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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1884

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Vereinschronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7028#0069

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6 \ -4-

/■

Veneins-Ohnonik.

X Am Dienstag Abend den 29. Januar hatte Ejerr Professor Dr.
Krell das „Glas" zum Gegenstand eingehender und sachlich-erschöpfen-
der Betrachtungen erwählt. Zunächst entwarf der Redner ein höchst
anschauliches Bild von der Wichtigkeit dieses nun uns gänzlich unent-
behrlich gewordenen Kniturfaktors. Abgesehen davon, wie wir unsere
Wohnungen ohne Glasverschluß uns nicht mehr zu denken vermögen
welcher Sdjrct der Entrüstung würde durch die ganze Damenwelt gehen,
wollte man ihr wiederum den antiken Metallspicgel anszwingen! Wie
wären der Wissenschaft ohne Teleskop und Mikroskop, ohne Gläser und
Retorte die Flügel gebunden! Unsere nordischen Kunstmuseen wären
ohne die lichtzulassenden Glasfcnster für das betrachtende Studium und
den Genuß für die längste Zeit des Jahres geradezu unzugänglich und
die von der Neuzeit inaugurirten Weltausstellungen, unsere Straßen-
beleuchtung, die imposanten Schaustellungen des Ejandels und Gewerbes
in Läden und Schaufenstern geradezu ein Ding der Unmöglichkeit.
Würden auch wir in Bayern, als an den Steinkrug von jeher ge-
wöhnt, die durchsichtigen Gläser eher entrathen können, als das übrige
Deutschland, das durchweg an diese Gattung Trinkgeschirre gewöhnt
ist — den wein aber will man durchaus, uin sich an der Farbe des
Getränkes erfreuen zu können, das Wasser, um sich seiner Reinheit und
Klarheit zu vergewissern, aus dem Glase trinken. Trotz dieser so ungemei-
ncn Vorzüge ist der verbrauch und die allgemeine Verwendung des Glases
hinter denen anderer Materialien sehr spät in Aufnahme gekommen,
bebr frühe lernte der Mensch den Thon und das Erz verarbeiten;
beim Glas, das ihm nicht gleich diesen als etwas Fertiges von der
Natur angeboten wurde, bedurfte es schon bedeutend entwickelter tech-
nischer Fortschritte. Schon länge vor der gefabelten Erfindung des
Glases durch die Phönizier kannten die Lgyxter dasselbe ungefähr um
Wo v. Lhr., die Griechen bildeten aus ihm Gefäße von höchster
Formenvollendung und in den Zeiten des römischen Kaiserreiches
wurde in der Glasproduktion ein geradezu in's Unglaubliche gehender
und an's Unsinnige streifender Luxus entfaltet, der schließlich die Aus-
fälle der Satyriker herausforderte und den Unwillen der Kirchenväter
erregte, während der Stürme der Völkerwanderung erhielt sich in
^VZanz die Tradition der Glasbcreitung, um bei beginnendem Mittel-
nlter in Deutschland und Frankreich zunächst an den Kirchen als Fenster-
vcrschluß, Mosaik und Malerei stylgcmäße Ausbildung und nmfang-
reiche Verwendung zu erlangen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen,
daß das Material dazu sich zumeist in Ueberresten römischen Glases
vorfand, dessen kolossaler Vorrath bis in's sechzehnte Jahrhundert
hinauf ausreichte.

Mit den Kreuzzügen entwickelte sich der geradezu immense Auf-
schwung der venetianischen Glastechnik, deren Erzeugnisse eine der-
artige Weltberühmtheit erlangten, daß fast jedem deutschen Patrizier-
haus der Besitz venetianischer Gläser unentbehrlich wurde, wie sehr
aber auch der Staat, der schließlich alle Glasfabriken von der terra
fimia nach Venedig selbst und endlich von dort nach den Inseln, vor-
züglich aber nach Murano verlegte, diese Produktion begünstigte und
unterstützte, beweist die bis zur Tyrannei gesteigerte Eifersucht ans
die der furchtbaren Botmäßigkeit der Republik unterstehenden Werk-
Itätten. Erlangten auch Ehen zwischen Glasmachern und Patrizier-
Achtern gesetzliche Sanktion, so wurde andererseits ein mit dem Ge-
heimniß der Glasbereitung nach dem Ausland Flüchtender durch vom
-enat besoldete Meuchelmörder verfolgt. Die Periode der Renaissance
entwand schließlich Venedig dieses Monopol und brachte auch hier
einen Umschwung; in Deutschland erwachte wiederum der Sinn auch
hierin für schöpferisch-selbständige Thätigkeit und erging sich in jenen
vns heute so ansprechenden derb-kräftigen Formen der Trinkgcsäße,
der reizvollen, sarbensatten Glasmalereien und uns so anheimelnden
^utzelscheiben. Mit der Epoche Ludwig XIV, aber entwickelte sich in
Frankreich die Manipulation des Gusses großer Glasplatten zu unge-
ahnter Höhe und konnte so durch die Unterstützung des Ministers
Volbert allen Launen des sich selbstvergötternden Monarchen in emi-
nentester weise entsprechen. So entstand beispielsweise in Versailles
^ie Galerie de glaces, ein Unikum seiner Gattung, und wurde natür-
wie die aus Spiegelwänden gebildete Kutsche des erwähnten Mi-
nisters für Europa tonangebend, weil Mode. Aber das Sinken des
Stilgefühls am Ende des vorigen Jahrhunderts schnitt auch in dieser
Sphäre den Faden der Empfindung für die künstlerische Form ab, um

