;5. Mai — die deutschen Reichsangehörigen."

Die Kaiserkrone und die Buchstaben A (Alexander) und M (Marie
Feodorowna) kehren in den emaillirten Beschlägen wie in der Gold-
xressung des Ledergrundes als Drnament-Motiv mehrfach wieder.
Die ganze Kassette wog circa 35 Pfund und wurden dabei 2663 Gramm
Silber verwendet.

Tafel 9 und so: puldigungsblattderIubiläumsadresse,
welche der Bayerische Kunstgewerbe-Verein seinem Ehrenvorstande
Ferdinand von Miller sen. zu dessen 70. Geburtstag widmete.
Entworfen und ausgeführt von Rudolph Seitz, München. (4/5 der
natürlichen Größe.)

Tafel ss: Schriftprobe (circa 2/s der natürlichen Größe) des
Widmungsblattes der vom Bayerischen Kunstgewerbe-Verein seinem
Ehrenvorstande Ferdinand von Miller sen. zu dessen 70. Geburts-
tage überreichten Adresse. Entworfen und ausgeführt von peinlich
König. (Der gesammte Wortlaut derselben sindet sich abgedruckt auf
Seite s03 des Jahrganges s883.)
 
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