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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Lautrec: Ausstellung in der Galerie Matthiesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0157

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H. DE TOULOUSE-LAUTREC, IM BETT

Ton, jedem Pinselschlag merkt man es an, wie passioniert
Lautrec neben Manet und den Impressionisten, als der Ver-
treter einer jüngeren Generation, gelebt und wie sehr er
Degas geliebt hat. Man könnte zu der Meinung kommen,
eine der Gebrauchsgraphik so ganz hingegebene Begabung
hätte in der Malerei dekorativ werden müssen, dekorativ
in dem Sinne, daß die Freude am Reiz die Lust zur Ergrün-
dung überwiegt, daß mehr Wohlklang vorhanden ist als
Ausdruck. Lautrec ist in dieser Weise nicht dekorativ; er
ist es nur so, wie jeder begabte Maler von selbst nebenbei
Dekorativ ist. Seine Malerei ist immer intim, ist immer
wie eine Selbstdarstellung des Seelischen, ist immer ergrün-
dend. Sie ist die etwas überreife Frucht des Jahrhunderts.
Was in Degas noch geschlafen hat, ist in Lautrec zur
Besinnung gekommen, was in Degas mühsam war, wurde
in Lautrec spontan. Das Intellektuelle, das bei Degas tief-
ernst ist, wird bei Lautrec spöttisch heiter und bedient sich
darum der Karikatur. Lautrec ist nicht Satiriker. Von Daumier
trennt ihn Entscheidendes; er faßt den Sinn des Lebens ganz
anders auf. Daumiers Satire war die Frucht sowohl empörter,
kämpferischer Sittlichkeit wie auch überlegener Skepsis; Lau-
trecs Übertreibungen aber haben mit Anklage und Pathos
nichts zu tun. Sie entspringen der naiven Freude am Outrier-
ten. Wo Daumier anklagt, da genießt Lautrec; jener war

gläubig und ein romantischer Optimist trotz allem, dieser
war ungläubig und letzten Endes verzweifelt. Das heißt;
in ihm verzweifelte die Zeit über sich selbst. Darum konnte
er mit der Erscheinung und mit den Formen spielen. Wer
eine Mission zu haben glaubt, spielt nicht. Damit hängt es
dann auch zusammen, daß Daumier als Zeichner und auch
als Maler viel mehr Fülle hat als Lautrec; dieser wirkt etwas
mager. Lautrec steht dem Instinkt nach näher bei Con-
stantin Guys; er genoß, wie dieser, zeichnend das Großstadt-
leben, den Großstadtsumpf. Beide kannten nicht das Wort
Sünde, beide konnten sich nicht entrüsten, beide genossen,
jeder in seiner Art, die vitale Natur in den Formen sozialer
Unnatur. Sie suchten mit Lust Erscheinungen auf, in denen
das bürgerliche Gemeinwesen gewissermaßen Selbstmord
begeht, während der Lebenstrieb sich darin nur um so hef-
tiger regt. Lautrec sah die Dinge ungefähr so wie der
Novellist Maupassant: lebendig fatalistisch. Darum konnte
er das Leben so unfeierlich sehen, so kindlich wissend, so
scharf und anmutig knapp, so grausam reizvoll, so un-
romantisch phantasievoll, so essentiell und zugleich die
Wahrheit geistreich verulkend. Die Kunstform eines ge-
nießenden Fatalismus ist stets die witzige Kurzschrift und
die freche Grazie; desillusionierte Lebenslust neigt stets
zur Sittenschilderung ohne Anklage, zur schonungslosen
Konstatierung ohne ethische Deutung und zum treffenden Epi-
gramm. „Schön wird häßlich, häßlich schön." Das Bewußtsein
des Künstlers versteht und verzeiht alles, tief unter der Schwelle
des Bewußtseins nur ist der Wille scharfrichterlich.

Es ist einer der guten Witze der Geschichte, daß es der
letzte Sproß eines einst feudalen Adelsgeschlechts gewesen
ist, der die Selbstauflösung der bürgerlichen Gesellschaft
künstlerisch dargestellt hat. Das Faubourg St. Germain hat
sich mit dem Lebenswerk Lautrecs für alten Unbill ge-
wissermaßen gerächt; ein verkrüppelter, ein zwerghaft ver-
wachsener Aristokrat massakriert die liberale Ideologie des
Bürgertums. Und schafft, indem er es tut, indem er Plakate,
Buchtitel und lithographische Flugblätter — nicht für die
Menge, sondern für Sammler — zeichnet, indem er Bilder als
Gelegenheitsarbeiten malt, eine neue Spielart der bürger-
lichen Kunst, die wie eine Apotheose ist — eine sich selbst
karikierende Apotheose. Dieses ist eines der schönsten
Geheimnisse des Lebens: wie die Natur immer lebendige,
sprühende und gesunde Natur bleibt, selbst dort, wo sie
scheinbar — es ist immer nur scheinbar! — der Selbst-
vernichtung zueilt, so bleibt auch die Kunst immer schöne,
erfreuende und befreiende Kunst, selbst wenn sie sich me-
phistophelisch gibt. Der Künstler Lautrec, der passionierte
Darsteller des Unreinen, ist letzten Endes rein wie ein Kind,
er wird zum Verherrlicher des ewig unbegreiflichen Lebens,
er adelt den Stoff durch die Form. Das ist das Wunder
des Talents.

Die Austeilung lehrte, daß es darauf ankommt, Talent
zu haben, sich ihm rückhaltlos zu überlassen und Stoff in
Form zu verwandeln, daß heißt: Materie in Gefühl. Im
Ausstellungslokal lag ein Buch aus, in das die Besucher
ihren Namen schreiben konnten. Man las da einige Namen
von Künstlern, denen man von Herzen wünschen möchte,
daß sie die Lehre nutzen und ihr eigenes Schaffen mit dem
Lautrecs vergleichen.



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