R,E N 0[I R A'.N E K D O T E N
'aus dem Buche von Ambroise Vollard*
Renoir erzählte: „Ich war eines Tages in der Ecole des
Beaux-Arts dabei eine Figur nach der Antike zu zeichnen.
Signel, der Korrektur hatte, trat zu mir: »Sie fühlen also
nicht, daß die große Fußzehe des Germanikus mehr Er-
habenheit zeigen muß, als die große Fußzehe des Kohlen-
händlers vom nächsten Eck?«"
*
„Ein Krawattenhändler zeigte mir in seiner Villa in der
Nähe von Paris zwei kleine schlechte Pendantbilder, Corot
gezeichnet. Als ich einen Zweifel äußerte, sagte er: »Pah,
fürs Land! «
*
„Ich bin wie ein kleiner Pfropfen, der ins Wasser ge-
fallen ist, und den die Strömung mit sich fortträgt! Ich
gebe mich dem Malen hin, wie es mir gerade kommt."
*
„Das ist auch so eine der Verrücktheiten Courbets, die
Natur! O dieses Atelier, das er herrichtete, um darin
»Natur zu machen«, dieses Kalb, das auf dem Podium
festgebunden warl Zu einem jungen Maler, der ihm einen
Christuskopf von sich zeigte, sagte er: »Kennen Sie denn
den Christus? Warum malen Sie nicht lieber das Porträt
Ihres Vaters?« Vor Manets Bild ,Christus mit Engeln'
äußerte er zu Manet: »Hast du Engel gesehen, um zu wissen,
ob sie einen Hintern haben?«"
*
„Ich komme eines Tages zu Lewis Brown (gegen 1888),
ich finde ihn in angeregtem Gespräch. »Ja,« sagte er, indem
* Im Verlag von Bruno Cassirer, Berlin.
er die Unterhaltung fortsetzt, »den Angelus von Millet, den
habe ich mit lauter Sprüngen gekannt .... Ich habe ihn
soeben ganz neu wiedergesehen! . . .«"
„Ich kam gerade im Augenblick zu Claude Monet, als
Manet sich anschickte, die Frau und die Kinder Monets zu
malen. Sie können sich vorstellen, daß ich mir nicht eine
solche Gelegenheit, wo Modelle bereit standen, entgehen
ließ. Als ich weggegangen war, sagte Manet zu Claude
Monet: »Als Freund Renoirs sollten Sie ihm raten, auf die
Malerei zu verzichten. Sie sehen doch selbst, wie wenig
das seine Sache ist.«"
*
„In Ermangelung von Wänden hatte mir Madame Char-
pentier die Fläche zweier Füllungen im Treppenhaus, schmal
aber hoch, überlassen. Ich löste die Aufgabe, indem ich
zwei Pendants, einen Mann und eine Frau, malte. Als ich
das Werk vollendet hatte, wollte man es durch einen Freund
des Hauses, den Maler Henner, begutachten lassen. Er
ergriff voll Rührung, die den Elsässer so leicht ankommt,
meine Hände und sagte mit seiner gelungenen elsässischen
Aussprache: «C'est dres pien, c'est dres pien, mais il y a
une vaute! L'homme toit doujours aidre blus prun gue la
vammel"
*
„Eines Tages arbeitete ich im Walde von Fontainebleau,
als ich hinter mir atmen hörte: es waren Rehe, die mir
mit vorgestrecktem Hals beim Malen zusahen."
DREIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG, DRITTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 21. NOVEMBER. AUSGABE AM 1. DEZEMBER
NEUNZEHNHUNDERTVIERUNDZWANZIG. REDAKTION KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER, BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER, G.M.B.H., LEIPZIG
'aus dem Buche von Ambroise Vollard*
Renoir erzählte: „Ich war eines Tages in der Ecole des
Beaux-Arts dabei eine Figur nach der Antike zu zeichnen.
Signel, der Korrektur hatte, trat zu mir: »Sie fühlen also
nicht, daß die große Fußzehe des Germanikus mehr Er-
habenheit zeigen muß, als die große Fußzehe des Kohlen-
händlers vom nächsten Eck?«"
*
„Ein Krawattenhändler zeigte mir in seiner Villa in der
Nähe von Paris zwei kleine schlechte Pendantbilder, Corot
gezeichnet. Als ich einen Zweifel äußerte, sagte er: »Pah,
fürs Land! «
*
„Ich bin wie ein kleiner Pfropfen, der ins Wasser ge-
fallen ist, und den die Strömung mit sich fortträgt! Ich
gebe mich dem Malen hin, wie es mir gerade kommt."
*
„Das ist auch so eine der Verrücktheiten Courbets, die
Natur! O dieses Atelier, das er herrichtete, um darin
»Natur zu machen«, dieses Kalb, das auf dem Podium
festgebunden warl Zu einem jungen Maler, der ihm einen
Christuskopf von sich zeigte, sagte er: »Kennen Sie denn
den Christus? Warum malen Sie nicht lieber das Porträt
Ihres Vaters?« Vor Manets Bild ,Christus mit Engeln'
äußerte er zu Manet: »Hast du Engel gesehen, um zu wissen,
ob sie einen Hintern haben?«"
*
„Ich komme eines Tages zu Lewis Brown (gegen 1888),
ich finde ihn in angeregtem Gespräch. »Ja,« sagte er, indem
* Im Verlag von Bruno Cassirer, Berlin.
er die Unterhaltung fortsetzt, »den Angelus von Millet, den
habe ich mit lauter Sprüngen gekannt .... Ich habe ihn
soeben ganz neu wiedergesehen! . . .«"
„Ich kam gerade im Augenblick zu Claude Monet, als
Manet sich anschickte, die Frau und die Kinder Monets zu
malen. Sie können sich vorstellen, daß ich mir nicht eine
solche Gelegenheit, wo Modelle bereit standen, entgehen
ließ. Als ich weggegangen war, sagte Manet zu Claude
Monet: »Als Freund Renoirs sollten Sie ihm raten, auf die
Malerei zu verzichten. Sie sehen doch selbst, wie wenig
das seine Sache ist.«"
*
„In Ermangelung von Wänden hatte mir Madame Char-
pentier die Fläche zweier Füllungen im Treppenhaus, schmal
aber hoch, überlassen. Ich löste die Aufgabe, indem ich
zwei Pendants, einen Mann und eine Frau, malte. Als ich
das Werk vollendet hatte, wollte man es durch einen Freund
des Hauses, den Maler Henner, begutachten lassen. Er
ergriff voll Rührung, die den Elsässer so leicht ankommt,
meine Hände und sagte mit seiner gelungenen elsässischen
Aussprache: «C'est dres pien, c'est dres pien, mais il y a
une vaute! L'homme toit doujours aidre blus prun gue la
vammel"
*
„Eines Tages arbeitete ich im Walde von Fontainebleau,
als ich hinter mir atmen hörte: es waren Rehe, die mir
mit vorgestrecktem Hals beim Malen zusahen."
DREIUNDZWANZIGSTER JAHRGANG, DRITTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 21. NOVEMBER. AUSGABE AM 1. DEZEMBER
NEUNZEHNHUNDERTVIERUNDZWANZIG. REDAKTION KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER, BERLIN
GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON FR. RICHTER, G.M.B.H., LEIPZIG