?°i"chrif. de- «unstg-werb-,

Vereins München.

auch die Bearbeitung des Glases in den Sumpf des allgemeinen Un-
geschmackes versinken zu lassen. Erst die Mitte unseres Jahrhunderts
bewirkte auch hier eine Umkehr zum Besseren und die Begründung
eines nationalen Kunstgewerbes hat auch hier ihren segensreichen Ein-
siuß erwiesen. Heute steht beispielsweise die deutsche Glasfabrikation
an erster Stelle und erringt sich durch vorzügliche Güte des Materials,
durch gehaltvoll-künstlerische Form auf dem Weltmarkt große Erfolge
und umfangreichsten Absatz. Leider ist der Natur der Sache nach
auch hierin, den Verhältnissen der Gegenwart gemäß, nur die Massen-
produktion im Stande, sich zur Geltung zu bringen und auf die Dauer
zu behaupten und wird — das ist die Kehrseite der glänzenden Me-
daille — naturgemäß durch die Großindustrie der Kleingewerbebetrieb
mit der Zeit gänzlich erstickt, was der Redner treffend als das Nedusen-
haupt der sozialen Frage bezeichnete. Schließlich entwarf der Vortragende
ein höchst anschauliches Bild der Bereitung des Glases und charak-
terisirte eingehend die schwierige, anstrengende und komxlizirte Arbeit
des Glasblasens. Den belehrenden und anregenden Auseinandersetz-
ungen folgte die zahlreiche Versammlung mit gespanntester Theil-
nahme, welcher sie durch dem Redner reich gespendeten Beifall Aus-
druck verlieh. Die den Vortrag erläuternde, sich reich und glänzend
präsentirende Ausstellung von Glasprodukten aller nur erdenklichen
Formen und Farben erregte in ihren überraschend vorzüglichen Leist-
ungen die anerkennende Bewunderung der Betrachter. Vertreten
waren folgende Firmen: M. v. Poschinger in Theresienthal,

F. v. Poschinger in Buchenau, F. Steigerwald's Neffe
hier (aus der Regenhütte), Tritschler & Komp, in Stuttgart aus
der Lambachhütte in Bayern, Rheinische Glashütten-Aktien-
gesellschaft in Ehrenfeld bei Köln, die Schlierseer Hütte mit
ihren Fabrikaten von Antik- und Kathedral-Glas, deren vorzügliche
Leistungen der englischen Manufaktur schon jetzt gewaltige Konkurrenz
machen (Vertreter waigerleitner hier) und ferner eine Kollektion
alter Gläser, von mehreren privaten bereitwilligst geliehen. Noch
ergänzte Hofvergolder A. Pütterich durch einen reichvergoldeten
Sxiegelrahmen und R. Kirsch durch einen schmiedeisernen Kamin-
vorsetzer die gediegene Ausstellung.

Der Vortrag des Herrn Dr. Max Huttier am Dienstag Abend,
5. Februar, über „Entwicklung des Schriftwesens bis zur Erfindung
der Buchdruckerkunst" entrollte ein bis in alle Einzelheiten streng
gezeichnetes und zugleich farbenprächtiges Bild dieses so enorm be-
deutungsreichen Mittels der Kulturentwicklung Euroxa's. In leben-
digen Schilderungen erläuterte der Redner zunächst die Materialien,
deren man sich zum Schreiben von jeher als geradezu unentbehrlich
bediente, und ausgehend von den mit wachs überzogenen Täfelchen
der Alten, in welches die Buchstaben mit scharfen Griffeln hineinge-
ritzt wurden, und dem mit dem Pinsel auf Thonscherben hergestellten
Farbenauftrag bis zur Gänsefeder zeigt er, an welch mühevolle Be-
dingungen die Mittheilung und Weiterverbreitung schriftstellerischer
Geisteserzeugnisse geknüpft war. Der fast zweistündige Vortrag, der
eine ungemeine Fülle nicht sowohl nur streng gelehrten, sondern auch höchst
interessanten, anregenden und belehrenden geschichtlichen Stoffes dem
mit gespanntester Aufmerksamkeit lauschenden Auditorium zusührte,
fesselte, abgesehen von dem Inhalt, durch die klare Bewältigung des
fast unübersehbaren Stoffes, durch seinen klaren Aufbau und die
geistreiche und schöne Sprache. Er zeigte die allmählige Entwicklung
des Buches von seiner bei den Alten gebräuchlichen Rollenform bis
zu seiner nns gewohnt gewordenen Erscheinung. Die Zuhörer be-
lauschten die Dichter und Gelehrten der griechischen und römischen
Welt, die Mönche in den stillen Klosterzellen, welche die Schätze der
klassischen weit der modernen Zivilisation gerettet, die Schreiber in
den Büchereien der Städte, die Kanzler der päpstlichen Kurie und des
Kaiserhoses bei ihrer Arbeit. In den daselbst gebräuchlichen alten
technischen Ausdrücken erkannte man die Wurzel noch heut allgemein
gültiger Bezeichnungen, so, wenn u. A. die unter den Text gesetzten
Anfangsworte der nächstfolgenden Seite reclarnanles genannt werden,
wird man darin die Entstehung des Ausdruckes Reklame leicht zu
erkennen vermögen. Schließlich zeigte der Redner im Gegensatz zu
einer brieflichen Aeußerung Bismarcks von (850, der die Erfindung
des Buchdrucks für ein werk des leibhaftigen Gottseibeiuns erklärte,
wie man sich den kulturellen Unterschied jener Zeit, wo Lesen und


188-1. Seft 7 & 8 (8g. 2).
 
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