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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 23.1925

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Heft 6
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Mumford, Mewis: Imperialistische Architektur in Amerika
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https://doi.org/10.11588/diglit.4653#0256

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wünschte, hat nichts gemein mit dem ausgeklügelt
klassischen Monument, das zu seinem Gedächtnis
errichtet wurde. Wessen Geist mag wohl in diesem
Heiligenschrein leben, Lincoln oder die Leute, die
ihn ersonnen haben? Der Führer, der den beklagens-
werten Sieg des Bürgerkrieges sah, oder die Gene-
ration, die sich an dem erbärmlichen Triumph der
spanisch-amerikanischen Heldentat ergötzte und das
Unions-Banner auf den Philippinen und den Cana-
rischen Inseln aufpflanzte?

Unter den Privatleuten machte sich eine gleiche
Bewegung bemerkbar: während vor dem Jahre 1890
die Grabsteine auf unseren Kirchhöfen zu zählen
sind, die die Macht und den Reichtum ihrer Be-
sitzer laut verkünden, kommt von jenem Zeitpunkt
an der Miniaturtempel als Mausoleum mehr und
mehr in Mode. Tatsächlich ließe sich aus un-
seren Kirchhöfen eine vollständige Geschichte der
Architektur herleiten; alle Wandlungen, von denen
wir berichteten, können wir hier an den Gräbern
verfolgen: von der einfachen Steinplatte, die in
ihren Verhältnissen eine fast attische Reinheit be-
kundet, eine Trauerweide oder ein kubistischer
Cherub zur Seite, wie es für das achtzehnte Jahr-
hundert charakteristisch ist, bis zu der schlechten
Inschrift und den ungeschickteren Grabsteinen des
frühen neunzehnten Jahrhunderts, und von ihnen
wiederum über die Einführung des polierten Gra-
nits und gußeisernen Ornaments auf den Kirch-
höfen der Zeit nach dem Bürgerkriege hinweg bis
zu dem maschinell vollendeten Mausoleum, in
dem die Leichen wie die Insassen eines Unter-
grundwagens verstaut sind, eine Neuerung, auf die
einige unserer besonders fortschrittlichen Gemein-
den heutzutage äußerst stolz sind. Wie im Leben,
so im Tode: kein Wunder, daß bei Shelley die
Hölle eine große Ähnlichkeit mit London hat.
Die römische Entwicklung New Yorks, Chicagos,
Washingtons, sowie der kleineren Hauptstädte übte
eine einschneidende Wirkung auf die Wohnmög-
lichkeiten der Bevölkerung aus. Historisch geht
das weltstädtische Bauwerk mit der Mietskaserne
Hand in Hand. Dieselbe Entwicklung, die über die
Besitzer von günstig gelegenen Grundstücken un-
verdiente Vorteile ausschüttet, bringt über die
Distrikte, in denen die Proletarier ihre Schlaf-
stellen haben, eine Reihe von ebenso unverdienten
Nachteilen, wie Elend, überfüllte Räume und

schlechte Lebenshaltung. So war es im kaiser-
lichen Rom, so wiederum in dem Paris Napoleons
des Dritten, wo Haußmanns durchgreifende Bau-
pläne hinter den Prachtstraßen ganze Stadtteile
neuer Spelunken schufen, die ebenso schlecht,
wenn auch weniger sichtbar als die von ihm nieder-
gelegten waren; und dieser Vorgang wiederholte
sich in unseren amerikanischen Städten. Während
aber in Rom durch die geringe Entwicklung des
Wagenverkehrs der Ausdehnung der Stadt eine ge-
wisse Grenze gezogen war, ermöglichte die Zu-
nahme der mechanischen Beförderungsmittel ein
unbegrenztes Anwachsen der amerikanischen Stadt.
Ebenso wie Rom gezwungen war, riesige technische
Anlagen, wie Wasserleitungen und Abzugskanäle
zu schaffen, um den Einwohnern der überfüllten
Stadtteile Bäder zu verscharren und die Abfälle fort-
zuräumen, folgte die amerikanische Stadt dem Bei-
spiele der nach römischen Muster angelegten mo-
dernen Metropolen Paris und London, indem sie
Menschen-Abzugskanäle schuf, in denen die Masse
der Plebejer täglich zwischen ihren Schlafstätten
und ihren Fabriken hin und her geleitet werden
konnte.

Weit entfernt der Überfüllung abzuhelfen, tru-
gen diese kolossalen technischen Anlagen dazu bei,
sie zu vermehren: indem mehr Zufahrtslinien in
die zentralen Distrikte von New York, Boston,
Chicago und alle möglichen Orte führten, wurde
durch die Schnelligkeit der Beförderung die Zu-
sammendrängung der Wohnungen an dem einen
und die Zusammendrängung der Geschäfte an dem
anderen Ende vermehrt. Was das ursprüngliche
Kanalisationssystem betrifft, das man für die Reichs-
Metropole ersonnen hatte, so konnte es wohl nicht
einmal den Anspruch erheben, ebenso wie das
Schnellbahnsystem, eine wertvolle finanzielle An-
lage zu sein. Die Wasserläufe der ganzen New Yorker
Gegend sind so gründlich verunreinigt, daß nicht
nur die Alse und die Austernbänke aus dem Hudson-
fluß verschwunden sind, wo sie beide einst ge-
diehen, es ist auch ernstlich in Frage gestellt, ob
die Fluten weiterhin ihre schwere Last von Abfluß-
wasser befördern können, wenn diese nicht vorher
von einem Teile ihres Inhalts befreit werden.

Notwendige kleine Verbesserungen solcher Art,
wie zum Beispiel die Weiterleitung der Wasserläufe
in die Adirondocks, vergrößern die Kosten der groß-
städtischen Lebenshaltung pro Kopf um ein Be-

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