"
ü*
' '
ZEICHNE'6
BINETTS
DI E VE RE I N IG U NG DER KUNSTHOCHSCHULEN
UND KUNSTGEWERBESCHULEN
VON
GÜNTHER MARTIN
Die Erkenntnis, daß sich in dem Zusammen-
wirken von freier und angewandter Kunst
die umfassendste Möglichkeit künstlerischer Arbeit
überhaupt erschließt, führte in Preußen zu der Ver-
einigung von Kunsthochschulen und Kunstgewerbe-
schulen. Wobei man voraussetzte, daß sich die ver-
hältnismäßig junge Schöpfung der Kunstgewerbe-
schulen schon zur eindeutigen Vertretung der an-
gewandten Kunst entwickelt habe. Bei der Frage
nach der Form, in der die ehemaligen Kunstge-
werbeschulen und Kunsthochschulen fortan zu-
sammenarbeiten sollen, machte man zudem, we-
nigstens auf sehen des Kunstgewerbes, noch die
beiden Voraussetzungen, daß das Kunstgewerbe
aus seiner engeren Fühlung mit der Entwicklung
des modernen Wirtschaftslebens dem „Zeitgeist"
näher stände und daß es in besonderer Weise die
handwerklichen Grundlagen der Kunst sichere. Die
Frage nach dem inneren Aufbau dieser neuen
Schule für freie und angewandte Kunst verlangt
also eine Prüfung dieser drei Voraussetzungen.
Zunächst ist zu sagen, daß der staatliche Zweck
bei der Gründung der Kunstgewerbeschulen nur
in der Förderung der angewandten Kunst be-
stehen kann, das heißt in der Erziehung zu einer
Kunstgesinnung, die sich in Gebrauchsgegenstän-
den und Schmuckformen betätigt. Der Name des
Kunstgewerbes ist dabei schon durchaus irreführend:
nicht darum handelt es sich, zu einem Gewerbe zu
erziehen, das sich als Kunst spezialisiert, sondern
darum, zu einem Spezialgebiet der Kunst, zu dem
der angewandten und ornamentalen Kunst zu er-
ziehen. Dieser Unklarheit nun, die schon der
Name des Kunstgewerbes enthält, entspricht leider
die Praxis der bisherigen Erziehung auf den Kunst-
gewerbeschulen, die immer mehr zu einer geschmack-
lichen oder künstlerisch orientierten Spezialausbil-
dung im Rahmen der industriellen Produktion ge-
worden ist.
Industrielle Produktionsmethoden und künstle-
rische Arbeitsweisen stehen aber in schärfstem Ge-
gensatz zueinander. Dieser Gegensatz wird an dem
Begriff des Handwerks klar. Das Prinzip der in-
dustriellen Produktion ist Arbeitsteilung, Speziali-
sierung, und Handwerk bedeutet in diesem Zu-
sammenhang die Spezialarbeit der technischen Be-
457
ü*
' '
ZEICHNE'6
BINETTS
DI E VE RE I N IG U NG DER KUNSTHOCHSCHULEN
UND KUNSTGEWERBESCHULEN
VON
GÜNTHER MARTIN
Die Erkenntnis, daß sich in dem Zusammen-
wirken von freier und angewandter Kunst
die umfassendste Möglichkeit künstlerischer Arbeit
überhaupt erschließt, führte in Preußen zu der Ver-
einigung von Kunsthochschulen und Kunstgewerbe-
schulen. Wobei man voraussetzte, daß sich die ver-
hältnismäßig junge Schöpfung der Kunstgewerbe-
schulen schon zur eindeutigen Vertretung der an-
gewandten Kunst entwickelt habe. Bei der Frage
nach der Form, in der die ehemaligen Kunstge-
werbeschulen und Kunsthochschulen fortan zu-
sammenarbeiten sollen, machte man zudem, we-
nigstens auf sehen des Kunstgewerbes, noch die
beiden Voraussetzungen, daß das Kunstgewerbe
aus seiner engeren Fühlung mit der Entwicklung
des modernen Wirtschaftslebens dem „Zeitgeist"
näher stände und daß es in besonderer Weise die
handwerklichen Grundlagen der Kunst sichere. Die
Frage nach dem inneren Aufbau dieser neuen
Schule für freie und angewandte Kunst verlangt
also eine Prüfung dieser drei Voraussetzungen.
Zunächst ist zu sagen, daß der staatliche Zweck
bei der Gründung der Kunstgewerbeschulen nur
in der Förderung der angewandten Kunst be-
stehen kann, das heißt in der Erziehung zu einer
Kunstgesinnung, die sich in Gebrauchsgegenstän-
den und Schmuckformen betätigt. Der Name des
Kunstgewerbes ist dabei schon durchaus irreführend:
nicht darum handelt es sich, zu einem Gewerbe zu
erziehen, das sich als Kunst spezialisiert, sondern
darum, zu einem Spezialgebiet der Kunst, zu dem
der angewandten und ornamentalen Kunst zu er-
ziehen. Dieser Unklarheit nun, die schon der
Name des Kunstgewerbes enthält, entspricht leider
die Praxis der bisherigen Erziehung auf den Kunst-
gewerbeschulen, die immer mehr zu einer geschmack-
lichen oder künstlerisch orientierten Spezialausbil-
dung im Rahmen der industriellen Produktion ge-
worden ist.
Industrielle Produktionsmethoden und künstle-
rische Arbeitsweisen stehen aber in schärfstem Ge-
gensatz zueinander. Dieser Gegensatz wird an dem
Begriff des Handwerks klar. Das Prinzip der in-
dustriellen Produktion ist Arbeitsteilung, Speziali-
sierung, und Handwerk bedeutet in diesem Zu-
sammenhang die Spezialarbeit der technischen Be-
457